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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Stern, Alfred: Amerika philosophiert
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0853
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Doch noch eine spezielle Aufgabe hat die pragmatistische Philosophie in
Amerika zu erfüllen: Es muß ja schließlich auch für die Kollegen von der theologi-
schen Fakultät etwas getan werden, wo doch in ihren Institutionen „Milliarden
Dollars" investiert sind. Wohl ist der Pragmatismus empiristisch und posi-
tivistisch orientiert und lehnt jede Metaphysik „grundsätzlich" ab. Allein, er
läßt auch mit sich reden, er ist nicht kleinlich, er reitet keine Prinzipien. Unter
Umständen läßt er also auch metaphysische Behauptungen als wahr gelten, sofern
sie sich praktisch bewähren. Und darum steht er mit Religion und Theologie
auf bestem Fuß. „Der Pragmatismus ist zu allem bereit", sagt James, „als
annehmbare Wahrheit gilt ihm einzig und allein das, was uns am besten führt . ..
Wenn theologische Ideen das können, wenn speziell der Gottesbegriff sich hierbei
bewährt, wie könnte da der Pragmatismus die Existenz Gottes leugnen? Er
könnte gar keinen Sinn darin erblicken, ein Urteil, das praktisch so erfolg-
reich war, als unwahr zu betrachten . .. Wahr heißt alles . .. was sich als gut
erweist."
Ja — der Pragmatismus ist praktisch im doppelten Sinn. Den Unannehmlich-
keiten eines Daytoner Affenprozesses setzt er sich keinesfalls aus!
Darum schließt er auch ein wunderbares Kompromiß zwischen Darwinismus
und Religion und hat keinerlei Mühe, es dem amerikanischen Publikum begreif-
lich zu machen; denn klugerweise wendet er sich an den ausgeprägten Sportsinn
seiner Landsleute, erklärt einfach das Weltgeschehen nach Analogie eines Fuß-
ballmatches und die Naturgesetze als Spezialfälle der Spielregeln des football.
Die Tatsachen des Darwinismus, so meint James, könnten nämlich ohne
weiteres so gedeutet werden, daß ein göttlicher Plan sich in ihnen offenbart.
„Das Ziel einer Partei im Fußballspiel ist ja nicht bloß, den Ball in ein bestimmtes
Tor (goal) hineinzutreiben (wenn das so wäre, so könnten sie ja in einer dunkeln
Nacht aufstehen und ihn ins Tor legen), sondern ihn hinzutreiben mittels eines
festgelegten Mechanismus von Bedingungen, ich meine die Spielregeln und die
Gegenpartei. Ebenso könnten wir sagen, ist das Ziel Gottes nicht nur, die Menschen
zu schaffen und zu erlösen, sondern er will, daß dies durch die Tätigkeit eines
ungeheuren Mechanismus der Natur sich von selbst vollziehe. Ohne die staunens-
werten Gesetze und Gegenwirkungen der Natur, wäre die Schöpfung und Voll-
endung des Menschen ein viel zu einfaches Vollbringen, als das Gott es geplant
haben könnte." (!)
Fehlt nur noch die modernste amerikanische Ethik: Ihr Schöpfer ist Walter
Lippmann, Philosoph, Politiker, Mitarbeiter Roosevelts, Adlatus Wilsons während
der Versailler Friedensverhandlungen, Herausgeber der New York World. Sein
neues Buch „A Preface to Morals" ist dem Amerikaner Offenbarung, mehr
noch: Sensation! Seine Resultate: Die eigentliche Tugend ist die Selbstlosigkeit.
Warum? Weil sie sich in der Praxis am besten bewährt. „In allen drei großen
Bereichen des menschlichen Interesses, im Geschäftsleben, im Staatsleben und
in den geschlechtlichen Beziehungen" führt sie nämlich zu den erfolgreichsten
Ergebnissen. Die Ethik ist eine Erfahrungswissenschaft, der Ethiker hat nur die
eine Aufgabe, „den Menschen ihre wahren Interessen vor Augen zu führen."
Also — der Ethiker als Führer zur prosperity, die Höhe des Dollar-Einkommens
als absolutes Kriterium des Guten!

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