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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 10
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Scheibler, Ludwig: Mozarts Mannheimer Klaviersonate
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1\ZT0ZARTS MANNHEIMER
lYi KLAVIERSONATE.
Von LUDWIG SCHEIBLER.
Mozart hielt sich bekanntlich von Ende
Oktober 1777 bis zum Frühling des nächsten
Jahres in Mannheim auf und schrieb dort
baid nach der Ankunft eine Klaviersonate
für Rosalie, die fast vierzehnjährige älteste
Tochter des Direktors der kurfürstlichen Instru-
mentalmusik, Christian Cannabich. Von dieser
Sonate ist im Briefwechsel Mozarts mit seinem
Vater so oft und eingehend die Rede, wie bei
keinem andern der Werke für Spielmusik. Man
sollte deshalb glauben, es sei den Bemühungen
der Mozartforscher längst gelungen bestimmt
festzustellen, welche der uns bekannten Klavier-
sonaten die Mannheimer ist; das war jedoch
bisher nicht der Fall. Otto Jahn verdanken
wir bekanntlich das eingehendste Buch über
Mozarts Leben und Werke; es gehört noch
immer zu den besten Biographien großer Kom-
ponisten. Jahn widmete der Mannheimer Sonate
eine volle Seite, aber er stelite bloß briefliche
Äußerungen zusammen und bemerkte dazu kurz
(1. Auflage, 1856): ,,Leider kann ich diese Sonate
nicht nachweisen"; in der zweiten, stark ver-
kürzten Auflage war diese Bemerkung ge-
strichen. Nach Jahn und bis zur Gegenwart
wurde oft versucht, die fragliche Sonate zu ent-
decken, wobei drei genannt wurden. Die erste
davon (B 2/4) entstand jedoch bestimmt vor der
Mannheimer Zeit, die zweite (a) bald hernach,
in Paris, und gegen die meistgenannte dritte
(C ^ J sprechen äußere wie innere Gründe. Da-
gegen glaube ich von einer bisher nie vor-
geschlagenen Sonate (die spätere der beiden in
D 4(4, Köchel 311) wahrscheinlich machen zu
können, daß es die gesuchte ist.
Vorliegende Arbeit möge als eine Nach-
feier des Mozart-Jubiläums von Ende Januar
gelten, wozu sie eigentlich erscheinen sollte.
Die erste Fassung stammt von 1897 und war als
Vortrag in einem Bonner Musiklehrer-Verein
verfaßt. Nach vielem Umarbeiten und Hausieren
tritt er hier, genau nach der Horazischen Frist
von neun Jahren, gedruckt ans Licht. Leser,
denen die nötigen eingehenden Untersuchungen
im ersten Abschnitt zu lang werden soMten,
verweise ich auf den zweiten. Hier, hoffe
ich, werden die Briefstellen Mozarts, woraus
dieser Teil fast ganz besteht, sie fesseln. Denn
der Meister zeigt hier die Herzlichkeit, Fein-
heit und Munterkeit, die bekanntlich Haupt-
züge seiner Musik bilden. Freilich kennen die
vielen diese nur oberßächlich, die meinen, Mo-
zart sei auf den genannten Bereich beschränkt,
dagegen sei ihm das Tiefe, Schmerzliche und
Leidenschaftliche fremd (ein Beispiel bietet
schon die Pariser a-Sonate).

Zunächst einiges zur Darlegung der Verhält-
nisse, worin unsere Sonate entstand; das Nähere
findet man in den vielen Werken über Mozarts
Leben. Ende September 1777 trat der fast
21jährige Meister unter dem Schutz der Mutter
die bekannte lange Reise an, die Paris zum
Ziel hatte. Auf dem Weg sollte er versuchen,
bei einem kunstsinnigen Großen eine Anstellung
oder wenigstens den Auftrag auf eine Oper zu
erhalten. Der erste Versuch, in München,
schlug fehl; Mitte Oktober reisten beide weiter
nach Augsburg, damals freie Reichsstadt, wo
sie bis zum 26. Oktober blieben. Wolfgang
trat hier zweimal öffentlich als Klavierspieler
auf: zuerst als Mitwirkender in einem Konzert,
das auf der Geschlechterstube von den Patriziern
gegeben wurde, dann in einer eigenen ,,Aka-
demie" (wie damals die großen Konzerte mit
Orchester hießen). Wir werden später erfahren,
daß er in diesem Konzert zuerst eine neue
Sonate in C vortrug, mit der wir uns ein-
gehend beschäftigen müssen, da nicht weniger
als vier Sachverständige meinen, diese sei die
Mannheimer Sonate.
Am 30. Oktober traf Wolfgang nebst Mama
in Mannheim ein; sie blieben bis Mitte März
1778, viel länger als zuerst geplant war. O. Jahn
(I 375< 3- AuH.) sagt über das Ergebnis dieses
Aufenthalts: ,,ObwohI die günstigen Aussichten,
die sich anfangs eröffneten, nicht in ErfüIIung
gingen, bildeten die dort verlebten 4^2 Monate
für Mozarts musikalische Ausbildung wie für
sein Gemütsleben eine entscheidende Epoche."
Bei dem sehr musikliebenden pfälzischen Kur-
fürsten Karl Theodor fand er persönlich
gnädige Aufnahme, aber Anstellung oder Opern-
auftrag blieben aus, obgleich Cannabich, in
dessen Familie er gleich vertraut verkehrte, sich
seiner warm annahm. Am 8. Dezember erhielt
er den endgültigen Bescheid, daß nichts zu
hoffen sei; trotzdem biieb er noch volle drei
Monate in Mannheim. Später, bei Anführung
der Briefstellen über unsere Sonate, werden die
Gründe dafür dargelegt.
Wir wollen uns jetzt zu den bisherigen Ver-
suchen wenden, die MannheimerSonate aus
den bekannten Mozarts herauszufinden. Zwei
der Vorschläge sind kurz abzuweisen, denn bei
unserer jetzigen Kenntnis der Sachlage sind sie
ganz hinfällig. Zuerst hatte Nohl eine Ver-
mutung zum besten gegeben, in seinem Jahn
nacherzählten ,,Leben Mozarts" von 1863, die
dann Franz Lorenz 1866 nachschrieb, im
Schriftchen ,.Mozart als Klavierkomponist".
Beide glaubten, es sei die in B 2 ^ (Köchel 281),
wegen des in der Tat sehr feinen, romanzen-
artigen langsamen Satzes ,,Andante amoroso".
Diese Vermutung war jedoch schon damals
unzulässig, da man wußte, daß die Folge der
sechs ersten Klaviersonaten (für Baron Dürnitz
komponiert, Köchel 279—84), wozu die genannte


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