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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Hansjakob, Heinrich: Ein Glücklicher
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0047

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in Freiburg so heitere Himmel mit einem riesigen
Schneefall.
Das ganze Thal war unsichtbar vor lauter
Schnee, der, die Luft verfinsternd, vom Himmel
fiel. Nicht einmal das liebe Hasle, meine Vater-
stadt, und seinen silbernen Kirchturm sah ich;
ein lebendiger Schneemantel umhüllte beide.
Wir fuhren vorbei; denn auch in Hasle darf
man die Glücklichen nicht suchen, höchstens
unter den dermaligen Insassen des Kinderhimmels.
Mein Freund suchte aber einen grofsen, er-
wachsenen Menschen, der sich für glücklich
hält, und diese Sorte ist schwer zu finden.
Augenblicks- und Stunden-Glückliche giebt’s
zwar in Hasle mehr als irgendwo, weil hier
durchschnittlich lustige und durstige Leute
wohnen. Aber dieses Genre hat oft Katzen-
jammer, und dann ist das Glück dahin.
Wir zwei, die heute über Schnee und durch
ein Schneemeer hindurchfuhren, wir suchten
einen Glücklichen von Stand und Profession;
darum zogen wir auch an Hasle vorüber.
Acht Minuten später setzte uns der Dampf-
wagen in Husen ab, wo wir zu unserem Schreck
erfuhren, dafs der Zug ins obere Kinzigthal
schon fort sei. Es war ihm zu lange gegangen,
bis unser Zug sich von Offenburg her durch den
Schnee durchgekeucht hatte, und er war, ohne
auf uns zu warten, abgefahren. Die Württem-
berger sind die Herren dieser Linie, und sie
hatten gefürchtet, zu spät in die Residenz aller
Schwaben, Stuttgart, zu kommen, darum waren
sie abgedampft.
Eine Stunde mufsten wir warten, bis ein „ge-
wöhnlicher Zug“ die zwei Forschungs- und
Entdeckungsreisenden weiter spedierte.
Im kleinen Wartesaal, der von Steinkohlen-
wärme strotzte, trafen wir ein junges Mädchen in
der Tracht der Hanauerinnen. Es safs, still vor
sich hinbrütend, auf einer Bank, und über seinem
nicht schönen Gesicht lag etwas wie Melancholie.
Ich fing ein Gespräch an mit ihm und erfuhr:
Es ist im Dienste bei dem Maler Liebich im
nahen Dorfe Gutach und bei einer Hochzeit in
seiner Heimat gewesen. Es war so schön bei
dieser Hochzeit, und das Heimweh und die Er-
innerung an die eben verlebten schönen Stunden
haben auf das Gesicht des Mädchens den melan-
cholischen Zug gezeichnet.
Die junge Hanauerin war einige Stunden
glücklich, um sich hintendrein um so unglück-

licher zu fühlen. Dazu plagte sie, wie mir
schien, auch die Liebe, die Göttin alles Unheils.
So konnte ich das Maidle meinem Freund
nicht als Muster von Glück präsentieren.
Wir fuhren nach langem, bangem Warten
weiter gen Wolfe, der Haupt- und Residenzstadt
im oberen Kinzigthal. In zwanzig Minuten ist
sie erreicht, in tiefen Schnee zwischen weifsen
Bergen eingebettet.
Am Bahnhof steht der Schlitten der Salmen-
wirtin und bringt uns hinauf ins Städtle. Gleich
bei der Einfahrt tönt mir ein vielstimmiges
Freudengeschrei nach. Es kommt aus dem
Wirtshaus zur Krone, wo an den geöffneten
Fenstern eine Schar junger Bürger von Hasle
stehen. Die haben mich im Vorbeifahren er-
kannt und schreien ihrem Landsmann, den sie
heute überall eher vermutet hätten als in dem
Schneemeer zu Wolfe — kräftig nach.
Vor dem Salmen, wo wir Mittag machen
wollten, abgestiegen, schritt ich hinab zu den
lustigen Haslachern. Ihrem Freudengeschrei
nach glaubte ich, sie wären trotz des Schnee-
wetters trunken von Glück. Als ich aber erfahren,
dafs sie hier bei Amt gewesen seien als Gläubiger
eines verganteten Schuldners, merkte ich, dafs
ihr Humor nur galgenartig sei.
Zu meinem Hotel zurückgekehrt und in das-
selbe eingetreten, treffe ich die junge, sonst so
lebensfrohe Wirtin in tiefster Trauer. Ihr Mann
ist vor kurzem gestorben, und sie zählt darum
heute zu den Unglücklichen erster Klasse.
Während wir afsen, fiel der Schnee ununter-
brochen und in dichtester Fülle vom Himmel,
so dafs ich aus Gesundheitsrücksichten mich
fürchtete, im offenen Schlitten den Weg nach
dem Schwarzenbruch, einer über zwei Stunden
entfernten Bergmulde, mitzumachen. Ich schlug
meinem Begleiter vor, allein zu fahren. Der
Moosbur im Schwarzenbruch, mein Freund,
durch Extraboten mit Telegramm von unserem
Kommen unterrichtet, würde ihn auch ohne
mich gut aufnehmen.
Doch der englische Forscher, die Salmen-
wirtin und der Arzt Moser, der mit uns gespeist
hatte, bestürmten mich, ja nicht zurückzubleiben.
Zu dem eigenen Pelzmantel und dem englischen
Decken-Park gab die Wirtin noch weitere
schützende Hüllen und vorab ein Paar Pelzstiefel.
Eingepackt wie ein Eskimo bestieg ich um
ein Uhr den Schlitten, und fort ging’s in den

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