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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Schwarzwald, Eugenie: Das glückliche Mädchen von morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0346
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Sehr verschiedene Eigenschaften muß das Mädchen von heute in sich ver-
einigen, wenn sie der Zeit gerecht werden soll: Einfachheit und Raffinement,
Handfestigkeit und Subtilität, Vorsicht und Wagemut, schwingende Einbildungs-
kraft und festen Zweckwillen, Sparsamkeit und Freigebigkeit, Selbständigkeit
und Unterordnung, Energie und Sanftmut. Sie muß Humor genug haben, um die
dunkelste Lage, die ja täglich droht, zu erhellen, Verständnis für die angenehmen
Dinge des Lebens, die so selten sind, und Geschicklichkeit, sie, wenn es not tut,
auch durch Gebrauch der Ellbogen zu erringen.
Alles das kann sie, weil sie klug ist. Auf eine neue Art klug. Die zur Bieder-
meierzeit hochgeschätzte Einfalt ist gänzlich außer Kurs. So verliebt ist heute keiner,
um gerührt zu sein, wenn man Unsinn schwatzt. Mangel an Kenntnissen ist kein
Schmuckstück mehr. Also muß man Verstand haben und zeigen. Aber auch der
Intellektualismus, der die vorige Generation verunzierte, hat sich zu seinen
Müttern, den im übrigen so verdienstvollen Frauenrechtlerinnen, versammelt.
Die Mädchen sind einfach draufgekommen, daß Abstraktes nicht kleidsam ist.
Das Neueste, was man trägt, ist: Instinktweisheit und Naturverstand. Man freut sich
seiner Denkkraft und, was sehr wichtig ist, man kennt ihre Grenzen.
Seit die allgemeine Bildung abgewirtschaftet hat, hat sich das Mädchen auch
nach einigen wirklichen Kenntnissen umsehen müssen. Natürlich können es bei
der ungeheuren Flut des gegenwärtigen Wissens und beim Schwanken aller
Wissenschaft — nicht einmal Mathematik und Astronomie stehen fest — • nur
wenige sein. Aber diese muß sie durch die Poren der Haut aufgenommen haben.
In der Muttersprache ganz zu Hause sein, fremde Völker durch ihre Sprachen
und Literaturen ohne Vorurteil kennen, die technischen und Naturphänomene,
die uns umgeben, möglichst verstehen, ist alles, was sie erreichen kann. Sie tut es.
Der Politik möchte sie gern aus dem Wege gehen, da ihr, als einer Frau, alle
künstlichen Gebilde verhaßt sind. Aber sie fühlt, daß sie das nicht darf. Sie muß
den Männern, die ja gegenwärtig mit all ihrer Staatskunst Bankrott angesagt
haben, beistehen, schon deshalb, weil sie, die künftig dazu berufen sein soll,
Leben hervorzubringen, ein vitales Interesse am Frieden hat. Den Krieg und alles,
was zu ihm führt, militant zu bekämpfen, nimmt sie sich vor. Sie wird künftig
Rüstungen und unmenschliche Gesetze verhindern und in einer Welt, in der alles
trennt: Nation, Rasse, Klasse, Alter, Geschlecht, Weltanschauung, Besitz, ja
sogar Rohköstlertum und Nikotin, ein ausgleichendes Element darstellen.
In dem uninteressanten Chaos der gegenwärtigen Moral hat sie sich eine ein-
fache zurechtgemacht, die nichts anderes ist als Lebenskunst. Sie will ein gutes
Gewissen haben, so vermeidet sie alles, was irgendein anderes Lebewesen schädigt.
Sie will Frieden haben, Zeit und Nerven sparen, so macht sie keine Schulden,
hält sich von übler Nachrede fern und lügt nur, wenn sie muß. Auch die Nerven
der anderen schont sie. Sie spricht klar, schreibt eine deutliche Handschrift, läßt
niemand warten und hat Geduld am Telefon. Ihr Leben verläuft deshalb nicht
problemlos; die Probleme liegen nur tiefer.
Mit Geburt und Tod ist sie genau vertraut. Dieses Wissen nimmt ihr alle Angst.
Sie freut sich auf ihr Kind, das sie aber erst dann zur Welt bringen will, wenn sie
ihm erträgliche Lebensbedingungen bieten kann. Das natürliche Ende des
Lebens durch vernünftige Lebensführung, richtige Ernährung, geistige Hygiene,

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