kommen, es ist trotz seines vollendeten
ästhetischen Reizes zur wiederholbaren
Turnübung geworden.
Herr A. scheint darauf gekommen
zu sein, das ganze Mannequin-Wesen
zu versachlichen, zu objektivieren.
Sonst improvisiert ein Mannequin vor
dem Spiegel das Arrangement des
Kleides und das „Wie" des eigent-
lichen Tragens und Vorführens. Der
Mannequinpädagoge glaubt hier aber
objektive Gesetze eruiert zu haben, die
er an seinen Puppen verdeutlicht. Die
Schülerinnen lernen an diesen Puppen
auch die Kleider zu arrangieren, und
zwar nach jenen Gesetzen, die die
haute couture unbewußt bei ihren
Kreationen befolgt. Auch darin müssen
die Damen sehr fix arbeiten lernen!
Vier Wochen lang, vierzig Lektio-
nen lang, je 2 Stunden, gehen die wer-
denden Mannequins mit „berauschen-
dem Charme" vor ihrem Lehrer ein-
her, Puppen kopierend, selbst Puppen.
Was muß der Lehrer dabei denken?
Er denkt nichts, er beobachtet und
setzt zurecht. Es spielt Musik, aber
nicht, um die Schülerinnen zu befeuern,
sondern ganz im Gegenteil, um von
ihnen ignoriert zu werden. Dadurch
sollen sie lernen, auf Bewegungs-
impulse von außen — die Musik ist
ein solcher — nicht zu reagieren. Nun,
dies taubstumme Agieren ist in seiner
Geist- und Temperamentlosigkeit ge-
spensterhaft! Seine Wirkung eine ähn-
liche wie die der Auslagefiguren —
entkleideter Auslagefiguren — in der
Nacht. E. Th. A. Hoffmannsche Spuk-
gestalten, von Nacht und Straße durch
dicke, klare Fensterscheiben getrennt
und zugleich durch sie geheimnisvoll
mit Nacht und Straße vereinigt!
Nach Professors Meinung muß man
zum Mannequin geboren sein, wenn
man dazu ausgebildet werden soll.
Deshalb mißt er auch seine Schüle-
rinnen mit dem strengsten aller ästhe-
tischen Maße, mit dem Zentimetermaß.
Frauen, deren Körpermaße nicht pas-
send sind, sollen sich gar nicht den
Hallen der Mannequinschule nähern!
Diese Maße sind: Hüftumfang 91 cm,
Schulterumfang genau 8 cm geringer.
In Paris, und das ist ein ganzes
Kulturprogramm, sind die entsprechen-
den Abmessungen um 5 cm geringer,
also 86 und 78 cm. Das hängt nicht
von der Größe des Menschenschlags
ab, denn für die so langen amerika-
nischen Mannequins gelten auch die
französischen Maße. Wie streng das
zu nehmen ist, zeigt sich darin, daß
Pariser Firmen, die in Berlin vorfüh-
ren, sich eigene Mannequins mitbringen,
weil die französischen Kleider natür-
lich nach den Maßen der französischen
Mannequins gefertigt sind.
Das Leben der Mannequins ist
auch darin beschwerlich, daß sie stets
Nährkraft und Quantität ihres Essens
zu kontrollieren haben, auch ängstlich
immer wieder ihren Schulter- und
Hüftenumfang. Schon die Zunahme
um einen Teil eines Zentimeters, um
einen Teil eines Pfundes, der das ent-
sprechende Körpergewicht darstellt,
kann ihre Karriere vernichten. Ueber-
haupt, meint Professor A., kann dieser
Beruf nur zehn Jahre betrieben werden,
zwischen dem 18. und dem 28. Lebens-
jahr. Sehr gute Mannequins seien die
Französinnen, noch mehr körperliche
Vorzüge und Charme hätten vielleicht
die amerikanischen Mannequins, aber
dies werde dadurch wieder aufgehoben,
daß sie zu stolz sind und dadurch nicht
so angenehm den Kunden.
Es scheint nicht leicht, in diese
Laufbahn zu kommen, ja: sich darin zu
halten. Wieviel ein Mannequin Gehalt
hat? Fast so viel, wie heute der arme
Bankdirektor, mit dem sie soupiert:
140 Mark im Monat, wovon noch Ab-
züge abgehen. Karl Lohs
Mitteilung. Bei den Bildern „Ka-
meraden" und „Herr Barbette" von
Hoyningen - Huene im Aprilheft des
Querschnitts unterblieb irrtümlich die
Verlagsunterschrift Copyright Conde
Nast.
4
3.53
ästhetischen Reizes zur wiederholbaren
Turnübung geworden.
Herr A. scheint darauf gekommen
zu sein, das ganze Mannequin-Wesen
zu versachlichen, zu objektivieren.
Sonst improvisiert ein Mannequin vor
dem Spiegel das Arrangement des
Kleides und das „Wie" des eigent-
lichen Tragens und Vorführens. Der
Mannequinpädagoge glaubt hier aber
objektive Gesetze eruiert zu haben, die
er an seinen Puppen verdeutlicht. Die
Schülerinnen lernen an diesen Puppen
auch die Kleider zu arrangieren, und
zwar nach jenen Gesetzen, die die
haute couture unbewußt bei ihren
Kreationen befolgt. Auch darin müssen
die Damen sehr fix arbeiten lernen!
Vier Wochen lang, vierzig Lektio-
nen lang, je 2 Stunden, gehen die wer-
denden Mannequins mit „berauschen-
dem Charme" vor ihrem Lehrer ein-
her, Puppen kopierend, selbst Puppen.
Was muß der Lehrer dabei denken?
Er denkt nichts, er beobachtet und
setzt zurecht. Es spielt Musik, aber
nicht, um die Schülerinnen zu befeuern,
sondern ganz im Gegenteil, um von
ihnen ignoriert zu werden. Dadurch
sollen sie lernen, auf Bewegungs-
impulse von außen — die Musik ist
ein solcher — nicht zu reagieren. Nun,
dies taubstumme Agieren ist in seiner
Geist- und Temperamentlosigkeit ge-
spensterhaft! Seine Wirkung eine ähn-
liche wie die der Auslagefiguren —
entkleideter Auslagefiguren — in der
Nacht. E. Th. A. Hoffmannsche Spuk-
gestalten, von Nacht und Straße durch
dicke, klare Fensterscheiben getrennt
und zugleich durch sie geheimnisvoll
mit Nacht und Straße vereinigt!
Nach Professors Meinung muß man
zum Mannequin geboren sein, wenn
man dazu ausgebildet werden soll.
Deshalb mißt er auch seine Schüle-
rinnen mit dem strengsten aller ästhe-
tischen Maße, mit dem Zentimetermaß.
Frauen, deren Körpermaße nicht pas-
send sind, sollen sich gar nicht den
Hallen der Mannequinschule nähern!
Diese Maße sind: Hüftumfang 91 cm,
Schulterumfang genau 8 cm geringer.
In Paris, und das ist ein ganzes
Kulturprogramm, sind die entsprechen-
den Abmessungen um 5 cm geringer,
also 86 und 78 cm. Das hängt nicht
von der Größe des Menschenschlags
ab, denn für die so langen amerika-
nischen Mannequins gelten auch die
französischen Maße. Wie streng das
zu nehmen ist, zeigt sich darin, daß
Pariser Firmen, die in Berlin vorfüh-
ren, sich eigene Mannequins mitbringen,
weil die französischen Kleider natür-
lich nach den Maßen der französischen
Mannequins gefertigt sind.
Das Leben der Mannequins ist
auch darin beschwerlich, daß sie stets
Nährkraft und Quantität ihres Essens
zu kontrollieren haben, auch ängstlich
immer wieder ihren Schulter- und
Hüftenumfang. Schon die Zunahme
um einen Teil eines Zentimeters, um
einen Teil eines Pfundes, der das ent-
sprechende Körpergewicht darstellt,
kann ihre Karriere vernichten. Ueber-
haupt, meint Professor A., kann dieser
Beruf nur zehn Jahre betrieben werden,
zwischen dem 18. und dem 28. Lebens-
jahr. Sehr gute Mannequins seien die
Französinnen, noch mehr körperliche
Vorzüge und Charme hätten vielleicht
die amerikanischen Mannequins, aber
dies werde dadurch wieder aufgehoben,
daß sie zu stolz sind und dadurch nicht
so angenehm den Kunden.
Es scheint nicht leicht, in diese
Laufbahn zu kommen, ja: sich darin zu
halten. Wieviel ein Mannequin Gehalt
hat? Fast so viel, wie heute der arme
Bankdirektor, mit dem sie soupiert:
140 Mark im Monat, wovon noch Ab-
züge abgehen. Karl Lohs
Mitteilung. Bei den Bildern „Ka-
meraden" und „Herr Barbette" von
Hoyningen - Huene im Aprilheft des
Querschnitts unterblieb irrtümlich die
Verlagsunterschrift Copyright Conde
Nast.
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3.53