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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0315

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ORFEIER.
Von GUSTAV KÜHL.
Ich bin das Christkind. Aber sie kennen
mich nicht.
Die Straßen wogen. Alies ist hell. Die
Laternen haben den Tag besiegt, biendende
Bogenlampen spiegein sich in den Scheiben,
und eine breite Lichtmasse Hutet heraus auf
das Menschengetriebe, auf dunkie Hüte, Winter-
mäntei und Petze, auf ieuchtende Gesichter,
und auf die Pakete in den Händen.
In dem dichten Schwarm schwebe ich mit.
Ich bin das Christkind. Aliein sie sehen mich
nicht.
Sie haben so viele Gedanken. Was haben
sie schon alles gekauft, und was wollen sie
noch kaufen! Wen haben sie schon all bedacht,
und wer ist noch zu bedenken! Sie schieben
sich vorwärts, so schnell es gehn will; aber
es geht nicht schnell, sie drängen durcheinander
und aneinander vorbei, kribbelig wie die
Ameisen auf ihren Heerstraßen, die hundertmal
mit den Köpfen zusammenstoßen und doch
unbekümmert weiterhasten. Und der feine
Winternebel leuchtet und rötet ihre Backen,
sie riechen die wohlbekannte Schneeluft, ihre
unsichtbaren Füße unten auf dem PHaster heben
sich wie im Takt: sie könnten fast tanzen all
diese sorgenvollen Leute, sie geben sich einen
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nebeneinander, und die Gesunden laufen Spieß-
ruten. Wer hat der Menschheit ihre Bedürf-
nisse gegeben! Wachskerzen, Schnürsenkel,
Ansichtskarten, Blumen, Scherzartikel, unzählige
Schnurrpfeifereien werden ihr entgegengepriesen.
Aber ganz an die Mauer gedrückt, blaßwangig
und mit rotgefrorenen Händchen, immer ab-
wechselnd einen Fuß auf dem andern, das sind
meine Lieblinge; und in singendem Ton, sie
sehen niemand dabei an, hör ich ihre Kinder-
stimmen: Zehn Pfennig, zehn Pfennig der Christ-
baumschmuck! Zehn Piennig der Hampelmann!
Andere wieder, die nicht frieren, mit blauen
Kapuzen auf dem Kopf und Handschuhen an
den Händen (wenn auch die Fingerspitzen
herausgucken), die lungern vor den Schau-
fenstern und starren mit Wunschaugen hinein.
Eine Lamettalocke von meinem Haarkranz
schneit auf ihre Köpfe hinunter, greif, greif! wer
war das? Doch ich bin schon fort inmitten des
Menschenschwarms, der mich trägt, zwischen
den Pelzmützen und Hüten und Mänteln und
Kragen und Paketen, ich schwebe weiter an den
entstellten Gesichtern meiner Elenden vorbei, an
ihren Verkaufschachteln und ihrem bunten Kram,
und ich mustere sie; wieder schütteln sich meine
Flügel: Nickelmünzen, Kupfermünzen, Silber-
münzen fallen, und ihr Auge, ja ihr Auge sieht
mich an, nicht voll Dank, nur wie Hunde um
den nächsten Bissen die Hand ihres Herrn ver-
folgen, immer wieder um den nächsten Bissen,
immer wieder . . .
Ich bin das Christkind. Und sie, sie kennen
mich.

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NSERE MUSIKBEILAGE

muß in dieser Nummer fehlen. Dr. Gustav
Kühl, mein lieber Freund, der den musikalisc: en
Teil der ,,RheinIande" besorgte, ist an einer
Blinddarmentzündung plötzlich gestorben. Die
Korrektur der vorigen Musikbeilage fand sich
als seine letzte Arbeit auf seinem Arbeitstisch:
,,Tod und Tödin".
Gustav Kühl war, nicht allzuvielen bekannt,
ein Dichter von zarter und spröder Begabung.
Sein Bändchen ,.Wimpel und Winde, Gedichte
in Duodez" bei Schuster & Loeffler wird wohl
nicht vergessen werden. Neuerdings schrieb
er kurze Prosastücke von eigentümlicher Voll-
endung und melancholischer Färbung; die
,,Rheinlande" brachten einige davon. Und auch
die ,,Vorfeier" sollte nicht als Nekrolog hier
stehen. Seines Zeichens ehemals Theologe,
danach Assistent am Kunstgewerbe-Museum in
Berlin, und also auch kunsthistorisch tätig, war
Kühl in seiner tiefsten Neigung wohl der Musik
zugewandt. Für die Anerkennung von Hugo Wolf
hat er viel Temperament eingesetzt; und es ist
vielleicht sein schönster Nachruhm, daß Theodor
Streicher in ihm einen herzlichen Freund be-
trauert. Wilhelm Schäfer.

:r Rheinlande (v. Fischer & Franke). Druck A. Bagel, Düsseldorf.
 
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