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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

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Heft 2
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Wygodzinski, Wilhelm: Wilhelm Steinhaufen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0086

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A). Zteinhausen: Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen.

(Nach dem Alandbild im Verlag Breitkopf und ^aertel, Leipzig.)

wilhelm Lteinhausen.

Von W. Wygodzinski.

ßür den austnerksamen Beobachter ist es kein
Eeheimnis mehr, daß die gegen Lnde des s9. Iahr-
hunderts auch in Deutschland so hosfnungsvoll ein-
setzende Bewegung, welche neben der geistigen
Rultur auch der ästhetischen zu ihrem Rechte ver-
helsen wollte, bereits jetzt auf schwere Mderstände
stößt. Die Ltimmen mehren sich, die Linspruch
gegen ein „Zuviel" der Runst erheben, als ob es
ein solches Zuviel geben könnte, als ob nicht gerade
die Durchdringung aller Lebensverhältnisse das
Lndziel aller künstlerischen Rultur wäre.

llnd doch haben jene Ltimmen — sie gehören
zum Teil den feinsten Teistern an — nicht so ganz
unrecht. lDenn wenn die Runst die hohe Iorderung
erheben will, Temeingut aller zu werden, muß sie
dazu auch die innere Berechtigung haben. Mr
dürsen dem Volke nichts ausdrängen, was es als
eigen, als ihm verwandt nicht anerkennen kann;
und diese Korderung, nur Berwandtes zu geben,
wird nicht durchweg, ja vielleicht weniger ersüllt,
als unter den Rünstlern selbst viele auch nur ahnen.

Man sagt ost, wir lebten in einer dekadenten
Zeit. Das ist teilweise auch richtig; viel Morsches,
Haules,, Lebensunfähiges, Ztumpsheit oder per-
verse Überreizung der Linne drängt sich uns aus
Lchritt und Tritt aus. Aber in welcher Lpoche
der Nenschheit — und jeder große wendepunkt
bedeutet einen Lchritt vorwärts aus Trümmer und
Lchutt derVergaugenheit zu sreiem großem Nenschen-

tume — hätten sich nicht dieselben Zeichen und
Lrfahrungen gezeigt? Line alte Rultur hat sich
überlebt, eine neue ist im gärenden Lhaos. A)enn
eine neue Welt geboren werden soll, muß viel zer-
brechen und vernichtet werden.

Zweimal ist dem Riesen, den wir Volk und
Volksbewußtsein nennen, die verhängnisvolle Wut
gekommen, in der er, aus dem Zchlase erwachend,
den er wie die Riesen des deutschen Volksmärchens
schlies, eine Mlt in Lrümmer schlug; das war
einmal zur Zeit der Reformation und ein zweites
Nal zur Zeit der sranzösischen Revolution. Dieser
surchtbareRiese ist aber, auch wie imNärchen, zugleich
leichtgläubig und leicht zu bewältigen wie ein Rind.
Lr läßt sich immer wieder mit Zuckerzeug und
Närchen heruhigen; im s9. Iahrhundert nannte
man sie Hortschritt der Mssenschast, Herrschaft
über Naturkräfte, steigenden volkswohlstand. Das
Lchlummerlied wirkt nicht mehr; neues Zehnen
nach höheren Gütern erwacht. Wir stehen vor der
Dämmerung der Ieit, da die Unmündigen mündig
werden, da den Linsältigen wirklich das Himmel-
reich gehären wird, weil sie keiner mehr daraus
vertreibt.

Taß wir vor einer solchen Ieit stehen, beweist
zweierlei: Linmal die ungeheure und unabsehbare
Nacht, die das wahrhafte Lhristentum durch all
den Lärm der Welt wieder aus die Temüter zu
gewinnen beginnt, und dann die Mrke unserer

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