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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jacques, Norbert: Pappeln
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Hamann, Richard: Architektur als Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0079

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PapPeln.

beugen und schmiegen, sich hin und her schleu-
dern lassen in den rauhen Fäusten der Stürme.
Arme Frauen, jung und schön, Witwen des
Glücks, die in übermenschlicher Tragik ihr Herz
nicht von dem Ungetreuen, nicht von dem Glücks-
und Liebessehnen ihres verlorenen Lebens los-
reißen können.

,,Ach, wir lieben dich! Schlage uns, wir
lieben dich! Peitsche uns, wir beugen unsere
Leiber unter der Peitsche und winden uns, daß
die Schläge weniger heftig werden und wir fort-
leben dürfen an deiner Seite, du Einziger, Großer!“
So weinen und flehen die Pappeln dann zum
See und greifen mit ihren feinen zierlichen
Gliederchen haltlos in die Wut der Stürme. Und
die Pappeln, die ich vor meinem Fenster sehe,

Architektur als raum-

KUNST. Von Dr. K. HAMANN.

Das Problem des Raumes ist das modernste,
späteste. Der Ausgangspunkt von der Archi-
tektur als einem Kunstwerk legt die Betrachtung
der Wand als Bild, des En face, Fassaden-
mäßigen mit seinem leicht sichtbaren und greif-
baren Gehalt an Malerei und Plastik näher als
das Unkontrollierbare dessen, was zwischen
den Wänden im Ganzen eingeschlossen ist.
Die Psychologie selbst, von der die Ästhetik
sich Rat holen mußte, ist sich nicht einig über
diesen wichtigsten Lebensfaktor und kommt
nicht über die Frage hinweg, was denn für das
Auge die Tiefe, die dritte Dimension, Raum,
Volumen bedeute. Wenn wir das Totalbild
des unseren Augen gebotenen sichtbaren Aus-
schnittes der Welt analysieren, so findet der
nur auf das Optische, Sehbare eingestellte, von
Erinnerungen unbeeinflußte Beobachter, daß
sich überall nur ein Nebeneinander von Flecken
farbiger oder licht- und dunkelvoller Art präsen-
tiert. Aber der Mensch ist nicht nur ruhendes
Auge, er ist vor allem Körper, der ruht und
sich bewegt und von diesen Zuständen des
Ruhens und Bewegens, von der Beharrung oder
Aktion der einzelnen Glieder, vom Vorwärts-
schreiten und Zurückbleiben auch bei ge-
schlossenen Augen ein Gefühl hat, und zugleich
auf der Haut oder in den Gelenken ein Druck-
geiühl, den Widerstand oder die Nachgiebigkeit
wahrnimmt, die die Umgebung seiner Bewegung
entgegensetzt. Indem diese Eindrücke der ge-
hinderten oder ungehinderten Bewegung, der
Leere und der Füllung, d. h. aber des Raumes
und seiner Begrenzung, sich verbinden mit den
Bildern des Auges, werden diese gesondert nach
ihrem Wert für jene Ruhe- und Bewegungs-
zustände des Körpers, nach ihrem Raumwert, und
wird die anfangs jenseits von Raum und Tiefe
stehende optische Flächen- und Fleckenwelt

legen sich im Sturm bezwungen nebeneinander
auf das Dach des Hauses und beginnen, vom
Wind wie von einem großen innern Weh ge-
rüttelt, schmerzhaft aufzuschluchzen.

Wenn der Sturm dann tagelang mit ihnen
dieses grausam wollüstige, wütende Spiel getobt
hat, dann liegen sie noch lange gebeugt zu der
Seite, wohin der Sturm weggerast ist. Das hat
etwas Wehleidiges und Schönes zugleich: die lau-
tere unantastbare Schönheit tiefer Liebestragik.

Sie sterben auch alle an gebrochenem Herzen,
und meine alte Pappel, die der Sturm damals
im Ueberlinger Badgarten gefällt hat, besaß ein
ganz zerrissenes und zerfetztes Herz. Das hatte
sie jedoch geheim gehalten, nur als sie tot am
Boden lag, sah man in ihr armes krankes Innere.

selbst zu einer räumlichen. Wir lernen allmäh-
lich die eigentümliche Kombination von solchen
Flecken danach verstehen, ob sie uns bedeuten:
hier kannst du dich ausstrecken, ausdehnen, hier
hast du Platz, oder aber ob sie uns Halt ge-
bieten: hier wirst du dich stoßen, bis hierher.

Solche Bewegungsmöglichkeiten und Ein-
schränkungen schafft der Architekt, indem er
einen Raum ausmißt und in bestimmten Pro-
portionen die Begrenzungen, die Wände setzt
oder die Öffnungen freiläßt. Auch er schafft
dadurch Eindrücke für das Auge, die in ihrer
eigentümlichen Anordnung, in ihrer Linear-,
Licht- und Luftperspektive an Zustände der
Ruhe und Bewegung zu erinnern vermögen,
auch wenn wir in diesen Räumen solche Zu-
stände aktuell gar nicht durchprobiert haben
oder gar nicht auszuführen gesonnen sind. Ja
der Maler vermag dieselben Bilder und dadurch
dieselben Raumgefühle zu erwecken, die, wenn
wir den räumlichen Anregungen nachgeben
würden, uns in eine Täuschung, einen faux-
pas verfallen ließen. Diese Erinnerungen an
Ruhe- und Bewegungszustände betreffen aber
am entschiedensten das Gefühl unseres Selbsts,
das Gemeingefühl, werden vielmehr als innere
Zustände empfunden, wie die als äußere Vor-
gänge aufgefaßten Gesichts- und Gehörsbilder.
Welcher Art diese Beeinflussungen durch das
optisch Wahrgenommene, Geschaute sind — ist
das eigentümliche Problem der Raumästhetik.
Dazu kommt, daß alle Erinnerung an Ruhe
oder Bewegungen, an Verhaltungen unseres
Körpers die Tendenz hat, uns dieselben Zu-
stände wiederholen zu lassen, und dadurch
eine Begleitung, eine Unterstützung oder einen
Widerspruch zu unseren Entschließungen ab-
geben kann. Daher das wichtige Problem:
Welche Raumansichten brauchen wir für diese,
welche für jene Funktionen unseres ruhevollen
oder ruhelosen Daseins?

Denken wir uns, wir gingen lange in einer
Richtung durch eine weiche, nachgiebige Masse

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