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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 4.1902

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Poppenberg, Felix: Anzengruber-Spiegelungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.49103#0211

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Mannes umrissene Genrebilder; leidenschaftlich
hingewühlte Zettel aus den Stunden der Selbst-
einkehr, voll grofsem und ergreifend schlicht sich
ansprechendem Lebensernst und unbeirrtem Er-
kennen des eigenen Wesens unter den Lumpen
und lächerlichem Flitterkram der gegenwärtigen
Existenz; Freundschaftsbriefe von einer Herz-
lichkeit, voll starken Zuspruchs und einer
Gefühlswärme ohne jedes in Worten kramen;
Kunstbekenntnisse des Dichters an Verstehende
mit bewunderungswürdiger Sicherheit der Distanz
zu dem eigenen Schaffen und einem ganz seltenen
Grad von Takt und Richtigkeit in der Formu-
lierung seines Ichs; — bunt gemischt dunkle
und helle Blätter! Fröhlich, voll Herzensheiter-
keit konnte Anzengruber sein, dafs es denen,
die mit ihm waren, hell und sonnig wurde, und
unter Leiden, Zweifeln und Enttäuschungen, im
tiefen Schatten schwarzer Stunden giebt er ein
ergreifendes Schauspiel, wie in Trauern und
Ertragen Gröfse liegen kann und wie er auch
in der wortkargen Klage ein Ganzer bleibt. Und

dafs des Lebens Überflufs voll werde, schlüpfen
zwischen diese Blätter auch die Zettel aus dem
Alltag, aus dem äufseren Philistermilieu des
Redakteurs, Hausvaters und sefshaft-trunkfesten
Abendschöpplers, der sein stillvergnügtes Be-
hagen mit ein paar Freunden am runden, weifs-
gescheuerten Tisch bescheidener altwiener Gast-
wirtschaften spann und ,,etliche Trünke über
den Durst“ nicht verschmähte.
* *
*
Zigeunerbriefe sind die Episteln der zwanziger
Jahre an den Jugendfreund Franz Lipka. Sie
geben einen getreuen Spiegel jener „prähistori-
schen Zeit“, in deren Erinnerung es dem Dichter
später manchmal unheimlich wurde. Im un-
klaren Gefühl einer theatralischen Sendung, un-
gewifs ob zum dramatischen Dichter oder zum
Schauspieler bestimmt, läfst sich ein mittelloser
Jüngling in den trüben unstäten Strom herum-
ziehender Schauspielgesellschaften treiben. All
die lächerliche Erbärmlichkeit und niederträchtige
Komik der Schmierentruppen in den unmög-
lichsten Orten Ungarns und Kroatiens ge-
niefst er gründlich: mit der Kasse durch-
gegangene Direktoren, Schillervorstellungen,
bei denen „dem Schillerschen Skelett die
Knochen geschauert haben müssen“, eine
Maria Stuart-Aufführung, bei der er allein vier
Rollen spielen mufs, Irrfahrten durch Hunde-
nester, deren unwahrscheinliche Namen:
Vincorce, Warasdin, Kanisza, Czakathurn er
humoristisch aufzählt. In den Briefen aus
diesen harten Zeiten, in denen er manchmal
„Lampenputzer, Pudelwascher, Pferdestrieg-
ler, Rauchfangfeger“ werden möchte, steckt
schon der ganze Anzengruber. Miserabel
geht es ihm, zur Überzeugung wird jetzt
schon das erst später ausgesprochene Wort:
„Pech ist mein Lebenselement“, doch er
läfst sich nicht unterkriegen: „Wundert Dich
etwa mein guter Humor?“ schreibt er, „nun,
so weit sollst Du mich schon kennen, dafs
dies kein Zeichen des Wohlergehens bei mir
ist, ausgelassen sein kann ich trotz allem.“
Dieser Humor, der sich hier sehr burschikos,
kraus, schweifig und grell gebärdet, wie um
mit lärmendem Dreinschlagen andere Stim-
men zu übertönen, ist seine befreiende Waffe
und seine Tarnkappe. Nicht aus leichtem
Sinn kam er, der Ernst stand schwer und
gewichtig dahinter; aber das Ernste wollte
diese spröde tiefe Innerlichkeit lieber mit
sich allein abmachen oder den seltenen Stun-
den der Aussprache vorbehalten. In ihnen
findet Anzengruber dann Worte voll sicheren
Gefühls, die niemals auch nur die Grenze
des Sentimentalen streifen: „ich mag kein
Gesalbader.. ich bin kein Freund nasser
Augen — sind sie da — so mögen sie sein
— meine bleiben auch nicht trocken, wenn
ich fremde Augenpaare nafs sehe — aber ich


Heinrich Baucke: Sieger im Faustkampf.

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