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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 14
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Schulte, Heinrich: Verschiedene Hühner oder Wie schön wäre die Welt, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0362

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erschiedene Sühner
oder wie schön wäre die welt.

Line moralisierende Eeschichte mit überflüssiger
Vorrede. Von Heinrich Zchulte.

(Schluß.)

Der Vikar erwiderte: „Zie kommen da mit
Sachen, die ja handgreislich scheinen. Ich will
Ihrem Beispiele folgen und auch das Handgreifliche
aus meinem letzten Linwurs hervorheben; er ist
nur etwas realistischer und deshalb auch wirklich
handgreiflicher. Ist es denn auch nicht wahr, daß
bei Ihrer Liebe die äußerliche Schönheit eine
tzauptrolle spielt? Me wollen Sie das denn mit
Innerlichkeit und Dauerhaftigkeit zusammenreimen?"

Nun auch das noch. Nun, der Linwurf kam
mir gelegen.

„Daß die äußerliche Schönheit eine große Rolle
spielt, gebe ich gern zu, wogegen Zie mir ein-
räumen müsfen, daß sie alles andere Tute nicht
ausfchließt.

Gb fie aber die Hauptrolle spielt, hängt davon
ab, ob der liebend-urteilende Nensch selbst mehr
Leib als Leele ist. Ihnen sind doch ficher auch
Beispiele bekannt, wo bei dem Nangel äußerlicher
Zchönheit die innere als alles verdeckender Schmuek
empfunden wurde und zur Liebe zwang. Und
doch ist diese Liebe ^ eigentlich keine menfchliche, fie
ist zu geiftig, engelhaft, und zum tzeiraten genügt
sie ebenfowenig als die bloß finnliche.

Das Ideal ist innere und äußere Zchönheit in
ihrer heute fo seltenen Vereinigung. Zelten, weil
so vieles krank ist an der Rulturmenschheit. Innere
Zchänheit ist innere Tesundheit. Rußerliche Zchön-
heit ist Tesundheit des Nörpers. Ihre Nerkmale
aber haben sie beide äußerlich, und die Natur hat
das Lrkennen so leicht gemacht.

Beide strahlen sie freudig aus den klaren
osienen Augen; beide leuchten fie anziehend aus
den heiteren harmonischen Zügen; beide sprechen
sie deutlich durch Haltung und Tebärde."

Bei dieser begeisterten Beschreibung schwebten
mir unwillkürlich die beiden vor, deren Lache
ich hier so sonderbar vertreten mußte. Ia, sie
waren so.

„Alle Abnormitäten und krankhasten Zustände
sind Heinde der Zchönheit. Ia sogar die künftigen
Nrankheiten verzerren fie, oder besser: den Nenschen.

„Line Venus und ein Apoll sind nicht nur Be-
weise sür die Höhe jener Aunst; sie sind auch
Zeugen einer klassischen Zeit der Tesundheit. Die
Büste eines Augustus zeigt uns das Tegenteil.

„Nun aber — und das ist das Wichtigfte —
wirken innere und äußere Zchönheit in hohem
Naße auf die Nachkommenfchast. Und so sormuliert
fich der Naturzweck also: Anziehung und Ab-
fchreckung im Dienste der Zuchtwahl. Verzeihung!
etwas brutal, nicht wahr, aber sachlich. Lrschrecken
Zie nur nicht; denn etwas Außergewöhnliches ist

nicht dabei. Von der Linseitigkeit und dem Auch-
menschen ist es leider ein unendlicher Zchritt bis
zum unbegrisienen Übermenschen. Vorerst sehe ich
nur die schwierigste Bemühung, einen ganzen
Nenschen zu erhalten. Weil eben das Anvoll-
kommene sucht und das Unvollkommene gesunden
wird, darum begnügt sich die Natur mit einem
Ausgleich: jeder schätzt am andern das, was ihm
am meisten mangelt.

Verzeihen Zie bitte diese Ausführlichkeit. Aber
vielleicht ist sie Ihnen interessant, und das wäre
mir schon wichtig genug sür das Ziel, das ich so
gern erreichen möchte. Und deshalb dem Teistlichen
gegenüber auch etwas Teistliches. Der hl. Kranz
v. Zales sagt bekanntlich: ,Urankheiten bessern
den Nenschen seltenü Und an das Nens sana
des Iuvenal brauche ich wohl nicht zu erinnern.

Tesunde Nenschen, wirklich gesunde Nlenschen
sind in der Regel teilnehmender, selbstloser und
liebenswürdiger. Die Urankheit dagegen ist die
beste Zchule, nur an sich selbst denken und alles
auf sich selbst beziehen zu lernen. Daß ein Tesunder
sähiger ist, geistig zu steigen und in widrigen Iagen
sich zu behaupten und zu stählen, ist klar.

Leider und unnatürlicherweise ist wirkliche
kärperliche Tesundheit und Lchönheit jetzt so selten,
und weil dies der Hall ist und weil auch in gleicher
Weise die innere schäne Uraft geschwunden ist,
darum wird mit der äußerlichen Zchänheit ein fo
übertriebener, unnatürlicher und darum sür das
schäne Gbjekt so verderblicher Uultus getrieben.

tzier wären wir denn auch ungewollt zu der
Zache gekommen, von der Zie so viel ersahren
und die Zie so häusig mit der Liebe verwechseln."

Als ich fchwieg, tat iclsis mit dem üppigsten
Bewußtsein, einmal etwas Überzeugendes geleistet
zu haben. Die Lache war mir selbst auch nie so
klar geworden als heute.

Me enttäuscht war ich deshalb über die
Mrkung. Ich bedachte nicht, daß ich ein Tebiet
gestreift hatte, in welchem bei ihm der Lkeptizismus
die höchste Potenz annahm. Lr machte ein Tesicht,
als wenn er sagen wolle: Nun ja, das hört stch
ja alles gut und schön an, aber daß es dahinter
eine breite Pforte sür Unvernunst und Unmoral
gibt, das ist sicher, wenn ich's auch nicht sosort
erkenne.

Besonders schien ihm die Unmoral im Bewußt-
sein zu stehen. Lr bedauerte es augenscheinlich,
diese Leite des Themas nicht eher hervorgekehrt
zu haben: diese seine starke oder schwache Leite.
Lr holte es nach.

„Nun ja," so begann er in wirklich ernstem
Tone, „zugegeben, daß das Verhältnis der Lhe-
gatten durch diese Iiebe etwas profitieren kann.
Das aber werden Zie nicht leugnen können, daß sie
stets bei ihrem Auftreten etwas in den Nenschen
hineinbringt, was seinem innern Hrieden und seinem
ewigen Heile geradeswegs entgegenläust: daß sie
ihn in ein Tebiet sührt, welches, wie Zie eben
selbst sagten, mehr tierisch als menschlich ist."

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