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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Schäfer, Wilhelm: Der falsche Sohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0304

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ER FALSCHE SOHN.
Eine Anekdote von W. SCHÄFER.
An einem Frühlingsabend, da von den Ka-
stanienbäumen schon das Harz der nassen
Knospen roch, schienderte ein junger Kieriker
in Würzburg dem Kioster der Reuer zu und
hatte den Türgriff schon gefaüt, der eine schuppig
geschmiedete Eidechse war, als ihm ein Fuhr-
mann mit dem Peitschenstiel vertrauiich auf
die Schultern kiopfte, ein breitschultriger Kerl,
der mit dem rechten Fuß ein wenig hinkte und
einen Bart wie eine Pferdemähne hatte. Der
war mit seinem Fuhrwerk schon lange ihm
zur Seite geblieben; jetzt iieß er die Hand nicht
von ihm ab und sagte Du und Paui zu ihm
und sprach von seinen Eltern an der Mosel,
daß die besorgt und ohne Nachricht wären.
Nun hieß der Kleriker Niklas Wenz und war ein
Waisenkind aus Linz: ,,Ihr seid wohl geckig,"
fuhr er heraus und ließ ihn übellaunig vor der
Kirche stehn.
Er hatte über Pfingsten den Vorfall längst
vergessen, als er an einem Morgen vor der selben
Kirche den Fuhrmann verlegen vor seinem An-
blick in eine Gasse schwenken sah. Und weil
am Himmel knallweiße Wolken zogen und auch
in einen Kleriker der Übermut einßiegen kann,
ging er ihm nach und tippte — wie ers von
seinen Obern kannte — ihm gnädig auf die
Schulter: „Sieh da der Mann, der seine Leute
kennt!"
Der Moselaner aber hielt ihm lustig stand;
und als er im Verlauf von manchen Scherzen
ihn fragte, wer eigentlich die Eltern seien, die
so nach ihrem Paul verlangten, lud er ihn lustig
ein, mit hinzufahren, es seien Müllersleute an
der Mosel, wohlhabend und gut eingerichtet.
Darüber fand sich, daß er dem jungen Geist-
lichen eine Retourgelegenheit zum Kloster
Triffenstein für wenig Geld anbieten konnte, die
der nicht ungern annahm, weil er seit Wochen
schwach vom Frühling sich dort erholen sollte.
Am andern Tag war solches Regenwetter,
daß er behaglich in seinem Wagen den Zufall
pries, um ein paar Groschen gleich einem
Herrn durchs Land zu reisen. Doch war es
ihm zuletzt bedenklich, am Kloster im Wagen
vorzufahren; er klopfte dem Fuhrmann an die
Scheibe, um das letzte Stück auf einem ihm
wohlbekannten Wiesenweg zu gehen. Nun
mochten die Räder zu viel rumpeln: der Fuhr-
mann saß mit breitem Rücken und ließ die
Gäule weitertrotten; sowie sie auf der Höhe
waren, wo sich die Straße im Bogen abwärts in
eine Eschenallee versenkte, zog er die Bremse
nicht an, wie sonst an dieser steilen Stelle,
ließ seine Pferde einen Trab beginnen und ging
am Klostertor vorbei, wie wenn er seinen
Passagier im Wagen ganz vergessen hätte. Der

sprang zwar auf, stieß sich den Kopf und
klopfte ans Fensterchen und rief und rüttelte
am Schlag: und sah nun erst, wie fest das
Eisengitter daran war, so daß er wie im Kähg
trotz seinem Zorn gemächlich in das Tal hinab
gefahren wurde, in weitem Bogen auf den
blauen Spessart zu. Weil er sich keinen Grund
ausdenken konnte, ihn zu entführen, so glaubte er
zunächst an einen Scherz, den er dem Moselaner
mit Schimpf und Zorn schon heimzuzahlen dachte.
Doch als es Stunde um Stunde so weiterging,
zuletzt im Schritt durch dichten Wald den
ersten Spessartbergen zu, und er trotz allem
Rütteln, Klopfen und Geschrei den Kerl nicht
dazu brachte, sich umzudrehen: so mußte er
in einem lahmen Zorn sich fahren und rütteln
lassen bis zum Nachmittag.
Da fuhr der Wagen in Rohrbrunnen an der
„Sonne" vor, und weil das Wetter sich gegeben
hatte und die Sonne in Dunst und nassen
Dächern blinkte: so stand der Wirt, ein Schwein
erhandelnd, gerade in der Haustür und nickte
dem Fuhrmann lustig wie einem alten Bekannten
zu. Obwohl der Niklas Wenz bemerkte, wie
der Moselaner dem Wirt und danach auch dem
Schweinehändler etwas ins Ohr zu sagen hatte,
worauf die beiden erschrocken mit ihm an den
Wagen kamen: ahnte er die Bosheit nicht, wie
der ihm ehrerbietig den Schlag aufmachte und
sorglich noch die Hand anreichen wollte. Ver-
nunft und Würde und Bescheidenheit vergessend,
schlug er nach ihm und hatte in seinem Leben
nicht so geschimpft und so viel Zorn durch
seinen Hals ausßießen lassen und wurde aus
einem engbrüstigen Kleriker fast ein Kerl. So
stand er bald in einem Kreis von Kindern und
von Bauern, die alle durch Geßüster und Zeichen
rasch verständigt mitleidig nach ihm sahen, in-
dessen der Wirt und auch der Schweinehändler,
ihre Mützen in der Hand ihn ehrerbietigst baten,
einzutreten. Er wollte sich mit einer wegwerfen-
den Gebärde seitwärts entfernen: wohl drängten
da die Gaffer auseinander; die beiden aber
taten ihre Mützen auf den Kopf und standen
griffbereit, so daß er, einen Augenblick verwirrt,
gehorsam über die Treppe in die „Sonne" ging.
Da wurden die Männer wieder höflich und be-
scheiden; und wenn der Anlaß nicht so un-
erwünscht gewesen wäre: er hätte mit der
Aufnahme zufrieden sein können. Er wurde
achtungsvoll ins Herrenstübchen eingelassen,
bekam zu essen und Wein gebracht, und auch
die Wirtin, eine schwarze blasse Frau, erzeigte
ihm den schuldigen Respekt. Nur als er zornig,
dann Hehend bis zum Weinen, dann wieder
zornig sie beschwor: er sei vernünftig und
nicht verrückt, wie ihn der Moselaner aus-
gegeben hätte, da gab sie keine Antwort, wie
die andern.
So wurde der Niklas Wenz, der an dem
Morgen so stolz ins Land gefahren war, mit


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