Moderne. Seine Werke bestehen nur aus zwei
wenig umfangreichen Bänden, dem Frühlings-
gedichte „Mai“ und den „Versen“, aber durch
diese allein schon ist er einer von ihren Ersten.
In „Mai“ ssirrt und wirrt es von Farben, die
Luft blitzt wie von Demantnadeln, alles ist
zitterndes Leben. Doch besser, als Worte seine
Art zu schildern vermögen, mag sie eine kleine
Probe aus dem Gedichte zeigen, eines seiner
Meeresbilder, bei denen man an Böcklins Kom-
positionen denken muss, vielleicht in der Weise
Segantinis gemalt:
In einer Wasserwiege weit im Meer
(Tausend Schaumdecken wogen ringsumher)
Erwacht’ ein junger Triton, und ein Lachen
Durchssog sein Antlitz, wie er im Erwachen
Rings Wasserhügel sah und über sich
Ein Wölkchen weiss, das einem Turme glich.
Ein Horn lag blank und golden ihm im Arm,
Er blies hinein; wie Sommerregen warm
Fiel aus dem goldnen Munde Ton auf Ton,
Dann, lauter lachend, wandt er sich, und schon
Schwamm er durch einen Wasserfall von Schnee
Und Schaum, wie er in jedem Tal der See
Zwischen zwei Wasserbergen steht; ganz licht
Im Nest von Kräuselwellen liegt der Wicht,
Kaum erst gewaschen auf der Mutter Schoss;
Von Tropfen glänzt er; überrot und bloss
Langen die Ärmchen. Und so trieb er hin,
Zwischen den aufgeblasnen Backen in
Dem Mündchen seinen goldnen Kelch, den Quell
Von goldnen Klängen; eine Vase, hell-
Milchweiss war er, voll von gemischtem Wein,
Im Porzellan ein feurigroter Schein.
Nun sitzt er in der Flut und sieht von Wogen
Und neuen Wogen lachend sich umzogen;
Er lacht und dehnt den glänzend lichten Arm,
Und durch die Wasser geht laut ein Alarm.
Die „Verse“ enthalten Stücke in einheitlichen
Farben, Gedichte in Rot, in Schwarz, in Gold,
in Grün, auch in Farbenaccorden wie Blau-
Weiss-Gold. Der Impressionismus, der in Jacques
Perk sich anzukünden begann, ward hier Er-
füllung. Die Sprache ging vielfach bis an die
äusserste Grenze, durch die wahre Kunst von
blosser Manier getrennt ist. Gorters Nachfolger,
wenn er welche fände, könnten nur Manieristen
sein, wie es van Rysselberghe als Maler ist,
seine eigenen Verse aber, ganz neu und einzig
in ihrer Art, werden mit Recht bewundert. Die
holländische Lyrik würde um vieles ärmer sein,
müsste sie diesen Klang vermissen, durch ihn
aber wird auch die letzte Möglichkeit erfüllt
und es bleibt dem Nachgeschlechte auf ihrem
Gebiete wohl keine Entdeckung mehr vorbehalten.
Schon unter den jüngeren Zeitgenossen macht
sich dies bemerkbar. Mehrere Talente wandten
sich darum der Erzählung oder dem Drama zu,
die beide bisher ausfallend geringe Pssege ge-
funden hatten, wenn man von Alltagserzeugnissen
absieht; in der Lyrik erreichte keiner wieder
die Bedeutung eines Perk, einer Helene Swarth,
eines Kloos, Frederik van Eeden und Gorter, so
viel Anerkennung auch einem H.J. Boeken, einem
P. C. Boutens, einer Lucie Broedelet und Henriette
Roland Holst van der Schalk zu teil geworden
ist. Unter den zuletzt Aufgetretenen ward Frans
Bastiaanse besonders freudig begrüsst, ein Dichter
von vielen Vorzügen, schöner Diktion und reicher
Empfindung. Im allgemeinen jedoch wird man
die grosse Periode der holländischen Lyrik für
abgeschlossen betrachten müssen, eine Periode,
die man schon heute eine klassische nennen
darf, ohne etwa zü schmeicheln oder auch nur
zu überschätzen. Freilich nicht in dem Sinne
ist sie klassisch, wie es die deutsche Literatur
des achtzehnten Jahrhunderts war, sondern be-
schränkt auf ihr Land und ihr Volk, wie es jene
des siebzehnten Jahrhunderts gewesen, nur be-
deutender als sie und ein vollerer Ausdruck der
Volksseele, wie sie in den Dichterseelen ihre
Gipfel erreicht.
Jozef Israels,
den Haag.
Netzflickerin.
wenig umfangreichen Bänden, dem Frühlings-
gedichte „Mai“ und den „Versen“, aber durch
diese allein schon ist er einer von ihren Ersten.
In „Mai“ ssirrt und wirrt es von Farben, die
Luft blitzt wie von Demantnadeln, alles ist
zitterndes Leben. Doch besser, als Worte seine
Art zu schildern vermögen, mag sie eine kleine
Probe aus dem Gedichte zeigen, eines seiner
Meeresbilder, bei denen man an Böcklins Kom-
positionen denken muss, vielleicht in der Weise
Segantinis gemalt:
In einer Wasserwiege weit im Meer
(Tausend Schaumdecken wogen ringsumher)
Erwacht’ ein junger Triton, und ein Lachen
Durchssog sein Antlitz, wie er im Erwachen
Rings Wasserhügel sah und über sich
Ein Wölkchen weiss, das einem Turme glich.
Ein Horn lag blank und golden ihm im Arm,
Er blies hinein; wie Sommerregen warm
Fiel aus dem goldnen Munde Ton auf Ton,
Dann, lauter lachend, wandt er sich, und schon
Schwamm er durch einen Wasserfall von Schnee
Und Schaum, wie er in jedem Tal der See
Zwischen zwei Wasserbergen steht; ganz licht
Im Nest von Kräuselwellen liegt der Wicht,
Kaum erst gewaschen auf der Mutter Schoss;
Von Tropfen glänzt er; überrot und bloss
Langen die Ärmchen. Und so trieb er hin,
Zwischen den aufgeblasnen Backen in
Dem Mündchen seinen goldnen Kelch, den Quell
Von goldnen Klängen; eine Vase, hell-
Milchweiss war er, voll von gemischtem Wein,
Im Porzellan ein feurigroter Schein.
Nun sitzt er in der Flut und sieht von Wogen
Und neuen Wogen lachend sich umzogen;
Er lacht und dehnt den glänzend lichten Arm,
Und durch die Wasser geht laut ein Alarm.
Die „Verse“ enthalten Stücke in einheitlichen
Farben, Gedichte in Rot, in Schwarz, in Gold,
in Grün, auch in Farbenaccorden wie Blau-
Weiss-Gold. Der Impressionismus, der in Jacques
Perk sich anzukünden begann, ward hier Er-
füllung. Die Sprache ging vielfach bis an die
äusserste Grenze, durch die wahre Kunst von
blosser Manier getrennt ist. Gorters Nachfolger,
wenn er welche fände, könnten nur Manieristen
sein, wie es van Rysselberghe als Maler ist,
seine eigenen Verse aber, ganz neu und einzig
in ihrer Art, werden mit Recht bewundert. Die
holländische Lyrik würde um vieles ärmer sein,
müsste sie diesen Klang vermissen, durch ihn
aber wird auch die letzte Möglichkeit erfüllt
und es bleibt dem Nachgeschlechte auf ihrem
Gebiete wohl keine Entdeckung mehr vorbehalten.
Schon unter den jüngeren Zeitgenossen macht
sich dies bemerkbar. Mehrere Talente wandten
sich darum der Erzählung oder dem Drama zu,
die beide bisher ausfallend geringe Pssege ge-
funden hatten, wenn man von Alltagserzeugnissen
absieht; in der Lyrik erreichte keiner wieder
die Bedeutung eines Perk, einer Helene Swarth,
eines Kloos, Frederik van Eeden und Gorter, so
viel Anerkennung auch einem H.J. Boeken, einem
P. C. Boutens, einer Lucie Broedelet und Henriette
Roland Holst van der Schalk zu teil geworden
ist. Unter den zuletzt Aufgetretenen ward Frans
Bastiaanse besonders freudig begrüsst, ein Dichter
von vielen Vorzügen, schöner Diktion und reicher
Empfindung. Im allgemeinen jedoch wird man
die grosse Periode der holländischen Lyrik für
abgeschlossen betrachten müssen, eine Periode,
die man schon heute eine klassische nennen
darf, ohne etwa zü schmeicheln oder auch nur
zu überschätzen. Freilich nicht in dem Sinne
ist sie klassisch, wie es die deutsche Literatur
des achtzehnten Jahrhunderts war, sondern be-
schränkt auf ihr Land und ihr Volk, wie es jene
des siebzehnten Jahrhunderts gewesen, nur be-
deutender als sie und ein vollerer Ausdruck der
Volksseele, wie sie in den Dichterseelen ihre
Gipfel erreicht.
Jozef Israels,
den Haag.
Netzflickerin.