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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Lania, Leo: Die Mode inm Sowjetrußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0938
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seiner kunstvollen Ausführung mit dem daran baumelnden Dolch Ausdruck der
Vornehmheit, der politischen Bedeutung (einst des Reichtums) seines Besitzers.
So schöne und reich verzierte Gürtel wie im Kaukasus sieht man in den großen
Städten des übrigen Rußland nicht, aber dieser Riemen bietet wenigstens die
bescheidene Möglichkeit, der einförmigen Kleidung eine eigene, elegante Note
zu geben.
Höchster Schick, sehnlichster Traum des Bolschewiken aber ist der Leder-
mantel. In ihm dokumentiert sich der „Amerikanismus" des neuen Rußland. Die
höheren Funktionäre, die G. P. U., die Armee, die Sowjetbeamtin und das Mitglied
des großen Balletts — alles begeistert sich am Ledermantel. Je sportlicher, desto
besser. Wie ja auch die Uniform der Armee weniger den militärischen Charakter
betont als den sportlichen: bequeme Bluse, niedriger Kragen, Breeches, das ist
mehr amerikanische Sportkleidung als deutscher Waffenrock; übrigens sehr
kleidsam, richtig elegant.

Bis zum ersten Mai trägt man in Moskau Stiefel, Galoschen, Pelz; nach dem
ersten Mai geht man in bloßem Hemd und Tennisschuhen. Vom Winter springt
man ohne Übergang in den Sommer hinein, obwohl der Wetterumschlag keines-
wegs so kraß ist. Aber in solchen Äußerlichkeiten erweist sich immer wieder das
Unvermögen des russischen Menschen, eine mittlere Linie zu finden. Es fehlt das
Gefühl für Nuancen. Die reiche Russin von einst hat dieses Manko durch ihre
exzentrische Unberechenbarkeit verdeckt. Doch diese russischen Frauen sind ja
heute ausgestorben.


Manolo

Die ersten drei Tage befremdet einen die Gleichförmigkeit des Moskauer
Straßenlebens, die Unmöglichkeit, vor lauter Masse den Menschen zu sehen.
Nachher gewöhnt man sich daran, nimmt die allgemeine Ärmlichkeit in der
Kleidung kaum noch wahr, ebensowenig ob die Frauen kurze oder lange Röcke
tragen, ob die Farbe der Bluse zu der des Rockes paßt, wie zusammengewürfelt
die Toilette ist. Unwichtig.
Betritt man aber nach mehrwöchiger Ab-
wesenheit in Rußland zum erstenmal wieder
den Berliner Kurfärstendamm, dann ist der
Eindruck verwirrend. Im ersten Augenblick
wähnt man sich auf einem Maskenball,
glaubt, daß alle Frauen und Männer kostü-
miert sind, daß man selbst Zuschauer oder
Akteur einer großen Revue ist. Und jetzt erst,
nachträglich, wird einem der ganze Gegensatz
zwischen hier und dort bewußt: hat einem
drüben die einheitliche graue Masse den
Blick für den Einzelnen verstellt, so sieht
man hier in diesem Durcheinander von
Formen und Farben vor lauter Details, im
schnellen Wechsel von Seidenstrümpfen,
roten Lippen, Frauenprofilen, kecken
Hütchen und farbigen Krawatten kein

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