Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

DOI Heft:
Nr. 10
DOI Artikel:
Gischler, W.: Was fangen wir mit den andern an?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0180

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

K. Seibels. Schwarze Kuh. (Deutscher Saal der Kölner Ausstellung. — Besitzer: G. Küpper, Düsse^dorf.)

XX7AS FANGEN WIR MIT DEN
VY ANDERN AN?
Von W. GISCHLER.
Vor einigen Jahren hatten wir in einer
rheinischen Fabrikstadt eine Kunstausstellung.
Ein Bekannter, der gern in aliem ein gebildeter
Mann ist, bat mich, ihn dahin zu begieiten und
ihm die einzelnen Werke zu erklären. Er ver-
stände sonst so gar nichts davon. Ich weiß
noch gut, wie entrüstet dieser Kunstsüchtige
wurde, als ich ihm einen Gang in den schönen
Herbstwald vorschlug. Ich wolle ihm dann
unterwegs die Schönheit der Landschalt in ihren
Formen und Stimmungen so gründlich erklären,
daß er sich als Wald- und Wiesenführer eta-
blieren könne.
Was mir damals ein Scherz war, scheint
mir heute das einzige, was man diesen Un-
glückseligen sagen kann, die mit leeren Blicken
und vollen Katalogen verlassen durch die
Kunstsäle irren: Geht hinaus und seht die
Natur, wie sie unauihörlich sich wandelt in
Farben und Formen, wie sie auf dem Hinweg
anders ist, als auf dem Heimweg, wie die
Sonne über die Erde spielt in tausend wan-

delnden Schatten und Lichtern, wie Wolken
und Nebel wachsen und sterben und ewig
wandern, wie in einem einzigen Wasserspiegel
mehr Lebenswechsel ist, als ihr jemals aus-
sehen könnt: Ihr werdet bald merken, wie
ärmlich der klügste Mann sich da ausnehmen
würde mit allen verständigen Erklärungen. Wie
ihr gar nichts anders tun könnt, als sehen,
immer sehen.
Und wenn ihr dann eines Tages im Dunkel
am Waldteich oder in der Sonne auf freiem
Felde empfrndet, wie Baum und Gras und Luft
und Wind in eins, in euch zusammenklingen,
und ihr euch selbst da mitten drin entdeckt
wie ein unbegreifliches Rätsel in einem Meer
von Rätseln: dann habt ihr ein Wunder erlebt.
Und ihr werdet wissen, wie das Tiefste, was
da in euch angeklungen ist, nie mit Worten
gesagt, nur gefühlt werden kann. Mit dieser
Gewißheit geht zurück in die Bildersäle und
wenn euch noch immer Hunderte von den
Tafeln stumm bleiben: in einer werdet ihr doch
euer Wunder wiederhnden.
Denn nichts anderes stellt der Maler in
seinen Bildern dar, als die unsagbaren Wunder,
die er aus der Natur gesehen und erlebt hat.
Manches hat sich vielleicht nur ihm allein

134
 
Annotationen