Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zu Zeiten des Abts Ruodmann friedlich erworben, von Ein-
dringlingen geraubt und weitgehend geplündert worden war,
durch Neuerwerbungen unversehrt wiederhergestellt hat, und
mit welchem Eifer er, im Dienst des Herrn brennend, zur
Feier des Gottesdienstes selbst und welche und wie große
Kirchentempel er errichtet hat, und an welchen uns gehören-
den Orten und wie er sie aus seinem Vermögen reichlichst
ausgestattet hat.
Was er nämlich, indem er schon zehn Jahre der hiesigen1”8
Prälatenschaft auf sich genommen hat, an diesem Ort an Kir-
chengebäuden und in mannigfaltigen Bildnerarbeiten der
Bogen und Säulen168 169 verschiedener Ausführung, auch in Altä-
ren und Kreuzen aus Gold und Silber gefertigt, und noch in
jenen kostbaren Beschlägen170, in die das wunderbare Gewebe
der Edelsteine171 eingelassen ist, — das alles läßt nicht un-
berührt des Schreibers Griffel. Und was er die einzelnen Jahre
hindurch anerkanntermaßen geschaffen hat, das wird bei der
Behandlung172 eines jeden Werkes im einzelnen erläutert.
Also habe ich bei jeder Erwähnung eines Ortes die Person
(des Abts) meinen Meinungen gegenübergestellt173. Schrei-
bend in Hexametern mit leoninischem Reim174 habe ich mich
bemüht, mit Gottes Hilfe und Euren Gebeten alles bis ans
Ende zu vollenden.
Weil ich aber, durch Euren Befehl, Hochwürdigste Väter, ver-
pflichtet, weiß, daß ich durch keinen Zuwachs an Geschick-
lichkeit bestehen kann, und es dennoch gewagt habe, dem als
Held zu begegnen, was schon Andere von stärkerem Geist mit
Entsetzen haben aufgeben müssen, so bitte ich, daß Ihr in so
kühnem Beginnen keine überhebliche Selbsteinschätzung aus
Frechheit, sondern vielmehr die demütigste Anstrengung
meines Gehorsams erblicken wollet. Wenn noch irgendein
Tadel, dessen zahlreiches Vorhandensein ich nicht leugne,
eines versteckten Fehlers in diesem Werk eben von Euch er-
blickt werden könnte, so geruhet, ihn unter der Hand zu til-
gen, damit er nicht zum Hindernis werde für die Gutwilligen,
die Wahrheit zu erkennen.
Hier beginnt der Text, in poetischen Worten geschrieben.
Es blühe mit solchem Schmuck die glückliche Au in diesem
168 Sollte das „huius" nicht doch andeuten, daß Witigowo von
auswärts kam und vorher sogar anderswo Abt war. Gruber
(KAR, 852) glaubt des Namens wegen an niedersächsisch-west-
fälische Herkunft, während Hecht (90, 2) den Namen für ein
schwäbisches Geschlecht in Anspruch nimmt. Es fällt mindestens
auf, daß Purchard nicht einfach sagt „suae prelationis". Beyerle
(KAR ira/rg) läßt Witigowo aus dem Kloster hervorgehen.
169 Man wird hier „columna" nicht, wie in V. 392 mit „Pfeiler"
übersetzen sollen. Witigowo hat außer dem Münsterlanghaus noch
andere Bauten und außerdem Altäre errichtet, an denen doch auch
Säulen gewesen sein können.
170 „Monile" sonst im klassischen und mittelalterlichen Latein
für „Halsband" gebraucht, kann hier wohl nur die Metallverklei-
dung der Altäre, Reliquiare und dgl. sein,- also = „Spange,
Beschläg".
171 „Gemma" wird im Carmen durchweg für „Edelstein" gebraucht.
172 „Consummatio" eigentlich „Zusammenfassung".
173 Die Stelle ist schwer verständlich. Vermutlich sind damit die
Gegensätze zwischen Abt und Convent oder innerhalb des Con-
vents angedeutet. (Siehe u. a. V. 389.)
174 „in pronum currentibus" nach Manitius (II 5x1) Umschrei-
bung für den leonischen Reim. Jeder Vers besteht aus zwei
Teilen, die auf ungefähr gleichen Klang ausgehen (Vorr. v. Pertz).

Bauwerk175, das der edle Abt erstellte, seinen Eifer Christo
widmend, mit Namen Witigowo.
Poeta176.
1. Berichte mir auf meine Frage, warum Du weinst, Mutter
Augia,
2. Du Urheberin aller Güter, die Gott gegeben;
3. oder was suchst Du die vom Scheitel wallenden Haare
zu zerzausen
4. und die zarten Wangen zu zerfleischen?
5. Warum sieht man dich sitzen, mit Tränen die Wangen
netzend,
6. mit niedergeschlagenen Augen, gleich wie in der Höhle
des Kerkers?
7. Was, fromme Mutter, hast Du, daß Du so Deine Zeit
mit Weinen verbringst,
8. die immer grünt mit den Zweigen des goldenen Frie-
dens?
9. Oder willst Du gegen die Gaben Gottes so undankbar
scheinen,
10. oder erinnerst Du Dich nicht, in welchem Glanz177 des
Lichtes Du funkelst?
11. Hat er (Gott) Dir doch solche Ehre zuteil werden lassen,
12. welcher sich kein anderer Ort auf dem Erdkreis rühmen
kann.
13. Denn da er es in seiner Güte so gewollt hat,
14. Daß Du, abgeschieden von allen (andern) Ländern, in
besonderem Frieden ruhst,
15. so, in Freiheit mächtig, irdische Geschäfte verachtend,
16. verbindest Du Dich nur der Liebe zu dem alleinigen
Gott,
17. was als unvergängliches Lob (wahrer) Freiheit gilt,
18. glühend ergeben dem Dienst der hl. Maria,
19. wirst Du (selbst) würdiger ihr Pfühl auf Erden genannt;
20. diesen besonderen Ruhm hat Dir jener Gütige gebracht,
21. Den die Jungfrau geboren hat, von heiligem Odem an-
geweht.
22. Warum hüpfst Du nicht vor Freude, die Du von Reich-
tum überfließest?
23. Was zu den Sternen fliegt, was des Meeres Woge trägt,
24. was die Erde erzeugt, steht Deinem178 Gebrauch zu Ge-
bote.
Augia
25. Sohn, was sprichst Du? Du bist ein Kind und sprichst
kindische Dinge.
26. Was erdichtest Du, daß ich mich quäle mit sinnloser
Trauer,
27. da doch mein Gemahl179 mich verachtet und einsam
zurückläßt
28. wie eine Gefangene, von keinem Trost gestützt?
Poeta ,
29. Wie es beim Kinde Brauch, sage ich jetzt Kindisches.
30. Ich muß reden, auf keine Weise kann ich schweigen,
175 Structura. Wegen der Bedeutung des Singulars für die bau-
geschichtliche Auswertung dieser Stelle siehe Hauptarbeit IV C 5 b.
176 Von Pertz richtig ergänzt.
177 „Stemma". Hier wohl nicht als „Krone", sondern in über-
tragener Bedeutung.
178 tis — tui (Pertz). Siehe auch Manitius (II, 510, 3).
179 Entsprechend dem im ganzen Gedicht durchgehaltenen Cha-
rakter des Verhältnisses zwischen Abt und Augia wird man
„sponsus" mit Gemahl, nicht mit Bräutigam zu übersetzen haben.

109
 
Annotationen