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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Supper, Auguste: Johann Kusterer auf Abwegen
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Bernus, Alexander von: Clemens Brentano
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0165

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Iohann Kusterer auf Abwegen.

Ain Galgenwasen vorüber gehts der Dde zu, wo
des Staseles Karren steht.

Der Abend sinkst als der Johann heinnvärts geht.

Der Wind ist still geworden, und die kleinen dunklen
Bienen sunnncn nicht mehr im Thymian.

Nur ein einsamer Rabe streicht vom Wald herüber
dem Schäserkarren zu.

* *

*

„Wo scnd'r denn de ganze Nochmittag g'steckst Ahne?"
sragt die Anne-M'reh als sie dem Alten die Abendmilch
hinstellt. „Halt a wen'g außeg'lauseH sagt er so obenhin.

Aber gegen den Herbst hin kommt es doch herauö,
daß der Ahne den ganzen Sonnner über sast jedcn
schönen Tag beim Schäser steckte.

Beim Stasele, bei dem katholischen Himmelsakker-
mcnter.

„Er hot halt kei' Arbet, no konnnt 'r uf so Dengs,"
sagt Michel Kusterer, der Sohn.

lemens Brentano.'

Von Alexander von Bernus.

„Alles, was der Dichter uns geben kann,
ist seine Individualität." Schiller.

Als Clemcns Brentano in dcn letzten Dreißigern
stand, war er innerlich an einem Puukte angelangt,
wo es sich entscheiden mußte, ob er zu einer heiligen
Größe anwachsen sollte oder zerbrechen. Er zerbrach
und ging zur Beichte. Das war iin Iahre 1817. Was
er seitdem bis zu seinem Tode schricb — er starb 1842 —
ist mit geringen Ausnahmcn künstlerisch wertlos. Es
ist durchaus ein Mißvcrsteheu seineS Charakterö, wenu
seine „Bekehrung" vielsach alS eine Reaktion, als ein
Umschlagen vou einem Extrem inö andre dargestellt wird.
Das war keineswegs der Fall, soudern die Spuren
beider Richtungen, welttrunkener Icb-Erfüllung und
katholisch srommen Glaubens, die sich seltsam iueinander
wirreu, sind schon in scinen srübcsten Dicbtungen zu
finden. So kam es, daß er in glcicher Stundc das
Hohelied deS Lebens sang und phantastische Gebete
lallte. Beides ist wahr, beidcs sprach seine Seele. Er
schus intuitiv. Und da er solchen Iwiespalt in sich trug
und ihm unbewußt gehorchte, gewann bald diesc, bald
jene Stimmung über ihu Gewalt, drängte zur Außerung
und wurde auS seiner tiefsten Individualität heraus
zum Gedicht. Denn nicht er bcsaß die Poesie, sondern
die Poesie beherrschte ihn. So wurde er der Schöpser
volkstümlicher Mythen — der Lurlei-Sage — so entftanden
die unergründlichen Klänge, so gebaren sich die visio-
nären Bilder und Gesichte, bei dencn wir erschauern,
weil sie so sernher kommeu und so ewig sind. Daher
rührcn aber auch alle Schwächcn seincr Kunft, allc
Längen, Härten und Mißtöne. Das gilt im weiteren
Sinnc von den Romantikern überhaupt. Sie siud die
Dichter an sich. Ihr Reich liegt in der Phantasie. Sic

'' Als Einleitung zur Pantbeon-Ausgabe von Brentanos Ge-
dichtcn. (S. Fischers Verlag, Berlin.) Siehe Besprechung auf
Seite IZö dieses Heftes. Die Ned.

„Wer mit den Weisen umgehet, der wird weise;
wer aber der Narren Gesellc ist, der wird Unglück
haben. Sprüche Salomonis im dreizehnten," sagt Gott-
lieb, deS alt Schulzen Sohn, der mit dem lieben Gott
so gut fteht, und: ^Sirach im dreiunddreißigsten: Müßig-
gang lehrt viel Böses."

Der Iohann lacht dazu und denkt: „Wenn d' Leut
wisse tätet —-" Er ist jetzt über vieleö im reinen.

Und Sachen sind darunter, die der Pfarrer auch nicht
besser wissen kann. Und gar erft der Schulmeifter. —

Dem ist der Iohann überhaupt hinter die Schliche
gekommen. Der hält Reden über Thomaömehl und
Kainit, und mittlerweile schickt er seine vier Buben hinaus,
daß sie mit eincm Blecheimer hinterhergehen, wenu der
Staselc austreibt.

Lasten etwa die Schase Kainit und ThomaSmehl
fallen? Aber so sind die Herreu! Die WeiSheit haben
sie mit Löffeln gesresten, und das Bcste holen sie dann
doch beim Staselc.

wissen sich im Tageö-Lebcn nicht zurecht zu finden,
sie fliehen Beruf und Zwang; denn sie sehen die Welt
mit den Augen des Träumerö und ihre Seelen sind
voll Sehnsucht — und die Sehnsucht ist ohne Ziel, das
ist zugleich ihr Segen und ihr Fluch. Bei Brentano,
der unter ihnen die wenigst kritische und dichterisch
ftärkste Natur war, traten diese Erscheinungcn sämtlich
am ausgeprägtesten hervor. Durch Blutmischung war
er zum Romantiker bcstimmt. Sein Geschlecht ftammt
aus Italien - der Vater war in jungen Jahren aus
Trenwzzo am Comersee eingewandert. Die Mutter war
Deutsche. Der Vater katholisch, die Mutter protestantisch.
Alle Bedingungen und Gegensätze der Romantik lagen
in ihm verschmolzen: die Sonnensehnsucht des NordenS,
die an des Südens Glanz und Glut sich selbft ver-
zehrt, und Sinnenfreude und katholisch - mystischer
Wunderglaube getragen in die schattige Kühle deutscher
Wälder. In seine Kinderträume rauschte der Rhein
und weiter tief in sein Leben:

„Treib nieder und nieder
Du herrlicher Nhein!

Du kornmst mir ja wieder,

Läßt nie mich allein!"

„O Dater, wie bange
War mir es nach dir,

Horch meinem Gesange,

Dein Sohn ist wieder hier!"

Auch das sprunghaftc Wesen seineö witzigen Geistes
und geistreichen Witzes sind charakteristische Züge des
Rheinländers — und die vcrschwimmende Sentimentalität.
So suchte er in seinem Innern ewig sich und sand sich
nicht vor Gegensätzen. Als Knabe, der sich aus der
Erde nicht zu Hause fühlt, erträumte er sich cine
Märchenwelt, „die über der Wirklichkeit wic ein Sternen-
himmel über einer Froschpsütze lag", und nannte sic
sein Fürstentum „Vaduz", denn zu seinem Wunder-
lande stimmte der fremde Klang dieses Wortes. Doch
als er dann erfuhr, daß eö cin Städtchen solcheu
Namens gäbe in der gemeinen Welt, weinte er, und
die Frau Rat Goethe tröstete ihn in seinem Schmerz:

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