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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Neue Bücher.

EIN VERSUCH ÜBER ALFRED MOMBERT.
Einige bedeutende Künstler und Kritiker glau-
ben, dafs in der lyrischen Kunst des Alfred
Mombert vieles enthalten sei, das uns den
weiteren Weg zeigen könne. Ich kann das nicht
für wahr halten und ich möchte in Folgendem ver-
suchen, aus dem Wesen und Gebahren Mombert-
scher Dichtung zu erweisen, dafs sie einen jener
blinden Seitenwege eingeschlagen hat, die jeder
Entwicklung einmal drohen. Aus der Reihe seiner
Werke will ich nur das erste und das letzte
herausgreifen, „Tag und Nacht“, Heidelberg
1894 und „Der Denker“, Minden 1901. Sieben
schaffende Jahre liegen zwischen beiden Büchern,
aber diese Jahre genügen uns nicht, um die Ver-
änderung zu erklären, welche der Dichter in
dieser Zeit an sich hat erfahren müssen. Die
Volksanschauung sagt zwar, dafs in sieben Jahren
ein Mensch gänzlich ein anderer werden könne,
doch wird durch solch einfache Feststellung
unsere naturwissenschaftliche Auffassung wenig
gefördert. Es scheint uns, als wenn zur Erklä-
rung der Erscheinung Mombert etwas Tieferes
nötig sei, etwas, das stärker ist, als sieben
Schaffensjahre eines Einzelmenschen, stärker, als
eines Einzelmenschen ganze Gehirnkraft und
Lebenszeit.
Es ist nicht eben schwer, jenes erste Buch
Alfred Momberts zu begrenzen. Es ist offen-
herzig und trägt viele Keime sichtbar in der
Hand, Keime der verschiedenen Arten lyrischer
Kunst, die beim Dichter wohl vorgebildet waren.
Das folgende Beispiel zeigt uns, dafs in Mom-
bert ein Dichter jener kleinen feingedrechselten
Gassenliedchen verborgen lag, nach denen jetzt
die Berliner Kabaret-Gröfsen so sehr suchen
müssen, weil sie so selten sind:
Piccolo und Piccola.
Dienten beid in einer Schenke,
Schleppten Bier und wischten Bänke,
Piccolo und Piccola.
Schliefen beid in einer Kammer,
Kauten beid an einem Jammer,
Piccolo und Piccola.
Hart das Lager, kalt der Winter,
Und zwei schöne Bettelkinder,
Piccolo und Piccola.
Kinderpärchen! Liebespärchen! —
Nur das Ende fehlt dem Märchen
Piccolo und Piccola.
Und oft genug äufsert sich ein Witz, welcher
der Art Heines nicht fernsteht und dem Wesen
Momberts einen bedeutsamen Schatten giebt:
Das reine Sein.
Wie ist es still in meinem Haus.
Die Sinne warf ich grob hinaus,
weil sie mein bestes Sein vertranken,
und wirtschafte mit den Gedanken.

Ich trommle müssig auf dem Tisch,
ein von der Schlack befreites Ich;
sie stehen gähnend in der Ecke
als ausgediente Turnerböcke.
Ein Windstoss klopfet an die Thür,
steckt durch den Spalt den Kopf herfür —
puh, zieht er ihn zurück! Da drinnen,
merkt er mit Schreck, ist man vonsinnen.
Wir nähern uns dem reinen Sein,
es schläft die ganze Wirtschaft ein.
Bald werden nur noch Fliegen summen,
bis sie verdummen und verstummen ....
Damals verstand es Mombert auch noch,
Wirklichkeitsbeobachtungen des Kleinen und
Kleinsten in festem Umrifs wiederzugeben:
Pfründnerhaus.
’s ist Dämmerzeit. Ich steh am Fenster
und schau ins Nachbarhaus hinüber.
An jedem Fenster ein Mütterlein.
Das Eine webt mit seinem Schädel.
Das Eine ringt die welken Hände.
Das Eine stützt das scharfe Kinn.
Und mählich flort die Dämmerung
um all die seltsamen Gestalten
und schlürft sie auf. Und es ist Nacht.
In einem Zimmer wird es Licht.
Das Wärtermädchen bringt die Lampe
und stellt sie schraubend auf den Tisch.
Im nächsten Zimmer so. Und weiter.
Es ist das Totenhaus beleuchtet.
Von jedem Fenster trippelt jetzt
ein Mütterlein zu seinem Licht ....
Durch die ganze Sammlung ist eine starke
Gegenständlichkeit zu merken, eine begeisterte
Hingabe an das Weite und Enge der Natur,
eine wechselreiche Fülle der Dinge unseres
Lebens wird anschaulich gesagt.
Nun kamen sieben schaffende Jahre für Alfred
Mombert. Keinem der drei vorgebildeten Wege
folgte er, sondern einem vierten, der in „Tag
und Nacht“ nur selten angedeutet war (z. B.
„Heimgang“ Seite 119). „Die Schöpfung“ und
„Der Glühende“ entstand. Die Einen beteten
an, die Andern glaubten vor Lachen vergehen
zu sollen. Bei den Recitationen seiner Werke
kam es zu Schlachten, es wurde gepfiffen und
getobt; der Name Mombert lief bestaunt und
belächelt durch die Tagesblätter. Dann erschien
zuletzt 1901 „Der Denker“.
Der „Denker“ erweckte mir ein lautes Unlust-
gefühl. Vom ersten Eindruck des Buches will
ich ganz absehen. Weil es mich durch gewisse
Äufserlichkeiten, durch oberflächliche Verbin-
dungen der Gedanken, durch Klangassociationen
und auffallende Gröfsen- und Kleinheitsvorstellun-
gen an rein pathologische Erzeugnisse erinnerte,
gab ich mir auf, nun erst recht scharf zuzusehen,
um nicht Unrecht zu thun.
Die Szene des „Denkers“ ist die heroische
Landschaft höchsten Stils. Diese heroische Land-
schaft enthält eine Gefahr, die Mombert nicht

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