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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr.12
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Erzählungs-Bücher
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Kühl, Gustav: Unsere Musikbeilage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0288

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daß die Türklingel meines Vaterhauses — ich
weiß zwar, auch sie ist verschwunden, und die
alte Tür öffnet und schließt sich stumm aber
vielleicht doch, daß solch ein Klang, der mich
begrüßte in meiner Behausung, meine alte Seele
wiedererweckte, die jetzt nicht herauszukriechen
wagt aus ihrer Schneckenschale, aus Angst vor
elektrischen Glocken und Schlägen. Vielleicht
aber muß es auch so sein, und ist es über-
haupt Menschenschicksal, daß die Welt kennen
lernen heißt, sie zu lieben verlernen. Wozu
wäre auch der Tod, wenn er uns nicht ein
Langentbehrtes wiedergäbe: die Vereinigung
mit allem, was uns durch das Leben verloren
gegangen war.

gRZÄHLUNGS-BÜCHER.

UNTER DEN LANGEN DÄCHERN

des Westerwaldes spielen auch diese Geschichten von Fritz
Philippi. Schon gelegentlich seiner früher erschienenen
Erzählungen aus dem Westerwälder Volksleben (im gleichen
Verlag E. Salzer, Heilbronn') konnte ich auf den Er-
zähler hinweisen, der nun in seiner Sprechart nur un-
merklich verändert sich doch in einem Wesentlichen
gereifter zeigt: in der inneren Geschlossenheit seiner
Geschichten. In der Beziehung ist namentlich „Durch die
Wolfsschlucht“ seinen früheren Pfarrergeschichten sehr über-
legen. Eigentlich hätte dies Stück allein herauskommen
müssen; es wäre kein gangbares, nicht einmal ein an-
sprechendes, aber ein starkes Buch gewesen, das auch von
dem Ernst und dem Können dieses Pfarrer - Poeten ein
rechtschaffeneres Bild gegeben hätte, als seine doch etwas
bunte Zusammenstellung, in der selbst eine — allerdings
nicht unüble — Schnurre von einer Pfarrerwahl eingereiht
ist. Soll ich die Art dieses Poeten verdeutlichen: ein
Pfarrer, der, auf den Westerwald (das Land zwischen Lahn,
Sieg und Rhein) verschlagen, die Rauheit dieser Natur und
ihrer Menschen etwas zu stark empfindet und in seltsamen
Erlebnissen zu verdeutlichen sucht. Seine Probleme sind
meist diejenigen, die der Pfarrer in seinem Beruf findet,
seine Poesie ist die Herrlichkeit Gottes in der Steinwüste.
Im Grunde missfällt mir seine — impressionistische —
Art zu erzählen, ein Gehäcksel von kargen Bildern und
kargen Worten; doch weiss ich nicht recht, ob ohne
dies die starke Wirkung seiner Bauernerlebnisse zu er-
reichen wäre. Aber das betrifft nur die Sprechart, sonst
scheint mir Philippi mehr Erzähler als mancher, dem
das Erzählen leichter vom Munde geht. Wem die „grosse
Tat“ (S. 459 d. H.) behagt, wird durch das Buch nicht ent-
täuscht sein.

ADOLF SCHMITTHENNER,

Stadtpfarrer in Heidelberg am Neckar, von dem wir im
Oktoberheft die „Entdeckung des Heidelberger Schlosses“
abdrucken konnten, ist andern Schlages: weicher, süd-
deutscher, gemütlicher und auch phantasievoller. Meiner
Absicht, seinen Büchern eine eingehende Betrachtung zu
widmen, fehlt hier der Raum; ich will sie aber jetzt vor
Weihnachten wenigstens schon nennen: Psyche, eine Er-
zählung (1891), Novellen (1896), Leonie, Roman (1899), Neue
Novellen (1901). Alle im Verlag Fr. Wilh. Grunow, Leipzig.
Heute schon ein Fünfziger, ist dieser Dichter — nach den
Auflagen seiner Werke zu schliessen — seinem Volk noch
ziemlich ein Unbekannter. Wenn mich nicht alles täuscht,
ist er ein Spätreifender, von dem wir die schönsten Früchte
noch erwarten dürfen; aber es wäre doch Zeit, sich mit
ihm vorzusehen.

GUSTAV FRENSSEN,

der dritte Pfarrer in diesem Erzählerbunde, der Holsteiner,
braucht keine Freiwerber mehr; wer seinen „Jörn Uhl“ liebt,
wird auch seine „Hilligenlei“ lesen. So hat eine Aus-
einandersetzung über seinen neuen Roman Zeit, bis er in
den Weihnachtstagen gelesen wurde.

ALBERT GEIGER,

kein Pfarrer, nur Schriftsteller in Karlsruhe, hat mir mit
seinem „Roman Werners Jugend“ (Berlin, Karl Schnabel)
eine ziemliche Überraschung und Freude gemacht. Nicht
unbekannt mit seinen Gaben, hätte ich ihm nie zugetraut,
dass er mich durch eine Erzählung fesseln könnte; er hat
mich mit der Jugend seines Roman Werner nicht nur ge-
fesselt, sondern durch die Süssigkeit und herbe Trauer
seiner Erinnerungsbilder innig gerührt. Dass es eigene
Erlebnisse sind, in einer milden Erinnerung zu behaglichen,
farbigen und wehmütigen Bildern geläutert, darüber blieb
mir kein Zweifel. Solche Dinge kann man nicht dichten,
nur als Dichter tiefer empfinden und inniger festhalten als
ein anderer. Weil Geiger im Grunde eine lyrische Natur
ist, kam viel Lyrisches hinein, das sich mit farbigen Schil-
derungen wunderlich mischt und dabei nicht nur die Ge-
schichte einer Jugend, sondern auch die Schattenrisse zweier
Eltern mit unerbittlicher Treue zeichnet, wobei einige Kame-
raden und die Jugendgeliebte im Umriss nicht übel an-
gedeutet sind. Indem diese Erinnerungen nicht in der
nächsten Nähe der Jugend geschrieben wurden, wie etwa
der Rosendoktor des Ludwig Finckh, haben sie etwas bild-
haft Verklärtes bekommen, worin sich selbst die Gestalt des
Vaters sympathisch gestaltet, trotzdem das Muttersöhncben
an ihm viel zu leiden hat. Die Leiden der Schule treten
glücklicherweise zurück, es sind schon Leiden des Lebens,
was sie dem von sich selbst und seiner Bedeutung Erfüllten
bereiten. Was ich schon bei dem Buch von Philippi sagte,
muss ich hier energischer betonen: Schade, dass dieser
schönen geschlossenen Arbeit ihre beste Wirkun^ durch
angehängten Kleinkram verdorben wird, Der könnte noch
so gediegen sein: Dinge dieser Art verträgt man nur, wenn
sie allein daher kommen. Das rührende Menschenschicksal
darin wird sonst auf einmal wieder Erzählerware. Die
zweite Auflage muss das Beiwerk abschneiden; ich wenigstens
lasse mir den Roman Werner allein binden. S.

AS BÜCHLEIN IMMERGRÜN

möchte ich jedem schönen Mädchen darbieten: Sieh
her, so leuchtende Dinge formten die Dichter deines Volkes
und formten sie auch für dich, du schöne Menschenblüte!
Und eine Dichterhand erwählte Perlen daraus zu dieser
herrlichen Kette und sorgte, dass ein Künstler sie fasste in
sehr verziertes Gold: damit dir aus dem Stapellager und
Marktgeschrei der Literatur ein Buch der Dichtung in die
Hände käme, das schön wie diese Hände und selig wie die
Ahnung sei, die dir aus reinen Augen leuchtet.

Ja, Gustav Falke, du feiner kluger Dichtermann in
Hamburg, das hast du schön gemacht und tapfer, und nicht
den leisen Spott gescheut, dass du ein Dichter seist für
junge Mädchen. Nur das Vorwort hätte fehlen können;
sonst ist alles so fein und edel, dass es bei Strafe verboten
sein sollte, einem Mädchen ein anderes Gedichtbuch in die
Hand zu geben, bevor es dieses kannte: Claudius, Goethe,
Uhland, Eichendorff, Droste-Hülshoff, Lenau, Mörike, Hebbel,
Geibel, J. G. Fischer, Storm, Keller, Fontane, C. F. Meyer,
M. Greif, das sind die Dichter, und wie man sieht, ist Martin
Greif schon zu den Toten gerechnet, eine sonderbare Grau-
samkeit des Buches. Den Schmuck zeichnete Vogeler-
Worpswede und zeichnete ihn vom Titelblatt abgesehen
schöner als sonst, und aller Zierat ist in Gold gedruckt,
das zu der goldbraunen Schrift vortrefflich stimmt. Auch
der Verleger muss hier mitgenannt werden, kein anderer
als Schafstein & Co., Köln, der uns die schönsten deutschen
Kinderbücher gab und auch in diesem Jahr wieder mit neuen
Gaben kam, darunter den beiden lustigen Seeleuten, auch
von Gustav Falke mit Bildern von Stewart Orr, womit der
Verlag alle früheren Bilderbücher übertrifft. S,

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