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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Philippi, Fritz: Das Heidekreuz
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Lücke, Hans: Im Sonnenlicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0271

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DAS HEIDEKREUZ.

Andere aber sagen: der Woost* habe sich ab-
seits auf die Lauer gelegt, weils sein Vorteil
gewesen wäre.

Anna Barbara machte sich auf den Heimweg
mit vier Kindern.

Auf den Heimweg! . . —

Und nun will ich unter dem Heidekreuz auf
den Steinen beide Hände legen über beide Augen
und will sehen und hören, was dann geschah,
und was keine Zunge im Dorf erzählen kann.

Ich sehe dich, AnnaBarbara! du gehst über
den Bach, dessen letztes Leben verborgen
murmelt tief unter dem Eis. Aufrecht schreitest
du aus, mit starken Schritten, den Rock ge-
schürzt bis an die Knie. Am Rock hängen
zwei Kinder, und auf den Armen, an deiner
Brust trägst du die beiden Kleinsten.

Du hast das durchdringende Blau, den
Himmel, gesehen über dem blendenden Weiß
und wolltest dein Werk ganz tun.

O daß du Flügel hättest, Anna Barbara, und
deine Füße nicht einsänken im tiefen Schnee
und der Kinder Füße nicht!

Ich sehe es, hinter dir vom Wetterloch her,
wo die stärksten Tannen stehen, hebt es sich
auf, eine weiße Wolke . . . und an dem Himmel
fährt es herauf, den Himmel verschlingend.

„Hu — ih! hu — ih!“

Das Schneemeer kommt! Der Woost jaigt
heran!

Und nun kämpfest du mit Meer und Woost.
O, wie du kämpfest!

Unsichtbare, eisig starre Bande bläst der Un-
hold um dich und will das Brünnlein deines Le-
bens, das rote Blut, dein pochendes Herz erstarren.

„Hu — ih! hu — ih!“

Hat Gott im Himmel nicht mehr die Gewalt,
zu dem wir schreien im Vater unser: Dein ist
das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit!?

Die Kinder weinen und wimmern, schwer
wie Steine hängen sie an dir, liegen sie auf
deiner keuchenden Brust.

Aber zurück kannst du nicht mehr. Du
mußt vorwärts!

Wohin aber vorwärts? Wohin?! . . .

Anna Barbara, du bist „irr“! Irr im Woost
auf der Heide!

Wärst du allein und könntest du die Kinder
von dir lassen, du könntest vielleicht dein eigen
Leben retten!

* Unwetter.

Aber du kannst es nicht. Du bist treu.

Und darüber bist du müde geworden, du
und die Kinder . . . Es muß sein . . . Es wirbelt
dich nieder.

„Hu — ih!“

Schlaf wohl, Anna Barbara! Hörst du die
Glocken? Sie läuten aus der Heimat.

Hier, wo ich sitze, bist du hingesunken mit
den Kindern an der Brust . . . Hier will ich
Ostern halten und beten . . .

* *

*

Sie sagen im Dorf: an dem Tage sei bei
jedem Schlag der Uhr gefragt worden, ob nie-
mand nichts wisse, und die Weiber hätten ihre
Männer gescholten: sie sollten künftig in Weibs-
röcken laufen.

Da habe Raabs Henner, der Schultheiß, auf
den Tisch geschlagen mit der Faust und habe
sich aufgereckt, bis sein Haupthaar an die
Stubendecke rührte.

Und alle Männer in der Stube seien ihm
gefolgt. Und die Glocken läuteten, Sturm gegen
Sturm.

Aber sie sind dann zurückgekommen hinter
die Schutzhecke, Bart und Kleider übereist, eine
geschlagene Mannschaft, denen die Schneewand
draußen allenthalben vor die Brust stieß und sie
zurücktrieb unter ihre Dächer.

Und die Glocken wimmerten. —

Sie sind dann am andern Tag abermals aus-
gezogen . . . Und der Hund des Christmartin
hat das Grab gefunden.

Dann sind sie noch zum drittenmal wieder-
gekommen, auf keines Menschen Geheiß, als
der Schnee die Heide frei gab.

Schwere Tritte kamen. Hallende Schläge
geschahen.

Da haben sie das Kreuz aufgerichtet mitten
auf der Heide und haben dabei gesprochen,
daß die Armenruh-Mühle verfallen soll und die
Armut künftig im Dorf wohnen, nachbarlich bei
ihnen. — —

Blütenweiße Wölklein ziehen über der Heide
dahin wie Schiffe im blauen Meer, von Unend-
lichkeit zu Unendlichkeit. Sonnenwind lächelt
darein . . .

Und ich sitze, ein Nachgeborner. Meine
Hand faßt an das Heidekreuz.

Es fühlt sich warm an am Ostermorgen,
Anna Barbara!

IM SONNENLICHT.

Wenn Sonne ihren goldnen Strom
auf diese schöne Erde gießt,
zum Rande füllt des Himmels Dom,
den kleinsten Blumenkelch, der sprießt,
dann reckt sich gern die alte Kraft
in junger Kraft dem Licht entgegen
und sehnt sich nach dem hellen Segen
und findet ihn und wühlt und schafft.

Und glaubt so gern an Unvergänglichkeit,
an Taten, Liebe, an Genuß;
ein jeder Wunsch steht flügelweit
und träumt Gewähr und Überfluß.

Und ist mein Herz so seligvoll,
wie mag es dann das eine fassen,
daß es den Tag muß kommen lassen,

Da ihm die Sonne nicht mehr scheinen soll!

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Hans Lücke.
 
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