Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Raczyński, Joseph Alexander
Die flämische Landschaft vor Rubens: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der flämischen Landschaftsmalerei in der Zeit von Brueghel bis zu Rubens — Veröffentlichungen zur Kunstgeschichte, Band 1: Frankfurt am Main: Prestel-Verlag GmbH, 1937

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.55803#0077
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
gegenüber: eine «manieristische» Umformung der Naturformen statt einer «naturalistischen»
Naturabschrift. Diese Art der künstlerischen «Handschrift», die über den Begriff eines per-
sönlichen Stiles (der ja bei allen Künstlern, selbst den Naturalisten des 19. Jahrhunderts, aus-
geprägt ist) hinausgeht, ist etwas im letzten Grunde Manieristisches. Gerade aus diesem
inneren Zwiespalt heraus - zwischen dem unmittelbaren Naturerlebnis und dem Bestreben,
die Landschaft in vorgefaßten ornamentalen Formen im Bild zu erfassen - gelang es Mom-
per, die unmittelbar gesehenen und erlebten Formen der Natur in charakterisierender Ent-
hobenheit zu einer Einheit zu formen, die nun ihren Sinn in sich selbst findet und «die welt-
verbindenden Fäden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zurückgeknüpft hat»154,
an Stelle des aus einzelnen Teilgebilden aufgebauten Bildraumes, wie wir ihn bei den Brueghel-
Nachfolgern finden, einen organischen Raumzusammenhang zu setzen, an dessen Leben alle
Einzelheiten teilhaben.
Die weitere Entwicklung Mompers ist vor allem durch das Bestreben charakterisiert, den
Bildausschnitt immer fester und geschlossener zu fassen. In seinen frühen Werken, wie den
beiden Berglandschaften in Dresden (Abb. 38, 42), sieht man unmittelbar mitten in das Bild
hinein, d. h. die großen Felsmassen, die die wichtigsten Elemente der Landschaft und ihr
dominierender Inhalt sind, erheben sich gleich vorn in der ersten Bildschicht; sie sind zuein-
ander in ein gewisses räumliches Verhältnis gestellt, das ganz den Aufbau des Bildes bedingt.
In der «Landschaft im Alpencharakter» in Köln (Abb. 39) ist dann schon eine gewisse Vor-
dergrundschwelle ausgebildet, die die Berge und Felsen, die auch hier das ganze Bild be-
herrschen, etwas zurückweichen läßt und dem Bild zum Beschauer zu einen festen Abschluß
gibt. Dadurch verliert das Landschaftsbild vielleicht etwas von der großartigen Unmittelbar-
keit, die uns gerade so stark in den frühen Bildern fesselt, bekommt aber einen festeren und
gegliederten Aufbau.
Diese Ausbildung und Betonung der gegeneinander abgesetzten Gründe ist in der Gebirgs-
landschaft der Liechtenstein-Galerie in Wien (Abb. 40) weiterentwickelt. Hier ist das Bild
durch eine fallende Diagonale (von links oben nach rechts unten) in zwei Hälften geteilt, von
denen die eine als Nahbild, die andere als Ferne gesehen ist; beide Hälften sind wiederum in
je zwei, vor allem farbig gegeneinander abgesetzte Zonen geschieden. Links im Vorder-
gründe erhebt sich auf einem Felsblock eine Baumgruppe, die das Bild seitlich rahmt; dar-
unter erstreckt sich ein schmaler, bis zur Mitte des Bildes reichender Bodenstreifen. Hinter
dieser vordersten, in einem dunklen Braun gehaltenen Bildschwelle steht in einer zweiten
Bildschicht ein großes, felsiges Massiv, das in einem helleren, braunen, stark mit Grün belebten
Ton wiedergegeben ist. Ein von einem Schloß auf der Höhe in vielen Windungen über eine
hohe Brücke zum vordersten Bodenstreifen herabführender Weg verbindet die beiden durch
eine tiefe Schlucht getrennten Bildschichten. Die kleinen Staffagefiguren haben die Bedeu-
tung, diesen Weg zu beleben und so unseren Blick auf ihm in die Tiefe zu führen. Auf der
rechten Bildhälfte erstreckt sich hinter dem allmählich schräg abfallenden Felsmassiv ein
weiter Ausblick auf einen im Tal liegenden Wasserspiegel mit hohen, fernen Bergen dahinter.
Diese Fernlandschaft ist in einem lichten, grünen Ton gehalten, der in ein helles Blau über-
geht. Die Felsen links liegen schon weit hinter den Bäumen des Vordergrundes, und eine fast
unendliche Entfernung trennt jene von den zum Himmel aufragenden, in den Wolken ver-
schwimmenden Bergen rechts in der Ferne; dieser weite Raum ist jedoch sehr klar erfaßt
und durch die verschiedenen Bildschichten, durch die Lichtführung und Farbgebung ge-
gliedert.

71
 
Annotationen