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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Hamann, Richard: Architektur als Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0081

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ARCHITEKTUR ALS RAUMKUNST.

Freude an dem Hin und Her. Da gewährt ein
so geformter Gang diese Befriedigung des Vor-
wärtsschreitens schon bei geringem Aufwand
an innerer Kraft. So haben die Bäume zu
seiten einer Chaussee, auch ohne vor Sonne
und Regen zu schützen, noch einen Wert.
Napoleon ließ die schlanken nutzlosen Pappeln
pflanzen. Also wieder Formung gleich Er-
leichterung. Das Gehen bekommt Gehaltenheit,
Mühelosigkeit.

Man sehe sich zuerst in einen Säulengang
hinein und stelle sich die Art des Schreitens
darin vor, vergleiche dann das bekannte Ge-
mälde von Hobbema, in dem ein von dünnen,
weitgetrennten Bäumen begrenzter Weg das
Bild durchzieht. Sofort sieht man, wie der
Halt an diesen lockeren, gewundenen Stämmen
geringer wird, wie es schwerer wird, den weiten
Raum von Baum zu Baum zu durchmessen,
wie der Gang schwerfälliger, mühsamer, hollän-
disch wird. Welche Impulse das Marschieren
im flachen Land erfordert, welches beständige
neue Ansetzen, wird jeder gefühlt haben, der
einmal über die baumlose Heide gewandert ist.
Es ist bezeichnend, daß die niederdeutsche
Landschaftsmalerei immer wieder auf die Dar-
stellung der Ebene zurückkommt. Die Ab-
neigung gegen alles Bindende, Einschränkende,
und der Kraftüberschuß, die Kraftverschwendung,
wie sie den unrationell denkenden Deutschen
charakterisieren, prägt sich auch hier aus. Wer
an Straßen, an geformte Gänge gewöhnt ist,
mag in der Ebene das Niederdrückende, die
Schwere der völligen Unbestimmtheit am stärk-
sten empfinden. (Die Siebenmeilenstiefel können
wohl der Ungeduld solcher Flachlandbewohner
entsprungen sein.)

Der Wohnraum, Verweilraum charakterisiert
sich im Gegensatz zu dem Gang in dem Fehlen
dessen, was eine Bewegung, ein Hindurch-
gehen nahelegt, durch die Richtungslosigkeit.
Wie der Mensch zum Sitzen, Ruhen ein
Stück Raum gebraucht, der nicht länger als
breit ist, so nähert sich der Wohnraum dem
quadratischen Grundriß, vielleicht nur leise
eine Längsrichtung betonend, um das Aus- und
Eintreten zu erleichtern. Je richtungsloser der
Raum, um so beruhigender, „konzentrierender“.
Auch im quadratischen Raum sind durch die
Mittelaxen oder die Diagonalen noch gewisse
Richtungen bevorzugt. Erst der kreisrunde,
alle Radien mit gleichem, d. h. keinem Recht
ausstattende Raum erfüllt das Ideal der völligen
Selbstüberlassenheit. Die Bibliothek von Sans-
souci hat nicht übel für die geistige Konzen-
tration einen solchen Rundraum gewählt. Auch
Musikzimmer findet man oft — wohl in-
stinktiv — so angelegt.

Die Gemütlichkeit eines Raumes, die den
Sinn und Körper gefangen nimmt, verlangt
ferner, daß auch die Öffnungen, die Aus- und

Zugänge mit ihren Erinnerungen vermieden
sind, die Türen geschlossen sind. Mancher
wird sich des wunderbaren Gefühls erinnern,
als sich die Tür der Bibliothek von Sanssouci
schloß und an Stelle der Tür nur die Fortsetzung
der Bücherschränke sichtbar blieb — ein Ge-
fühl völligen Refugiums. Die Zeiten, für die
der Platz die ungedeckte Halle, der Versamm-
lungsort, der Markt war, sorgten für den Cha-
rakter des ringsum geschlossenen Raumes, in-
dem sie die Straßen in Windungen, oder
irgendwo abseits als schmales Gäßchen in den
Platz hineinführten. In den Markusplatz von
Venedig münden unbemerkt zwei der be-
lebtesten Verkehrsstraßen, so daß auf den glatten
Marmorfliesen beim Nachmittagskonzert der
Eindruck unabweislich ist, man befinde sich in
einem parkettierten Saale. An dem einzigen
weiter geöffneten Ausgang nach der Piazetta
hin gelangt man erst auf einen Vorraum, eine
Diele, ehe man ganz auf die Straße gesetzt ist.
Die moderne Großstadt hat für die Märkte
Hallen, für die Versammlungen Sitzungssäle
gebaut und hat fast nur noch Verkehrsplätze,
Straßenkreuzungen.

In einem Wohnzimmer mögen die Verti-
kalen der Ecken und die Horizontalen des Bodens
genügen, um die Orientierung zu ermöglichen.
Ein Reichtum solcher Richtungslinien oder gar
plastischer Stehgebilde möchte eine Anspan-
nung, ein Aufrichten nahelegen, das der Wohn-
lichkeit, dem lässigen Verweilen, Sitzen oder
Ruhen widerspräche. Säulen im Innenraum
wirken unerträglich steif, gezwungen. Dagegen
ist die Holztäfelung, die ein schweres Paneel
in Kopfhöhe des Menschen sich lagern, horizon-
tal ruhen läßt, eine günstigere Begleitung der
Wohnlichkeit, des Ausruhens. Räume, die
mehr für den sitzenden, gelagerten Menschen
geschaffen sind, vermeiden mit Glück auch die
Übertreibung der Höhendimension. Die niedri-
gen Bauernstuben, die den Bauer nur aufnehmen,
wenn er von der Arbeit ausruhen will, seine
Glieder gelöst sind, haben diese niederhaltende,
dem unruhigen Stadtmenschen niederdrückend
erscheinende Proportionierung. Im Warenhaus
ist die schachtartige Erhöhung des Hauptraumes
durchaus angebracht.

Ein Gesims unter der Decke hat noch einen
andern Sinn. Für das Gefühl des Endigens
eines Raumes nach oben spricht mehr als die
Decke im Ganzen jene markierte Linie, wo die
vertikalen Wände aufhören und den scharfen
Winkel mit der Decke bilden. Ein Gebälk, das
im Zimmer in Kopfhöhe über uns, etwa wenn
wir sitzen, hinwegläuft, oder das Endigen eines
dunklen Getäfels läßt hier eine Wand endigen
und schafft deshalb so etwas wie einen Ab-
schluß des Raumes nach oben, eine nur in der
Vorstellung lebende Decke, die erst durch-
brochen sein will, wenn wir uns erheben. Ein

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