Über die
amerikanischen
Journalisten
Von
H. L. Mencken
Die meisten Übel, an denen der
amerikanische Journalismus heute
leidet, rühren nicht von der Schurkerei
der Besitzer oder auch nur von den An-
schauungen der Direktoren her, sondern
einzig und allein von der Dummheit,
Martin Hahm
dem Mangel an Mut und dem Philistertum der Redakteure und Reporter. Die
Mehrzahl ist in fast allen amerikanischen Städten ganz unwissend und noch stolz
darauf. All die Kenntnisse, mit denen sie ihr Gehirn beladen, sind jedem ver-
nünftigen und kulturellen Sinn nutzlos; es ist die Art von Kenntnissen, über die
nicht ein Mitglied der freien Berufe verfügt, sondern ein Polizeihauptmann, ein Post-
beamter, der Mann, der beim Börsenmakler die Kurse anschreibt. Sie bestehen aus
Nichtigkeiten und kindischen Daten; was ihnen abgeht, ist alles, was zu wissen sich
wirklich lohnt — alles, was zum Allgemeinwissen der Gebildeten gehört.
Es gibt in den Vereinigten Staaten Dutzende von Chefredakteuren, die noch nie
etwas von Kant und von Johannes Müller gehört, die noch nie die Verfassung der
Vereinigten Staaten gelesen haben; es gibt Handelsredakteure in leitender Stellung,
die nicht wissen, was eine Symphonie oder ein Streptokokkus ist; es gibt Tausende
von Reportern, die nicht imstande wären, die Aufnahmeprüfung eines besseren
Collegs zu bestehen. Diese ungeheure und streitbare Unwissenheit, dieses weit-
verbreitete und bodenlose Vorurteil gegen Intelligenz ist schuld daran, daß der
amerikanische Journalismus so rührend hilflos und gewöhnlich, so ausnahmslos
übel beleumdet ist. Wenn jemand so wenig intellektuelle Initiative besitzt, daß er,
obwohl er täglich mit Nachrichten zu tun hat, sein Leben verbringen kann, ohne das
wirklich Wissenswerte an diesen Nachrichten in sich aufzunehmen, so kann man
sicher sein, daß es ihm an beruflicher Würde ebenso fehlen muß wie an Wißbe-
gier. Die empfindliche Angelegenheit, die man Ehre nennt, kann nie eine Funktion
der Dummheit sein. Sie ist denjenigen eigen, die echte Mitglieder der freien Be-
rufe sind, weil sie sich an Bildung und Freiheit auf das Niveau einer wahren Aristo-
kratie erhoben, weil sie sich mit Überlegung und Erfolg von der großen Menge ab-
gesondert haben, der Bildung ein Schimpfwort und Freiheit eine Qual bedeutet.
Wenn die Journalisten von heute versuchen, diesen Zustand zu erreichen, stellen sie
den Wagen vor das Pferd.
Diese Tatsachen sind jedem amerikanischen Journalisten, der sich über das
Niveau eines Rollkutschers erhebt, wohl bekannt, und bei den traurigen Konferenzen
des Gewerbes werden sie oft besprochen. Im allgemeinen leidet der Journalismus
jedoch an einem Mangel von wachsamer und tüchtiger Kritik der Fachgenossen;
seine Sklaven prangern aus einem natürlichen Minderwertigkeitskomplex heraus
jedes freie Wort darüber als Verrat an, und man hat auch mich als Feind des Volks-
wohls hingestellt, weil ich immer wieder auf die unerträgliche Unfähigkeit und
Scharlatanerie der überwiegenden Mehrzahl aller Korrespondenten in Washington
hinweise. Diese Dunkelmännerei gibt es in keinem der freien Berufe. Kein Architekt
561
amerikanischen
Journalisten
Von
H. L. Mencken
Die meisten Übel, an denen der
amerikanische Journalismus heute
leidet, rühren nicht von der Schurkerei
der Besitzer oder auch nur von den An-
schauungen der Direktoren her, sondern
einzig und allein von der Dummheit,
Martin Hahm
dem Mangel an Mut und dem Philistertum der Redakteure und Reporter. Die
Mehrzahl ist in fast allen amerikanischen Städten ganz unwissend und noch stolz
darauf. All die Kenntnisse, mit denen sie ihr Gehirn beladen, sind jedem ver-
nünftigen und kulturellen Sinn nutzlos; es ist die Art von Kenntnissen, über die
nicht ein Mitglied der freien Berufe verfügt, sondern ein Polizeihauptmann, ein Post-
beamter, der Mann, der beim Börsenmakler die Kurse anschreibt. Sie bestehen aus
Nichtigkeiten und kindischen Daten; was ihnen abgeht, ist alles, was zu wissen sich
wirklich lohnt — alles, was zum Allgemeinwissen der Gebildeten gehört.
Es gibt in den Vereinigten Staaten Dutzende von Chefredakteuren, die noch nie
etwas von Kant und von Johannes Müller gehört, die noch nie die Verfassung der
Vereinigten Staaten gelesen haben; es gibt Handelsredakteure in leitender Stellung,
die nicht wissen, was eine Symphonie oder ein Streptokokkus ist; es gibt Tausende
von Reportern, die nicht imstande wären, die Aufnahmeprüfung eines besseren
Collegs zu bestehen. Diese ungeheure und streitbare Unwissenheit, dieses weit-
verbreitete und bodenlose Vorurteil gegen Intelligenz ist schuld daran, daß der
amerikanische Journalismus so rührend hilflos und gewöhnlich, so ausnahmslos
übel beleumdet ist. Wenn jemand so wenig intellektuelle Initiative besitzt, daß er,
obwohl er täglich mit Nachrichten zu tun hat, sein Leben verbringen kann, ohne das
wirklich Wissenswerte an diesen Nachrichten in sich aufzunehmen, so kann man
sicher sein, daß es ihm an beruflicher Würde ebenso fehlen muß wie an Wißbe-
gier. Die empfindliche Angelegenheit, die man Ehre nennt, kann nie eine Funktion
der Dummheit sein. Sie ist denjenigen eigen, die echte Mitglieder der freien Be-
rufe sind, weil sie sich an Bildung und Freiheit auf das Niveau einer wahren Aristo-
kratie erhoben, weil sie sich mit Überlegung und Erfolg von der großen Menge ab-
gesondert haben, der Bildung ein Schimpfwort und Freiheit eine Qual bedeutet.
Wenn die Journalisten von heute versuchen, diesen Zustand zu erreichen, stellen sie
den Wagen vor das Pferd.
Diese Tatsachen sind jedem amerikanischen Journalisten, der sich über das
Niveau eines Rollkutschers erhebt, wohl bekannt, und bei den traurigen Konferenzen
des Gewerbes werden sie oft besprochen. Im allgemeinen leidet der Journalismus
jedoch an einem Mangel von wachsamer und tüchtiger Kritik der Fachgenossen;
seine Sklaven prangern aus einem natürlichen Minderwertigkeitskomplex heraus
jedes freie Wort darüber als Verrat an, und man hat auch mich als Feind des Volks-
wohls hingestellt, weil ich immer wieder auf die unerträgliche Unfähigkeit und
Scharlatanerie der überwiegenden Mehrzahl aller Korrespondenten in Washington
hinweise. Diese Dunkelmännerei gibt es in keinem der freien Berufe. Kein Architekt
561