Seitdem ich mein Studium abbrechen mußte, fahre ich Nachttaxi! Der Berliner Droschken-
jargon würde mich allerdings als „Greifer" bezeichnen! Wie viele Dinge, die Taxifahrer verkehrs-
polizeilich „verbrechen", ist auch „Greifen" durchaus verboten! Es bedeutet nachts ein lang-
sames Fahren durch die Straßen, über ihre Kreuzungen, besonders des Westens, an Lohntagen,
Sonnabenden und Sonntagen aber auch der ganzen Stadt! Dabei heißt es, die Fahrgäste schnell-
stens als solche erkennen! Wo eine weiße Schleppe oder ein Frack sichtbar wird, wo zu später
Stunde eine Gestalt nicht mehr das normale Gebaren des Homo sapiens zeigt, wo eine Gruppe
von Menschen ein Haus oder ein Lokal verläßt, schießt der flinke Taxiführer heran und verlockt
zum Einsteigen in das schnellste und bequemste Verkehrsmittel! Chancenreich ist Greifen sowohl
zur Theaterzeit als auch um und nach Mitternacht, wo der Berliner sich an den Haltestellen
leicht überzeugen läßt, daß ein Taxi unwesentlich teurer als der Nachtautobus ist, auf den man
lange warten muß und in dem man gestoßen und gedrängt wird!
Zum erfolgreichen Greifen gehört ein ganz bestimmtes, erfahrungsgemäß aufgebautes Schema,
in dem sowohl die einzelnen Stunden und Zeiten, wie auch die verschiedenen Verdienst-Chancen
in den einzelnen Gegenden und Bezirken zu den Hauptausgehtagen in Beziehung gesetzt werden
müssen! Am meisten Betrieb in der Stadt ist Freitags und Sonnabends, aber auch Mittwoch und
Sonntag gehen! Bei den Hauptfeiertagen ergibt sich eine besondere Beliebtheit zum Ausgehen
für die zweiten; die größte Nacht des Jahres aber, in der es kein „Abrutschen" gibt, ist die
Neujahrsnacht! Auch die ersten Nächte jedes Monats habe ich in meinen Kasseneinnahmen
immer deutlichst feststellen können!
Für den Taxifahrer sollen Höflichkeit und eine gewisse nicht unbedingt servile Dienst-
bereitschaft die Grundzüge seines Wesens bilden, die es neben schnellem und umsichtigem
Handeln, also sicherem Fahren, sehr bald ermöglichen, das Vertrauen des Fahrgastes zu er-
werben! Mir liegt sehr an diesem Vertrauen, welches mich mehr in persönlicher, oft auch in
finanzieller Hinsicht entschädigt! So bezeichne ich es als Vertrauen, wenn ein hoher süddeutscher
Beamter (als solcher durch den Portier des Kaiserhofes legitimiert) vor dem Kaiserhof mitten in
der Nacht eine halbe Stunde mit mir über Berliner Verkehrsfragen diskutierte! Viele wertvolle
Bekanntschaften zu unvoreingenommenen Künstlern und Gelehrten haben sich für mich aus
Taxifahrten in später Nachtstunde ergeben! Aber es gibt auch genug ulkige Dinge „auf dem
Bock" zu erleben!
Es ist sehr oft beim Taxifahren wie auch sonst im Leben so, daß das richtige Wort die richtige
Handlung im richtigen Moment begleiten muß! War es einmal schlechtes kaltes Wetter, habe ich
oft junge Damen oder auch alte Leute zu einem um ein Drittel, also meinen Verdienstanteil
ermäßigten Fahrpreis nach Hause gefahren! Und es für nichts weiter als selbstverständlich
gehalten! Je später die Nacht, desto besser gewöhnlich die Fahrgäste, was aber nicht mit dem
Geldbeutel sondern vielmehr mit „häuslichen" Trieben zusammenzuhängen scheint! Da war
eine eiskalte Nacht mit Schneegestöber, in der ich Pendelverkehr zwischen Berlin und Karlshorst
eingerichtet hatte! Auf der Eisenbahnbrücke in Lichtenberg stand ein Fahrgast und hinter ihm
winkte ein zweiter! Weit und breit war kein anderes Taxi in Sicht! Da beide bis Karlshorst ziem-
lich einen Weg hatten, machte ich ihnen den Vorschlag, zusammen zu fahren! Als dann noch zwei
Fahrgäste am Wege sich um eine Fahrgelegenheit bemühten, hatte ich vier Leuten geholfen,
alle waren gleich dankbar und zufrieden! Da sie zu verschiedenen Zeiten ausstiegen, machte ich
den Vorschlag, daß jeder nach Belieben zahlen solle, und ich bin bei der Addition des Fahrpreises
reichlich zu meinem Gelde gekommen! — Als ich in K. wieder Fahrgäste nach Berlin fand, ergab
sich ein ähnliches Ein- und Aussteigen von selbst und in der Folge habe ich in den Randbezirken
der Stadt oft ähnliche Fuhren zusammengestellt, ohne je einen Einspruch zu erleben!
Wenn gar niemand einsteigen will, weiß sich mancher Chauffeur durch den festen Fahrpreis
zu helfen, d. h. auf dunklen Wegstrecken wird die den Fahrpreis anzeigende Uhr sowie die Uhr-
lampe aus- oder blindgeschaltet; so läßt sich der Uhrenpreis mit dem ausgemachten Fahrpreis
leicht vereinigen! — Diese Übertretungen der Droschkenordnung können jedoch den Verlust
des Droschkenscheines und ernsthafte Bestrafung nach sich ziehen, auch sind zum Teil eigens an-
gestellte Beamte der großen Droschkengesellschaften unterwegs, um derartige Unregelmäßig-
keiten aufzudecken! In einem Falle verfolgte mich der Fahrer eines anderen Wagens, der wahr-
scheinlich Unter den Linden (wo sehr viele Taxen vor der Friedrichstraßenkreuzung warten)
von seinem Sitz aus beobachtet hatte, wie ich dort an der Autobushaltestelle Fahrgäste zum Ein-
steigen bewegte und eine zu niedrige Fahrtaxe einschaltete, was natürlich ebenso verboten ist!
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jargon würde mich allerdings als „Greifer" bezeichnen! Wie viele Dinge, die Taxifahrer verkehrs-
polizeilich „verbrechen", ist auch „Greifen" durchaus verboten! Es bedeutet nachts ein lang-
sames Fahren durch die Straßen, über ihre Kreuzungen, besonders des Westens, an Lohntagen,
Sonnabenden und Sonntagen aber auch der ganzen Stadt! Dabei heißt es, die Fahrgäste schnell-
stens als solche erkennen! Wo eine weiße Schleppe oder ein Frack sichtbar wird, wo zu später
Stunde eine Gestalt nicht mehr das normale Gebaren des Homo sapiens zeigt, wo eine Gruppe
von Menschen ein Haus oder ein Lokal verläßt, schießt der flinke Taxiführer heran und verlockt
zum Einsteigen in das schnellste und bequemste Verkehrsmittel! Chancenreich ist Greifen sowohl
zur Theaterzeit als auch um und nach Mitternacht, wo der Berliner sich an den Haltestellen
leicht überzeugen läßt, daß ein Taxi unwesentlich teurer als der Nachtautobus ist, auf den man
lange warten muß und in dem man gestoßen und gedrängt wird!
Zum erfolgreichen Greifen gehört ein ganz bestimmtes, erfahrungsgemäß aufgebautes Schema,
in dem sowohl die einzelnen Stunden und Zeiten, wie auch die verschiedenen Verdienst-Chancen
in den einzelnen Gegenden und Bezirken zu den Hauptausgehtagen in Beziehung gesetzt werden
müssen! Am meisten Betrieb in der Stadt ist Freitags und Sonnabends, aber auch Mittwoch und
Sonntag gehen! Bei den Hauptfeiertagen ergibt sich eine besondere Beliebtheit zum Ausgehen
für die zweiten; die größte Nacht des Jahres aber, in der es kein „Abrutschen" gibt, ist die
Neujahrsnacht! Auch die ersten Nächte jedes Monats habe ich in meinen Kasseneinnahmen
immer deutlichst feststellen können!
Für den Taxifahrer sollen Höflichkeit und eine gewisse nicht unbedingt servile Dienst-
bereitschaft die Grundzüge seines Wesens bilden, die es neben schnellem und umsichtigem
Handeln, also sicherem Fahren, sehr bald ermöglichen, das Vertrauen des Fahrgastes zu er-
werben! Mir liegt sehr an diesem Vertrauen, welches mich mehr in persönlicher, oft auch in
finanzieller Hinsicht entschädigt! So bezeichne ich es als Vertrauen, wenn ein hoher süddeutscher
Beamter (als solcher durch den Portier des Kaiserhofes legitimiert) vor dem Kaiserhof mitten in
der Nacht eine halbe Stunde mit mir über Berliner Verkehrsfragen diskutierte! Viele wertvolle
Bekanntschaften zu unvoreingenommenen Künstlern und Gelehrten haben sich für mich aus
Taxifahrten in später Nachtstunde ergeben! Aber es gibt auch genug ulkige Dinge „auf dem
Bock" zu erleben!
Es ist sehr oft beim Taxifahren wie auch sonst im Leben so, daß das richtige Wort die richtige
Handlung im richtigen Moment begleiten muß! War es einmal schlechtes kaltes Wetter, habe ich
oft junge Damen oder auch alte Leute zu einem um ein Drittel, also meinen Verdienstanteil
ermäßigten Fahrpreis nach Hause gefahren! Und es für nichts weiter als selbstverständlich
gehalten! Je später die Nacht, desto besser gewöhnlich die Fahrgäste, was aber nicht mit dem
Geldbeutel sondern vielmehr mit „häuslichen" Trieben zusammenzuhängen scheint! Da war
eine eiskalte Nacht mit Schneegestöber, in der ich Pendelverkehr zwischen Berlin und Karlshorst
eingerichtet hatte! Auf der Eisenbahnbrücke in Lichtenberg stand ein Fahrgast und hinter ihm
winkte ein zweiter! Weit und breit war kein anderes Taxi in Sicht! Da beide bis Karlshorst ziem-
lich einen Weg hatten, machte ich ihnen den Vorschlag, zusammen zu fahren! Als dann noch zwei
Fahrgäste am Wege sich um eine Fahrgelegenheit bemühten, hatte ich vier Leuten geholfen,
alle waren gleich dankbar und zufrieden! Da sie zu verschiedenen Zeiten ausstiegen, machte ich
den Vorschlag, daß jeder nach Belieben zahlen solle, und ich bin bei der Addition des Fahrpreises
reichlich zu meinem Gelde gekommen! — Als ich in K. wieder Fahrgäste nach Berlin fand, ergab
sich ein ähnliches Ein- und Aussteigen von selbst und in der Folge habe ich in den Randbezirken
der Stadt oft ähnliche Fuhren zusammengestellt, ohne je einen Einspruch zu erleben!
Wenn gar niemand einsteigen will, weiß sich mancher Chauffeur durch den festen Fahrpreis
zu helfen, d. h. auf dunklen Wegstrecken wird die den Fahrpreis anzeigende Uhr sowie die Uhr-
lampe aus- oder blindgeschaltet; so läßt sich der Uhrenpreis mit dem ausgemachten Fahrpreis
leicht vereinigen! — Diese Übertretungen der Droschkenordnung können jedoch den Verlust
des Droschkenscheines und ernsthafte Bestrafung nach sich ziehen, auch sind zum Teil eigens an-
gestellte Beamte der großen Droschkengesellschaften unterwegs, um derartige Unregelmäßig-
keiten aufzudecken! In einem Falle verfolgte mich der Fahrer eines anderen Wagens, der wahr-
scheinlich Unter den Linden (wo sehr viele Taxen vor der Friedrichstraßenkreuzung warten)
von seinem Sitz aus beobachtet hatte, wie ich dort an der Autobushaltestelle Fahrgäste zum Ein-
steigen bewegte und eine zu niedrige Fahrtaxe einschaltete, was natürlich ebenso verboten ist!
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