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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 9.1905

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Nr. 2
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Kisa, Anton Carel: Die Externsteine
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https://doi.org/10.11588/diglit.26234#0090

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Die Lxternsteine.

wie die phantastischen Tötzenbilder Indiens. Ls ist
das berühmte Relies der Areuzabnahme,
3,s5 Neter hoch, 3,60 LNeter breit.

Line wagerechte Lteinleiste teilt die Lildfläche
in zwei Leile. In der oberen größeren sehen wir
das Rreuz, von welchem der Leichnam Lhristi eben
abgenommen wird. Während die Süße noch neben-
einander ans dem Hußbrette befestigt sind, sinkt der
Dberkörper in fast rechtwinkliger Biegung nach
links herab. Lin bärtiger Zltann mit einem spitzen
geslochtenen Hute, rechts ueben dem Lreuze aus
einem geknickten Baumstamme stehend, Nikodemus,
hat die Hände von den Nägeln gelöst und läßt
den Leichnam in die Arme des Ioseph von
Arimathia herabgleiten. Zugleich saßt Naria die
herabhängende linke Hand Lhristi und lehnt sein
Haupt an das ihre, wobei sie die Rechte sanst an
dessen Ltirn drückt, — nach Eoethe „ein schönes
und würdiges Ausammentressen, das wir nirgend
wieder gefunden haben, ob es gleich der Tröße
einer so erhabenen Nutter zukommt". Auf der
andern Leite steht Iohannes, bärtig, mit einem
Buche und zum Zeichen der Lrauer erhobener
Rechten. Im Winkel zwischen dem oberen Längs-
balken und linken Euerbalken erscheint abermals
Lhristus in Halbfigur. Lr ist mit Nantel und
Untergewand bekleidet, sein Haupt schmückt der
Areuznimbus, seine Linke hält die Auferstehungs-
sahne und zugleich ein bekleidetes Uind, das sich
an seine Lchulter lehnt und die Händchen aus-
breitet. Nit der Rechten weist der Auferstandene
segnend aus den Sekreuzigten hinab. Zonne und
Alond trauern mit den Nenschen um den Tod des
Heilandes. Lie sind an den Lnden des Äuer-
balkens angebracht, als Halbfiguren, die ihre Tränen
in lang herabhängenden Eewandzipfeln trocknen;
sene als ein von einem Ltrahlenkranze umgebener
Iüngling, diese als eine weibliche, von einer Rund-
scheibe umgebene Sigur.

Die Darstellung der Lzene enthält so viel Zelt-
sames, unseren Anschauungen Kerneliegendes, daß
es sich wohl verlohnt, ihr in einigen Linzelheiten
nachzugehen. Ilngewohnt ist uns schon die Korm
des Rreuzes. Ls hat kein eigentliches ßußbrett,
sondern verbreitert sich nur am unteren Lnde in
leichter Abschrägung, den beiden Lnden des <8uer-
balkens entsprechend. Das Areuz nähert sich so
dem sog. byzantinischen mit verbreiterten Lnden,
enthält aber am oberen Lnde des Längsbalkens
einen zweiten kürzeren Tuerarm, ivie er bei den
sog. Arückenkreuzen üblich ist. Die beiden mit der
Bergung des Leichnams beschäftigten Personen
lassen fich nach anderen, ungesähr gleichzeitigen
Darstellungen dieser Lzene bezeichnen. Nikodemus
ist auf byzantinischen und romanischen Darstellungen
der Areuzabuahme — die übrigens bis zum ss. Iahr-
hundert ziemlich selten sind — gewöhnlich damit
beschäftigt, mit einer Zange die Nägel aus den
tzänden Lhristi zu ziehen. Hier ist der Prozeß
bereits in ein späteres Ltadium vorgerückt. Ioseph
von Arimathias Rolle ist die bevorzugtere. Lr

fängt den Leichnam Thristi in seinen Armen auf.
Beide tragen germanische Lracht, insbesondere die
sür die Germanen im Tegensatze zu den Römern
üblichen spitzen Aopfbedeckungen. Die des Ioseph
geht in einen Anopf aus, ist also wohl eine helm-
artige Aappe von Leder mit lNetallbeschlag; die des
Nikodemus besteht aus Hlechtwerk, ist also ein
kegelsörmiger Ztrohhut ohne Lrempe, ein xilsus
xliosniims, wie er im sO. Iahrhundert als weit
verbreitete volkstracht, namentlich der Lachsen, er-
wähnt wird. Dazu kommt noch das enganliegende
Lederwams der Beiden mit langen knappen Ärmeln
und das bis unter die Aniee reichende Unterkleid.

Die Atütze, aus welche sich Nikodemus empor-
geschwungen hat, ist nicht etwa ein Ltuhl, sondern,
wie schon Goethe richtig erkannt hat, ein durch die
Lchwere des Nannes umgebogener Laumstamm.
Die Biegung ist eine ebenso gewaltsame und schwung-
lose, wie die des Leichnams Lhristi. Die schachtel-
halmartige Bildung des Stammes, die in Voluten
endigenden beiden Verästelungen haben zwar in der
Natur kaum ein Vorbild, sind aber der frühroma-
nischen Aunst als schematische Lypen von Pflanzen-
wuchs geläufig.

weniger germanischen Lharakter als die beiden
vorhergenannten Eestalten zeigen Naria und
Iohanues der Lvangelist. In den langeu schmaleu
ßormen, dem dünnen parallelen Haltenwurs errät
man byzantinische Muster; auch der bärtige Iohannes
ist ein morgenländischer Lypus. Dagegen ist die
Tracht Alarias, der im Rücken herabwallende
Lchleier, das den Hals in dünnen Halten um-
schnürende Luch, die der deutschen ßrauen des ss.
und beginnenden s2. Iahrhunderts. Ähnlich sind
die weiblichen Siguren aus den Bronzereliess und
der Lhristussäule des Bischofs Bernward von
Hildesheim gekleidet.

Die meisten Schwierigkeiten bereitet den Lr-
klärern die Halbfigur mit der Areuzesfahne. Nan
muß hier Tott-Vater vermuten, welcher den Vpfer-
tod des Sohnes segnet, aber die völlige Tleichheit
des Ropfes mit dem des Tekreuzigten, der Rreuz-
nimbus, welcher uur bei Thristus Sinn hat, die
Auserstehungssahne lassen deutlich diesen letzteren
erkennen. In der Lat ist es auch Tott-Vater,
aber dargestellt in der Testalt des Lohnes nach
den worten der Lchrift: „wer mich sieht, sieht den,
der mich gesandt hat" und „Der Lohn ist mit dem
vater eins". Demgemäß erscheint auch in den
berühmten Nosaiken der Vorhalle von L. Narco
(ss. bis (2. Iahrhundert) Eott-Vater in den Lzenen
der Lchöpsungsgeschichte in der Testalt Lhristi,
ebenso aus den Lrztüren zu Augsburg und Hildes-
heim, sowie in den Reliess der Aathedrale von
Thartres u. a. Auch der Umstand, daß Vater und
Lohn aus einem Bilde nebeneinander in gleicher
Testalt, und zwar in der Thristi, dargestellt werden,
ist durchaus nicht vereinzelt. Ich will unter den
zahlreichen Beispielen, welche sich hiersür vom R
bis ins sp. Iahrhundert hinein bieten, auf die
berühmte Äreuzigungsgruppe von RAchselburg sowie

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