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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Lengyel, Menyhért: Verteidigung der Kartenspieler
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0734
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des Gesellschaftsvertrages vergeht, so ist mir der gewöhnliche Spieler schon
vollends sympathisch. Denn ich behaupte, daß das Kartenspiel eine gewaltige
Wohltat des Lebens ist und daß ihm sämtliche Völker dieser Erde aus sehr be-
greiflichen Gründen frönen. Den Karten wohnt ein konzentriertes Leben inne,
das in einer Stunde eine größere Mannigfaltigkeit der guten und schlechten
Chancen hervorbringt, als es das Leben selbst in mehreren Monaten vermag.
Unser ganzes Leben ist ein Spiel mit weitaus höheren Sätzen als jenen, die wir
auf dem grünen Tisch riskieren. Ich glaube fanatisch, daß das Leben aus Folgen
der guten und schlechten Chancen besteht, und ich bin von der Existenz der
„glücklichen Hand" ebenso fest überzeugt wie vom Schicksal, dessen oberstes
Gesetz Pech heißt.
Natürlich läßt es sich unschwer nachweisen, daß das Pech kein Schicksal ist,
sondern ein Ergebnis verschiedener Eigenschaften, daß man auch zum Glück
mehr braucht als das nackte Glück, und daß es ebensowenig ein Zufall ist, wenn
ein begabter Mensch gut abschneidet, wie wenn ein anderer, vielleicht gleich
begabter Mensch unterliegt. Aber ich will mir das Gehirn mit der Durchforschung
und Zergliederung eines jeden Falles nicht zermartern, mich hat der Kartentisch
gelehrt, Dinge und Menschen zu vereinfachen. Ich verehre die glückliche Hand
und gehe ihr nach, ziehe hingegen meinen Einsatz zurück, sobald eine bekannt
schwache Hand das Blatt nimmt. Dem Spiel verdanke ich auch die Weisheit:
hat einmal das Glück deine Segel erfaßt, sei waghalsig, rührig und kühn, bist
du aber in eine schlechte Serie geraten, so sitze still und unternimm so wenig
wie möglich. Dies und noch manches anderes lernt man von den Karten, ab-
gesehen von der bis zum Überdruß wiederholten Menschenkenntnis: in der
Siedehitze der Leidenschaft wird klar, wessen Selbstbeherrschung und Selbst-
zucht besser standhält und wer jene Noblesse besitzt oder nicht besitzt, die sich
in der tiefsten Seele verbirgt und sich nur in großen Augenblicken hüllenlos
zeigt...
Das Kartenspiel hat mächtige Gegner und hat sie seit jeher gehabt — ich
pflichte ihrer Ansicht über die Gefahren des Spieles nicht bei. Vereinzelt kann
es vorkommen, daß das Spiel eine ähnliche Leidenschaft wird wie das Morphium
oder der Alkohol, zuweilen mag man an ihm auch zugrundegehen; wollte man
aber diese seltenen Fälle näher ins Auge fassen, so könnte man im Helden wahr-
scheinlich immer bestimmte Defekte entdecken, die den Unglücklichen auch ohne
Karten ruiniert hätten.
Demgegenüber bedeutet das Spiel für Millionen Menschen geistige Ent-
spannung, große Unterhaltung und Zeitvertreib. Zumal seit das Bridge die Welt
erobert hat, das bekanntlich kein Glücksspiel, sondern sozusagen Spiel um des
Spieles willen ist, erscheint auch die Gefahr des materiellen Zusammenbruches
wesentlich verringert . . . Immerhin, gewisse Staaten hüten ihre Bürger vor den
Spielkasinos so sorgsam, daß sie diese, sagen wirs offen, wirksamsten Lockmittel
des Fremdenverkehrs nicht zulassen. Ich frage ganz leise, ob es den Sitten Frank-
reichs oder Italiens wirklich so viel geschadet hat, daß in ihnen Spielbanken
geduldet werden?
Das Leben selbst verschont uns sowieso nicht mit Verlusten und Versuchun-
gen. Wer nie am Kartentisch saß und das unvergleichliche Bewußtsein des

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