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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Saar, Ferdinand von: Dissonanzen: Eine Geschihcte aus Österreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0091

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issonanzen?

Linc Eeschichte aus Vsterreich.
von Kerdinand von Laar.

Ls war großer Iagdtag gewesen. Line An-
zahl von Eästen, die nach dem späten Diner ihre
benachbarten Alohnsitze noch zu erreichen vermochten,
suhr in leichten Wagen durch das Portal in die
dunkle, frostige Herbstnacht hinein. Desto behag-
licher sühlten "sich die Zurückbleibenden in dem durch-
wärmten, hell erleuchteten Rauchzimmer, das an
die gewölbte Zpcisehalle stieß. Dort saßcn sie nun
weit zurückgelehut mit gekreuzten Beinen, die langen
Lpitzen der sunkclnden Lackschuhe vor sich hin-
streckend, plauderten, lachten, schlürsten Aognak oder
Lhartreuse, bis sie sich endlich anschickten, mit dem
Lchloßherrn ein kleines Baccarat zu machen. Auch
eine schöne junge Sräfin, Lchwester des Kürsten,
die sich in ihrer blaßgelben Orsps-cls-OIiins-Toilette
zwischen den schwarzen Lmokinganzügen der Herren
gleich eincr Teerose ausnahm, beteiligte sich an dem
Lpiel. Lie hatte schon die Iagd mitgemacht und
langte jetzt, eine große Zigarre zwischen den Lippen,
mit ihren nervigen, prachtvoll beringten Lports-
händen nach den Aartenblättern, die ihr zugezählt
wurden.

Während sich nun hier unten die Ausregungen
des Lpieles immer lauter äußerten und stets neue
tzavanas aus den Ltaniolhüllen gelöst wurden, so
daß des angehäuften Rauches wegen ein Kenster-
flügel geöffnet werden mußte: war oben im Zalon
ein kleinerer, stillerer Areis um die Hürstin-Nutter
versammelt. Diese, eine stattliche Dame mit leicht
ergrauten Haaren, saß in einem tiefen, äußerst be-
quemen Sauteuil und bewegte mit den seinen,
schimmernden Hingern zwei Ltricknadeln aus Llsen-
bein, mit denen sie, einen Anäuel Wolle vor sich,
sür arme Dorskinder Iäckchen und Räckchen an-
sertigte. Dieser ruhigen, mechanischen Arbeit pslegte
ßürstin Therese einen vorwiegend großen Teil ihrer
Zeit zu widmen, während ihr beständig reger Teist
nach allen Richtungen hin seine Sühler ausstreckte.
Lie selbst nahm nur selten ein Buch zur Hand,
was durch eine gewisse Zchwäche ihrer Augen be-
dingt sein mochte. Aber vier personen waren ab-
wechselnd beschästigt, ihr viele Ltunden des Tages
und der Nacht vorzulesen, so daß ihr keine nur
irgend nennenswerte literarische Lrscheinung fremd
blieb. Russen und Deutsche liebte sie sehr; Hran-
zosen, Lngländer und Lkandinavier standen in
zweiter Linie, wenn sie auch diese keineswegs
geringer schätzte, wie denn die Gbjektivität ihres
Urteiles in den meisten Dingen Lrstaunen erregen
konnte. Auch wissenschastliche Werke wurden zur
Lektüre herangezogen, man war aber begreislicher-
weise nicht imstande, sie erschöpsend durchzunehmen.
Daher strebte die Kürstin aus solchen Gebieten nach
Belehrung durch mündliche Unterhaltung, indem sie
Gelehrte, Uünstler und Lchriftsteller in ihre kleinen
Zirkel lud, wo die meisten sehr bald heimisch wurden,

* Aus „Lsmscs obssuru". (verlag 8. Meiß, Aassel.)

da ste sühlten, daß man ihnen hier wirkliches
geistiges Interesse entgegenbrachte.

Diesmal besand sich im Lchlosse ein junger
Doktor zu Gast, der in A)ien als Privatgelehrter
lebte. Ligentlich Polyhistor, hattc er sich seit einiger
Zeit ganz" aus die Zozialpolitik geworfen und durch
eine Reihe publizistischer Artikcl ungemeines Auf-
sehen erregt. Lr wurde daher viel in Tesellschast
gezogen, selbst in die hervorragendsten Ureise, denn
er besaß auch sehr angenehme weltmännische Ligen-
schasten. Lr war ein ganz vortrefflicher Reiter
und Tänzer und zeichnete sich besonders als kühner
Radfahrer aus. Als die Zürstin, die mit ihm im
Lause des Winters an einem dritten Hrte zusammen-
getroffen war, erfahren hatte, daß er in einer be-
nachbarten Ltadt Vorlesungen halte, schrieb sie ihm
dorthin und bat ihn, auf der Rückreise das Lchloß
zu besuchen. Lr hatte die Linladung verbindlichst
angenommen, hatte sich gleich bei seinem Lintreffen
den Iägern angeschlossen und saß nun in tadel-
loscm Srack und weißer tzalsbinde zur Rechten der
Wrstin, die sich mit ihm über die soziale Krage
unterhielt. Leine schmalen Lippen umspielte dabei
ein halb dienstfertiges, halb ironisches Lächeln,
während seine runden, stahlblauen Augen in einem
kalten ßeuer gläuzten. Lonst aber blieb sein Ge-
sicht unbeweglich wie die auffallend kahle Achädel-
decke, die sich, nach oben etwas zugespitzt, wie ein
halbes Ltraußenei ausnahm. Der Sürstin zuge-
wendet, schien der berühmte Doktor bei seinen Aus-
einandersetzungen die übrigen Anwesenden gar nicht
in Betracht zu zichen.

Anter diesen besand sich auch ein Lchwager der
Fürstin, Graf Lrwin. Als zweiter Bruder ihres
verstorbenen Gemahls hatte er niemals ein beträcht-
liches Vermägen beseffen und auch dieses in seiner
bewegten jungen und jüngeren Zeit nahezu aufge-
braucht. Geistig begabt und im Theresianum er-
zogen, war er zum höheren Ltaatsdienste bestimmt
gewesen. Aber er zog es vor, in die Armee zu
treten. Als Rittmeister bekam er es satt und ließ
sich der Tesandtschast in Nadrid attachieren, wo er
bald Legationsrat wurde. Dennoch schien er es
auch dort nicht nach seinem Geschmack gesunden zu
haben. Denn als die Lrrichtung des mexikanischen
Thrones im Zuge war, trat er als Akajor in die
Dienste des unglücklichen Aaisers Nax. Nachdem
die Tragödie mit der Aatastrophe von Äueretaro
ihren Ausgang genommen hatte, kehrte er, ange-
griffen vom tropischen Alima, als müder Aiann
nach Luropa zurück, um sortan in vollständiger
Zurückgezogenheit auf dem Hamilienstammgut zu
leben. Lr bewohnte, etwas abseits vom Lchlosse,
einen in Rokokostil erbauten Pavillon, der nun-
mehr mit dem ausgedehnten Park und der nächsten
landschastlichen Umgebung seine N)elt geworden
war. Bis aus die seinen Aigarren, die er rauchte,
war er vollständig bedürsnislos und ließ sich, wenn
er allein mit seinem Diener hier hauste, oder auch
sonst, wenn es ihm gerade in den Linn kam, von
einer Gärtnerssrau ein sehr schlichtes LNahl bereiten.

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