Zeit Ihrer Internierung das unstarre System. Sie werden nach kurzer Zeit be-
merken, daß Sie um so weniger von sich preisgeben, je labiler Sie sich Ihrer
Umgebung darbieten. Nichts ist hier so unklug wie die Bezeigung von Gesinnung.
Auf allen Fronten würden sich Gewalten gegen Sie erheben. Machen Sie sich
zum vermeintlichen Spielball aller, dann werden Sie Ihre Nerven retten und
können später einmal Ihre Gesinnung da anlegen, wo Sie etwas mit ihr erreichen.
Kleinen netten Zeitvertreib in der Art nachmittäglicher Gesellschaftsspiele
dürfte eine Klopfunterhaltung durch die Wand bieten. Oder ein Fensterfern-
gespräch mit Ihren Nachbarn. Das eine setzt ein vorher vereinbartes Morse-
alphabet voraus, das andere lediglich Vorsicht. Sie dürfen sich weder am Fenster
noch bei einer Unterhaltung erwischen lassen. Sie gehen also hinter Ihrer Spruch-
tafel in Deckung und sprechen schräge durch die geöffnete Klappe zur Nachbar-
zelle hinüber. Die Mauern tragen Ihre gar nicht einmal laut gesprochenen Worte
unter Umständen zehn bis fünfzehn Meter weit. Sie werden bemerken, daß der
Posten unten erfolglos die redenden Hausfronten abhorcht. Sieht er Sie nicht,
kann er nichts feststellen. Wenn Sie und Ihr Nachbar außerdem ab und zu den
Spiegel heraushalten, werden Sie Ihr beiderseitiges grinsendes Gesicht darin
einfangen können. Das gibt viel Gelächter. Sie dürfen bei allem aber nicht die
schlüsselklimpernden Schritte des Wachtmeisters überhören, der auf dem Flur
von Guckloch zu Guckloch wandelt. Um ihm die Sicht zu erschweren, ver-
schmieren Sie den Spion mit Seife. Er sieht dann lediglich Wolken, und ,Sie
haben Zeit, eine harmlose Position einzunehmen.
Einmal erworbenes Beamtenwohlwollen dürfen Sie in keiner Weise ver-
stimmen. Lange Titelanreden werden gerne gehört. Z. B. : „Herr Justizoberwacht-
meister" können Sie getrost jeden Hausknecht ansprechen und er wird Ihnen
keinen in die Fresse schlagen, sondern Ihnen glauben. Der Gerichtschreiber heißt
in der Republik: Herr Urkundsbeamter; und der Anwärter auf die Anwartschaft
zum Beamten heißt: Herr Subnumerar, und darf dieses auf seine Wohnun^stür
schreiben. Sollten Sie kein an sich imposantes Äußeres haben, ist es ferner von
Nutzen, häufig „Danke" zu sagen.
Bei dem täglichen Spaziergang werden Sie bald lernen, in Ihren hoch-
geschlagenen Mantelkragen hineinzusprechen. Man kann sich so nach vorwärts
und rückwärts unterhalten, ohne gesehen zu werden. Auf diese Art vermeidet
man es, den Bewachungsposten zum Sprechen zu bringen.
Wenn Sie sehr melancholisch sind, machen Sie ein Gesuch, um in Gemein-
schaftszelle zu kommen. Dort ist es aber bei weitem nicht so amüsant wie in
Einzelzelle. Sie haben dort lange nicht so viel Genuß am ständigen unbemerkten
Umgehen der Hausordnung, am Überwinden der staatlicherseits gewollten
Schwierigkeiten. Die Chance, sich viele gute Muskeln, ein gesundes Raubtier-
gebiß zu verschaffen, fällt hin. Denn die Gemeinschaftszelle ist meistens bevölkert
vom kleinen Mann. Während Sie in Einzelhaft unter Auserwählten Einer sind
und es mit Stolz sein können. Sollten Sie dagegen das Glück haben, in Gemein-
schaft wirkliche Spitzbuben anzutreffen, so werden Sie bald wahrnehmen, daß
man eine Sprache spricht, die nicht für Ihre Ohren ist. Also lieber allein. Man
hat dann durch die Distanz mehr Bedürfnis nacheinander, daher mehr Vertrauen
zueinander und also mehr Vergnügen aneinander.
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merken, daß Sie um so weniger von sich preisgeben, je labiler Sie sich Ihrer
Umgebung darbieten. Nichts ist hier so unklug wie die Bezeigung von Gesinnung.
Auf allen Fronten würden sich Gewalten gegen Sie erheben. Machen Sie sich
zum vermeintlichen Spielball aller, dann werden Sie Ihre Nerven retten und
können später einmal Ihre Gesinnung da anlegen, wo Sie etwas mit ihr erreichen.
Kleinen netten Zeitvertreib in der Art nachmittäglicher Gesellschaftsspiele
dürfte eine Klopfunterhaltung durch die Wand bieten. Oder ein Fensterfern-
gespräch mit Ihren Nachbarn. Das eine setzt ein vorher vereinbartes Morse-
alphabet voraus, das andere lediglich Vorsicht. Sie dürfen sich weder am Fenster
noch bei einer Unterhaltung erwischen lassen. Sie gehen also hinter Ihrer Spruch-
tafel in Deckung und sprechen schräge durch die geöffnete Klappe zur Nachbar-
zelle hinüber. Die Mauern tragen Ihre gar nicht einmal laut gesprochenen Worte
unter Umständen zehn bis fünfzehn Meter weit. Sie werden bemerken, daß der
Posten unten erfolglos die redenden Hausfronten abhorcht. Sieht er Sie nicht,
kann er nichts feststellen. Wenn Sie und Ihr Nachbar außerdem ab und zu den
Spiegel heraushalten, werden Sie Ihr beiderseitiges grinsendes Gesicht darin
einfangen können. Das gibt viel Gelächter. Sie dürfen bei allem aber nicht die
schlüsselklimpernden Schritte des Wachtmeisters überhören, der auf dem Flur
von Guckloch zu Guckloch wandelt. Um ihm die Sicht zu erschweren, ver-
schmieren Sie den Spion mit Seife. Er sieht dann lediglich Wolken, und ,Sie
haben Zeit, eine harmlose Position einzunehmen.
Einmal erworbenes Beamtenwohlwollen dürfen Sie in keiner Weise ver-
stimmen. Lange Titelanreden werden gerne gehört. Z. B. : „Herr Justizoberwacht-
meister" können Sie getrost jeden Hausknecht ansprechen und er wird Ihnen
keinen in die Fresse schlagen, sondern Ihnen glauben. Der Gerichtschreiber heißt
in der Republik: Herr Urkundsbeamter; und der Anwärter auf die Anwartschaft
zum Beamten heißt: Herr Subnumerar, und darf dieses auf seine Wohnun^stür
schreiben. Sollten Sie kein an sich imposantes Äußeres haben, ist es ferner von
Nutzen, häufig „Danke" zu sagen.
Bei dem täglichen Spaziergang werden Sie bald lernen, in Ihren hoch-
geschlagenen Mantelkragen hineinzusprechen. Man kann sich so nach vorwärts
und rückwärts unterhalten, ohne gesehen zu werden. Auf diese Art vermeidet
man es, den Bewachungsposten zum Sprechen zu bringen.
Wenn Sie sehr melancholisch sind, machen Sie ein Gesuch, um in Gemein-
schaftszelle zu kommen. Dort ist es aber bei weitem nicht so amüsant wie in
Einzelzelle. Sie haben dort lange nicht so viel Genuß am ständigen unbemerkten
Umgehen der Hausordnung, am Überwinden der staatlicherseits gewollten
Schwierigkeiten. Die Chance, sich viele gute Muskeln, ein gesundes Raubtier-
gebiß zu verschaffen, fällt hin. Denn die Gemeinschaftszelle ist meistens bevölkert
vom kleinen Mann. Während Sie in Einzelhaft unter Auserwählten Einer sind
und es mit Stolz sein können. Sollten Sie dagegen das Glück haben, in Gemein-
schaft wirkliche Spitzbuben anzutreffen, so werden Sie bald wahrnehmen, daß
man eine Sprache spricht, die nicht für Ihre Ohren ist. Also lieber allein. Man
hat dann durch die Distanz mehr Bedürfnis nacheinander, daher mehr Vertrauen
zueinander und also mehr Vergnügen aneinander.
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