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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Schäfer, Wilhelm: Der Enkel des Tiberius
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0143

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TT^ER ENKEL DES TIBERIUS.
H V VonWILHELMSCHÄFER.
Und tausend Jahre sind ein Tag. AIs in
den Zeiten des Tiberius römische Soidaten
ihren Hauptmann begruben, hinter Homburg
nach der Saalburg hin, mochten sie wohl nicht
denken, daß der, den sie mit Krügen, Gläsern
und andern Ehren in den weißen Bimssteinsand
hinlegten, noch einen Menschen auf der Erde
zu quälen vermöchte. Nachdem sie aber alle
schon zum letztenmal die Augen aufgemacht
hatten, wobei nicht jeder noch einmal die
schönen Taunuswäider sah, auch nicht soich
ein Grab bekam, mancher vielmehr im Rhein
verdarb oder den Wölfen schmeckte; als über
den Sand des Römers hinter der Vöikerwan-
derung her die Hunnen geritten waren und als
die Menschen sich so fort an die zweitausend
Jahre mit Axten, Flinten und Granaten bemüht
hatten, einander in den Sand zu bringen, wohin
sie ohnedies gekommen wären: woilte der
Bauer Lüsebrink an einem nassen Tag im Mai
ein neues Backhaus bauen. Er hatte schon ein
säuberliches Viereck ausgeschachtet und wollte
nur noch einen Fuß tief weiter graben, weil er
auf schlechten Bimssteinsand geraten war, da
tat die Schüppe einen scharfen Schrei an einem
Scherben. Nun hndet sonst ein Bauer mancher-
lei in kühler Erde; wer aber an der Saalburg
wohnt und schon ein paarmal bei den Limes
mitgegraben hat, der weiß, was solch ein
Scherben im Bimssteinsand bedeuten kann.
AIso legte er die Schüppe weg und Hng
mit beiden Händen an zu graben, nicht ohne
sich ein Grasbüschel vorsichtig unters Knie
zu legen. Es dauerte auch nicht lange, so holte
er aus Scherben ein Glasgefäß heraus, das dünn
wie eine Eierschale und angelaufen war wie
altes Fensterglas. AIs er das sauber abgeblasen
auf seinem Sacktuch stehen hatte, trieb ihn
die Gewohnheit aufzustehen und dem Professor
seinen Fund zu melden. Wie er dann hinsah
über die Wiese mit den Gänseblümchen, unter
den frühlingsgrünen Zwetschgenbäumen gegen
das schiefrige Hausdach hin, und alles war
sein Eigentum und also auch das Römergrab,
vergaß er seine Backhauspläne, ßng vielmehr
mit der Vorsicht eines Limesgräbers an, die
Krüge samt dem Gerippe bloßzulegen.
So kam der Römerhauptmann nach fast
zweitausend Jahren wieder ans Sonnenlicht,
zwar ohne Haut und Fleisch, doch in den
Knochen unversehrt, und als er auf dem duffen
Sand dalag — ein Streifen brauner Asche zog
einen Glorienschein herum — da wars dem
Lüsebrink, der nach der stundenlangen Wühl-
arbeit mit stumpfgegrabenen Fingernägeln vor
ihm stand, als ob er freundlich mit weißen
Zähnen lächele. Wie wenn er zu ihm sagen

wollte: Siehst du, mein Bauer Lüsebrink, da hab
ich hier zweitausend Jahre in dem Bimsstein-
sand gelegen, damit du aufhören kannst, Kar-
toffeln oder Runkeln auszugraben. Du weißt
sehr wohl, daß es gelehrte Leute gibt, denen
die Knochen von einem alten Römer wertvoller
sind als eine Schwadron lebendiger Husaren,
und daß der Staat für diese Menschen Museen
bauen läßt, darinnen sie geneigt sind, auch
meine Knochen gebührend aufzustellen. So
wirst du mich und mein Geschirr verkaufen
und damit mehr verdienen, als wenn du pures
Gold gegraben hättest!
Nun war der Bauer Lüsebrink ein langer
und verträumter Kerl mit einer kleinen frech-
nasigen Frau. Als die ihn gegen Mittag im
Loch bei seinem Römer hockend fand, wie er
die Gläser und Knochen sorgfältig in den Bims-
steinsand einbaute, den er mit seinen großen
Händen glatt strich, kaum anders als wenn
Kinder Sandkuchen backen: da mußte er sich
hoch vermessen, was solch ein Römergrab an
barem Geld einbrächte, sonst hätte sie ihm mit
der Schüppe seinen Römer zu Brei zerschlagen.
So stachelte er selber ihre Habsucht an und
brachte sich in sein böses Mißgeschick. Er hatte
kaum aus alten Brettern einen Deckel darüber
gezimmert wie auf einem Regentrog, als er auch
schon einen Brief an den Professor schreiben
mußte: er hätte einen alten Römer mit Gläsern
und Töpfen zu verkaufen.
Der Professor kam nach einer Woche wirklich
an und war ein Kerlchen mit einem grauver-
lederten Gesicht, aus dem der Bart bis auf die spär-
lichen Kinnhaare ausgegerbt schien. Er musterte
durch überscharfe Brillengläser die aufgedeckte
Grube, worin das Regenwetter durch die Bretter
Schlamm hatte tropfen lassen, so daß über
den Römer und seine Mitgift schwarze Streifen
wie mit dem Lineal gezogen waren. Es
schien ihm trotzdem zu gefallen; er ließ
sich alle Gläser und Krüge in die Hand an-
reichen, stellte einiges beiseite und ßng auch an
zu schreiben, während der Lüsebrink in Hoff-
nung anderer Dinge demütig beiseite stand.
Am Ende sah er zu ihm auf, wie abwesend
über die Brillengläser hin, klappte sein Buch zu
und Hng an, drei von den Gläsern und einen
Krug in seinen Koffer einzupacken, der mit
weißen Filzfächern dazu eingerichtet war. Suchte
einen Augenblick in seinem Geld, reichte dem
Lüsebrink, der ganz verdöst dastand, einen Taler
und ging mit seiner Beute eilig davon.
Da schoß vom Stall her, wo sie beiläuHg
gestanden hatte, die Bäuerin vor, riß dem Lüse-
brink die Hand auf, sah den Taler und hielt sich
nicht mit Fragen auf und lief den Wiesenweg hin-
unter, bis sie den Koffer in ihren Händen hatte.
Es gab da ein Gespräch, das rasch zu einem
Geschrei anschwoll; als der Lüsebrink zögernd
dazu kam, hatte der Professor den Koffer in

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