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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Aldanov, Mark A.: Was hat der Völkerbund erreicht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0708
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Was hat der Völkerbund erreicht?
Von
M. Aldanov
Was hat der Völkerbund bisher erreicht? Entweder er kapitulierte vor der
Macht, sogar einer höchst relativen, wie im polnisch-litauischen Streit um
Wilna. Oder er fällte aus irgendwelchen Überlegungen eine offensichtlich un-
sinnige und gefährliche Entscheidung, wie in der Memelfrage. Oder er erklärte
sich als nicht zuständig für die betreffende Frage, wie in der karelischen Sache.
Oder er übertrug den Streit auf eine andere Instanz, wie im Konflikt Boliviens
mit Paraguay. Oder seine Dienste wurden von einer Partei dankend abgelehnt,
wie in der Auseinandersetzung Italiens mit Griechenland. Oder aber er begrub,
in mehr oder weniger angemessener Form und möglichst still, die Angelegenheit,
wie verschiedene Minderheiten berichten können. Es glückten dem Völkerbund
nur ganz harmlose Sachen, z. B. die Optantenfragen, aber auch diese nicht alle,
oder solche Konflikte, die in früheren Zeiten durch die Großmächte sofort unter-
drückt oder abgewendet worden wären, wie der Konflikt zwischen Griechenland
und Bulgarien im Jahre 1925.
Die Ereignisse im Fernen Osten setzten über dieses i einen grellen blutigen
Punkt. Ein Fetzen Papier bleibt ein Fetzen Papier, ungeachtet der Milhonen
von hochtönenden Worten, die seit dem historischen Ausspruch des Kanzlers
Bethmann Hollweg gesagt wurden. Und auch die Natur des Fetzen Papiers wird
sich davon nicht ändern, daß man ihn mit dem wohlklingenden Namen Covenant
belegt. Wenn sich Japan absichtlich das Ziel gesetzt hätte, das Covenant
lächerlich zu machen, hätte es nicht anders handeln können, als es gehandelt hat.
Die japanischen Truppen brachen in die Mandschurei ein, zu der gleichen
Zeit, als in Genf eine allgemeine Versammlung und der Völkerbundsrat tagten.
Die allgemeine Tagung ging glücklich vorüber, und der Völkerbundsrat vertagte
mit strenger Miene seine Beratungen: man muß den Übertretern des Covenants
Zeit zum Überlegen geben. Dann versammelte sich der Völkerbundsrat wieder
und bestimmte noch strenger, daß Japan binnen einer gegebenen Frist die be-
setzten Teile der Mandschurei zu räumen habe. Japan besetzte aber zu dieser
Frist auch alle übrigen Teile der Mandschurei. Der Völkerbundsrat versammelte
sich zum drittenmal und, indem er sich den Anschein gab, als ob er gar keine
Frist gesetzt hätte, bestimmte er, zur Aufklärung der Ereignisse, eine besondere
Kommission in die Mandschurei zu entsenden. Die Kommission hatte kaum
Zeit, dem Rat zu versichern, daß die Mandschurei tatsächlich von Japanern
besetzt sei (was hätte sie sonst noch mitteilen sollen ?), als die Japaner sich vor
Schanghai ausschifften: der Rat versammelte sich zum vierten Male und beschloß,
zur Aufklärung der Ereignisse, den Bericht einer anderen, an Ort und Stelle in
Schanghai gebildeten Kommission abzuwarten. In der letzten, wahrhaft tragi-
schen Sitzung des Völkerbundsrats, bei der ich zugegen war, ging die Rede nur
noch davon, wie eine Verlängerung des Ultimatums zu erreichen sei, welches
Japan nicht etwa an China — oh, Gott bewahre! —, sondern nur an das Kom-
mando der 19. chinesischen Armee gerichtet hatte. Aber selbst das zu erreichen
gelang nicht. — „Es'wird gebeten, nicht zu applaudieren."

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