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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Voigt-Diederichs, Helene: Bloss ein Mädchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0245

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LÖSS EIN MÄDCHEN.

Von HELENE VOIGT-DIEDERICHS.

In der dämmerigen Scheune saßen die beiden
Kinder, hingekauert auf dem Boden des leeren
Torfwagens. Ihre Hände wühlten in dem
warmen braunen Staub, der die Bretter bedeckte.
Das nannten sie fischen, und wenn einem dabei
ein vergessenes hartes Stück zwischen die Finger
geriet, so schrie es sieghaft auf, und das wurmte
dann das andere und spornte es an, mit wilderem
Eifer zu suchen.

Es war Mittagszeit, eben erst hatten die
Knechte ihre Pferde losgespannt. An einem
Wagen schaukelte noch die Deichsel, die
hängenden Brustketten schmiegten sich der
Erde an und hoben sich wieder mit leisem
Geklirr. Draußen auf dem gepflasterten Hof
verklang der stolperige Hufschlag. „Du wir
sollen essen,“ mahnte das Mädchen, nicht
gerade sehr dringlich, aber doch im Gefühl
ihre Pflicht tun zu müssen. Sie türmte auf
ihrem Handballen zerbröckelten Torf, bestreute
den Berg mit winzigen lilaweißen Blüten
vom Heidekraut, und sah dann darüber weg
den großen dunkelhaarigen Jungen an, der
noch gar keine Lust zum Fortgehen zu haben
schien.

„Ach, wenn auch!“ sagte er, ließ den Mund
vorwurfsvoll geöffnet stehen und betrachtete
bittend das Mädchen.

Da trieb auch sie nicht weiter, sondern be-
schäftigte sich nachdenklich mit dem warmen
Staub, streute ihn auf ihre Schürze, auf ihre
Arme, dann sollte auch der Nasenrücken eine
braune Straße kriegen. Aber die Nase wollte nicht.

Der Junge sah ihr zu und lachte ein wenig
melancholisch jedesmal wenn sie den steifen
Kopf bewegte und dann schnell die Nase wieder
leer war. Plötzlich schüttelte er sich, holte
tief Atem und heftete mit starrem Entschluß
seine Augen auf das spielende Kind.

„Wen magst du eigentlich von allen am
liebsten leiden?“ fragte er hart.

Verwundert sah Suse ihn an. So zu fragen.
Ja, aber dann wurde sie selber neugierig und
dachte ein wenig nach.

Was gabs denn Liebes. Mutter und Vater,
ja aber die rechneten eigentlich von vornherein
nicht mit. Die Geschwister, mit denen hatte
sie sich verfeindet heut, sogar mit Klaus, der
beim Satzbilden in der deutschen Stunde schlank-
weg dem Kandidaten ins Gesicht gesagt hatte:
Suse ist ein Mädchenname. Wahrhaftig, irgend
jemand mußte Klaus, der sonst gar nicht so
war, dazu aufgehetzt haben. Eine Deern, das
war das Verächtlichste, was man sein konnte.
Sollte keine langen Stiefel anhaben, von Jungs-
zeug gar nicht zu reden. Durfte nur heimlich
den ganzen Tag in Regen und Sonne bei den

Leuten auf dem Felde sein. Mußte weg, wenn
der Tierarzt kam. Nein, mit Klaus wars nun
aus für viele Tage lang.

Also was sollte man antworten. Man konnte
zwar sagen: die Hängebirke im Garten, oder
Russy, den kleinen Rotschimmel, oder den
fremden Stallknecht, wenn er das Lied sang:
Lebe wohl, Geliebte, muß nun von dir scheiden.
Aber, Gott, wer weiß, ob Walter das überhaupt
verstand. Er war so ein komischer Stadtjunge,
mit einem Leben ganz anders als ihres. Hielt
sich beim Reiten an der Mähne fest, sagte
„Laub“ statt „Blätter“, hatte blasse Backen und
dachte niemals an die Weizenhalme, die er
niedertrat, wenn er durchs Kornfeld lief.

Walter wartete eine Weile. Als immer
noch keine Antwort kam, streckte er sich und
sagte sicher, nur leiser als er sonst sprach:
„Ich habe längst eine Braut.“

Suse sah belustigt auf. Als sie aber sein
Gesicht ganz ernst, beinahe unglücklich fand,
wurde auch sie ein bißchen ernsthaft und dachte,
es müsse wohl etwas dabei sein, was sie nicht
richtig verstanden hatte.

Sie sann und fand nichts. „Das glaub ich
nicht,“ sagte sie zögernd. Im selben Augen-
blick fiel ihr der neue dicke Knecht Friech
Ohlsen ein, der neulich in der Spinnstube zum
Besuch gewesen. Mit einemmal hatte der sich
auf Greten Kohrts Schoß gesetzt und gesagt, sie
solle seine Braut sein. Ach daß gerad in diesem
Augenblick Mutter durch die Tür geguckt hatte
und gerufen: Suse, du weißt doch, ihr sollt
nicht in der Spinnstube sein!

Ob Walter das auch so machte mit seiner
Braut?

Sie sah ihn neugierig an, er stieg in ihrer
Achtung. „Wer ist denn das?“ fragte sie so
ein ganz klein bißchen nachlässig, denn eigent-
lich ging es sie gar nichts an, und sie hätte
nicht nötig gehabt noch weiter zu fragen. Aber
Walter wollte nicht heraus damit, starrte sie
nur immer aus seiner Ecke her an und wieder-
holte in kleinen Zwischenräumen, als sie schon
gar nicht mehr fragte: Das sag ich nicht.

Aber nun wollte sie es gerade wissen,
wollte es durchaus wissen, alle Jungsgeheim-
nisse wußte und hütete sie. Das mutwillig zer-
schlagene Schrotkammerfenster, die Kirschwein-
flasche in des Kuhhalters Koffer, des Kandidaten
Rethstöcklein, das auf dem Meiereiboden ver-
raucht wurde — ach vieles mehr noch wußte
sie. Und nun dieses nicht!

Sie schüttelte den Torfstaub von sich, rückte
ganz nah an Walter heran und bettelte, daß er
ihrs sagen sollte.

Er sah sie immer noch an mit seinem
„Das sag ich nicht“, aber etwas Furchtsames
war dabei in seinen Augen, als ob Suse die
Antwort heraushören oder als ob sie ihm ent-
gleiten müßte ohne seinen Willen.

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