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Raczyński, Joseph Alexander
Die flämische Landschaft vor Rubens: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der flämischen Landschaftsmalerei in der Zeit von Brueghel bis zu Rubens — Veröffentlichungen zur Kunstgeschichte, Band 1: Frankfurt am Main: Prestel-Verlag GmbH, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.55803#0040
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hier zum ersten Male die ganze Bildfläche mit Bäumen ausgefüllt ist; es fehlt der Ausblick
auf eine weite Ebene oder ein bergiges Tal, ebenso wie alle phantastischen Zutaten, Burgen,
Ruinen usw., verschwunden sind. An diesem Bilde läßt sich besonders gut zeigen, wie jetzt
in der Landschaft mit Bäumen komponiert wird, ähnlich wie mit Figuren im Historienbild.
Es ist hier mit einzelnen Bäumen und Baumgruppen eine Baumlandschaft aufgebaut. Drei
große Stämme und ein abgebrochener Baumstumpf winden sich auf dem vordersten Bildrand
in gewellten Linien schwungvoll empor und geben der ganzen Bildfläche ein festes Gerüst;
alles andere weicht hinter ihnen zurück; sie bestimmen ganz den Aufbau des Bildes: alle
hinter ihnen stehenden Bäume greifen ihren Schwung und Rhythmus auf und wiederholen
ihn. Das Waldinnere gewinnt durch diese «Baumsäulen» einen übersichtlichen Aufbau und
klare räumliche Gestaltung. Die Einzelformen sind dabei noch natürlicher geworden, im
ganzen - besonders im Mittel- und Hintergrund, wo sich die einzelnen Bäume eng zusam-
menschließen - ist schon etwas von der traulichen Stimmung eines Waldesdickichts erreicht.
Wir müssen dabei auch berücksichtigen, daß in der Zeichnung des Kupferstiches alle Linien
stärker hervortreten, die einzelnen Teile schärfer gegeneinander abgesetzt erscheinen als im
gemalten Bild, wo durch die Farbe alles stärker verbunden ist, ineinander übergeht.
Es sind die ersten Bilder in der niederländischen Landschaftsmalerei, in denen ein ein-
heitliches Motiv zum Thema einer Landschaft geworden ist. Doch der nun schon über fünfzig
Jahre alte Künstler begnügt sich nicht mit dem, was hier erreicht ist. In den letzten Jahren
seines Lebens, die er in Amsterdam verlebte, entstehen einige Waldlandschaften, die noch
weit über die eben besprochenen Bilder hinausführen und überhaupt das Vollkommenste und
Fortschrittlichste sind, was die Niederlande in der Zeit um 1600 an Landschaften hervor-
gebracht haben.
Eine Waldlandschaft im Kunsthistorischen Museum in Wien73, die erst in den letzten Jah-
ren bekannt geworden ist, ist in vielem noch eng verwandt mit dem uns aus den eben be-
sprochenen Stichen bekannten Waldbild, bedeutet aber schon einen weiteren Fortschritt:
der Bildausschnitt ist enger gefaßt, die Bäume haben sich hier schon ganz zu einem schier
undurchdringbaren Dickicht zusammengeschlossen; die Staffage ist ganz weggefallen, denn
die wenigen kleinen Figuren, die jagend durch den Wald streifen, kann man nicht mit den
meist von fremder Hand gemalten mythologischen Gestalten, die auf den früheren Bildern
erschienen, vergleichen: sie sind nicht zufällig im Bilde, auch nicht mehr da, um der Land-
schaft einen Namen zu geben, sondern wachsen ganz aus ihrer Umgebung heraus; kleine
Tiere, Vögel und Blumen beleben und verzieren die Bäume und den sumpfigen, üppig be-
wachsenen Waldboden. Eine sehr starke, geschlossene Stimmung spricht aus diesen späten
Bildern Coninxloos, der eine einheitliche, festgefaßte Form entspricht: die sehr natürlich
gesehenen Bäume mit ihren starken Stämmen und weitverzweigten Ästen und dichtbelaubten
Kronen schließen sich trotz aller scheinbaren Symmetrielosigkeit zu einer fein abgewogenen
Komposition zusammen. Den großen Reiz dieser Bilder verstärkt die schöne farbige Behand-
lung, die Art, wie die abgestuften braunen Töne des Bodens und der Stämme und das Grün
des Laubes in wechselndem Licht und Schatten der zwischen die Bäume fallenden Sonnen-
strahlen zu einem geschlossenen und ruhigen, farbigen Gesamteindruck zusammenfließen.
All das ist weitergeführt und gesteigert in der ersten Waldlandschaft der Fürstlich
Liechtensteinschen Gemäldegalerie in Wien aus dem Jahre 1598 (Abb. 14). Wir schauen hier
tief in das Innere eines dichten, dunklen Eichenwaldes; gewaltige knorrige Baumriesen er-
scheinen im Vordergrund; an sie schließen sich in engen Reihen nach der Tiefe zu kleiner

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