Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

DOI Heft:
Nr. 10
DOI Artikel:
Pantheon-Ausgaben
DOI Artikel:
Schurr, Ernst: Die retrospektive Ausstellung in Münschen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0205

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Franz Deibet eine chronoiogische Anordnung und zu-
gieich eine Ausscheidung der Geiegenheitsverse im
engeren Sinn versucht hat. Bekanntiich ist nichts so
dauerhaft wie ein Druckfehler; er schieppt sich aus der
ersten Aufiage in die späteren, so iange bis der Dichter
eines Tages tot ist und ihn ssiber nicht mehr korrigieren
kann, eine heikie Aufgabe für eine fremde Hand hinter-
iassend. Auch iiegt es im dichterischen Handwerk, daß
der erste Abdruck nicht immer der endgüitige, wenn
auch manchmai der beste ist: hier bedarf es unendiich
feiner, nicht eigenmächtiger Hände, damit uns das Werk
des Dichters rein erhaiten bieibt. Daß man soiche Hände
waiten sieht und ihnen vertraut, ist der schönste Vorzug
dieser Ausgaben. Wo es nötig ist, wie z. B. bei Hamiet
oder auch bei Mörike (seiner schwäbischen Sprache wegen),
sind in kurzgefaßten Noten am Schiuß Eriäuterungen
gegeben. Desgieichen wird jeder Band durch ein Vor-
wort eingeieitet, das in den meisten Fäiien viei mehr als
ein soiches eine Abhandiung über den Dichter und sein
Werk ist, die man mit Genuß und Gewinn iiest. Dies
soii weniger von dem Vorwort Hofmannsthais zu „Des
Meeres und der Liebe Weiien" von Griiiparzer geiten,
das die Liebe eines Dichters zum andern in begeisterten
Worten gibt, ais von den streng sachiichen Arbeiten z. B.
von Franz Deibei zu Mörike, von Otto Pniower zum
Faust oder von Rudoif Fischer zum Hamiet; vor aiiem
aber von der Einieitung zum Michaei Kohihaas, worin
Erich Schmidt an der Hand des Kieistschen Werkes Be-
merkungen zur Erzähiung gibt, die von einer seitenen Ein-
sicht in diese so vieifach mißverstandene Kunst zeugen.
Nicht schöne Worte über den Erzähier, sondern diesen
seibstgebend in Beispieien der ersten und letzten Fassung,
zeigt er uns die ieidenschaftiiche Mühe des Dichters,


A. Gräser. Kanai. Lithographie,
TTllE RETROSPEKTIVE AUSSTELLUNG
Lv IN MÜNCHEN. Von ERNST SCHUR.
(Schluss. Versehentlich in der vorigen Nummer fort-
gelassen. Die Red.)
Danach kommt die pathetische Epoche, die erst klassisch,
dann romantisch sein will. Dazu geseilen sich die Naza-
rener, die in der italienischen Malerei ihr Vorbild erblicken.
Sie alle streben hier zu einer grossen Form, wissen sie
aber noch nicht im Leben zu entdecken, sondern suchen
rischen Stil. Sie werden, da sie fremde Posen einnehmen
müssen, dabei oft falsch und unwahr, und uns fällt dieser
Mangel am ehesten auf. Diese Kunst, die äusserlich die
grosse Gebärde hatte, fand Unterstützung. Sie bedeutet aber
nur einen Übergang. Am erträglichsten sind diese Künstler
noch im Porträt, wo sie sich an die Natur halten müssen.
Und auch in der Landschaft leisten sie aus demselben Grunde,
sobald sie ihr klassisches Rezept vergessen, Gutes; so Hess,
der ganz einfach und natürlich bleiben kann.
Schwind und Spitzweg haben besondere Kabinette.
Dochist die Auswahl keine glückliche gewesen. Von Schwind


R. Hoffmann. Dorfeingang. Lithographie.

jedes einzelne ßild aus wenigen bestimmten Anschau-
ungen zu bilden, die dann gleichsam wie ein Mosaik
eindringlicher wirken als die feinste Stimmungsschilde-
rung; selten ist so deutlich ausgesprochen worden, worauf
es in der Erzählungskunst überhaupt ankommt. Ich kann
allen, die sich gegenwärtig mühen, um etwas zu erzählen,
nur raten, die letzten beiden Seiten dieses Vorwortes zu
lesen, es enthält eine Einsicht, die ihnen Jahre nutz-
loser Quälerei ersparen kann. Dem Laien geben sie
einen Wertmesser, an dem so ziemlich alles, was heute
epische Kunst sein möchte, sich als minderwertig er-
weist.*
So vereinen diese Bändchen die angenehmste Form
mit philologischer Gründlichkeit. Manche von ihnen
sind mir stete Reisebegleiter geworden. Von Mörike und
Eichendorff gibt es wohl keine schönere Gedicht-Ausgaben
als diese. Die von Eichendorff ist übrigens von Emil
Strauß besorgt. Ich glaube mir einen Dank einiger Leser
zu verdienen mit diesem Hinweis; auch sei zum Schluß
gesagt, daß hier billig und gut einmal wirklich vereint
ist, das in Leder gebundene Bändchen kostet 2,50 Mark.
S.
* Mit freundlichem Einverständnis des Verfassers
sowie des Verlages können wir das Vorwort in dieser
Nummer zum Abdruck bringen (siehe S. 153). Die Red.
Gute, das Schwind gab, ins Gedächtnis zurückrufen, um hier
nicht an ihm irre zu werden. Besser ist Spitzweg vertreten,
aber auch hier erstickt die Menge das Gute. Diese Unmasse
kleiner und kleinster Bildchen verwischen die Absichten
dieses liebenswürdigen Malers, der so locker und weich
malte, der die Farben so reizvoll verteilte, der das sonnige
Licht so prickelnd zu malen verstand. Wie rein und frei
ist seine Luft in den Bildern vom Gebirge, wo grosse Wolken
hinschweben am Himmel. Hier aber kommt mehr das
Witzige, Anekdotenhafte zum Ausdruck. Das Künstlerische,
das Koloristische tritt zurück.
Was also ist der bleibende Erfolg dieser retrospektiven
Ausstellung? Sie gibt einen immerhin lehrreichen Überblick
über die Münchener Malerei früherer Tage. Sie zeichnet
damit gewissermassen in feinen Konturen die Unterlagen
für die Münchener Kunst der Gegenwart. Und sie lehrt
unterstützt, die der Phrase huldigen. Und dass wir dieser
Tatsache immer mehr inne werden, dass die eigene, ernste
Entwicklung besser ist als alle Unterstützung und aller
äussere Prunk, das ist ja auch ein Gewinn. Gewiss dachte
die Generation um Ludwig I., sie hätte nun künstlerisch
etwas Epochemachendes geschaffen. Uns aber packt ein

159
 
Annotationen