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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Hashagen, Justus: Napoleon und die Rheinlande
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Schwann, Mathieu: Gustav von Mevissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0169

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Napoleon und die Nheinlande.

und gegen alle Anläufe der preußischen Reaktion Mlt
größtcr Reizbarkeit und zäher Widersetzlichkeit verteidigt
worden. Er ist zu emern dauernden Bestandteile der
politischen Ideale deö rheinischen Bürgertums geworden.
Heute gilt er uns alö selbstverständlich. Aber damals
ist er es nichst sondern eine Errungenschaft. Und auch
ihr Spender ist Napoleon. Er lebt weiter in der dank-
baren Erinnerung des rheinischen Volkes.

Warum sich über den rheinischen Napoleonkult ent-
rüsten, wo daö Rheinlaiw dem Kaiser so viel zu ver-
danken hat? Die Tatsache dieses Kultus ist eiic nur
bescheidener Ausdruck ganz natürlichen Dankgesühls.

Aber die Form dieses Kultuö geht sreilich oft über
das sachlich berechtigte Maß unendlich weit hinaus. Es
ift unmöglich, hier Vers an Vers und Phrase an Phrase
zu reiben, alle die Metaphern und ausgeführten Gleich-
nissc zu erwähnen, die von den Pricstern dieses Kultus
gewählt werden. Die antike Mythologic, die deutsche
und die rheinische Geschichte verbinden sich dabei. Am
überschwenglicbsten sast lautet die Sprache von Geist-
lichen beider Konsessionen. Napolcon hat den Katho-
likcn das Konkordat, d. h. Schutz vor der kirchenfeind-
lichen Republik, und den Protestanten die Organischen
Artikel, d. h. Befreiung und Organisation ihres Kultus,
und zwar zum erstenmal sür das ganze Gebiet der
heutigcn Rheinprovinz, geschenkt. Jn beiden Lagern
wird ihm nun immer von neuem der duftende Weih-
rauch geopfert. Alö in Köln I8O1 die Iesuitenkirche
wieder eröffnet wird, da kann man von der Kanzel
die Worte vernehmen: ... „Was tat der Herr? Er er-
weckte einen Helden, einen der größten Geister des Jahr-
hundcrts, vielleicht in seiner Art den einzigen; diesen
ries er aus Agypten, mirten aus der Rennbahn seiner
kriegerischen Unternehmungen in seine Vaterwelt." —
Noch größer sast die Bcgeisterung der Protestanten. Es
wird ihnen schwer, sich in die neue Freiheit zu finden.
Sie gleichen den Wiedcrgenesenden, die wohl den fteien
Gebrauch der Glieder erlangt habcn, es aber noch nicht
wagen, sie wieder anzusetzen. Uni so lauter der Preis
Napoleons. Er hat zu seincn vielen Ruhmestaten die

uftav von Meviffen.'

Unter den Meisterwerken deutscher Biographien
nimmt das Buch Ioses Hansens über Meviffen
unbestritten cinen hohen Rang ein. Es umfaßt ein
Iabrbundert dcutschen Lcbens und deutscher Entwicklung,
das Jahrhundert, in dem die Namen Goethe und Bis-
marck wirksam wurden im deutschen Volke, das Iahr-
hundert, das sür Deutschland anhub mit dem Gegen-
satze Napoleon und Stein, in dem der Kamps Friedrichs
deö Großen um Preußenö Stellung in Deutschland weit
ernster, kühner und ersolgreicher durchgekämpft werden
sollte, als selbst der große Hohenzoller es sich hatte träumcn
laffen. Aber dieses Iahrhundert umfaßt noch viel mehr:
jene bürgerlichcn Elementc, die großen Namen, die da
zum Ansang des Iahrhunderts aus dcn Gebicten der

" Cin rheinisches Lebensbild von Iosef Hansen. Berlin.
Georg Neimer, Verlag.

größte hinzugefügt: daß er die Sehnsucht der Väter,
der gedrückten Gemeinden unter dem Kreuz, erfüllt hat.
Er ift die Liebe und das Vergnügen des Menschen-
geschlechts, sagt ein rechtgläubiger evangelisch-lutherischer
Psarrer in Montjoie 18O2.

Der von Napoleon eingesetzte neue Aachener Bischof
Berdolet hat später den ganzen Apparat biblischer Reminis-
zenzen benutzt, um die Gestalt des Kaisers sörmlich mit
einem religiösen Schimmer zu umgeben. Die Rückkehr
Napoleons aus deni Oriente wird mit der providentiellen
Führung der Waisen aus dem Morgenlande verglichen.
Die Kriegssahrten des Kaisers werden mit den Worten
der Bibel beschrieben. Indem die Feier von Kaisers
Geburtstag und von Mariä Himmelsahrt aus denselben
Tag, den 15. Auguft, gelegt werden, erhält Napoleon —
und das ist der letzte Schritt — eine heilsgeschichtliche
Bedeutung. Die Jnterzession Napoleons und der Mutter
Gottes werden faft gleichwertig nebeneinandergeftellt.
Der napoleonische Katechismus wird in den rheinischen
Schulen eingeführt, am ersten Sonntage im Dezember
das Fest dcs hl. Napolcon gefeiert.

Dies schlimme Rankenwerk vom Rahmen deö Bildes
dürfen wir abschneiden. Aber das Bild selbst, wie es
am Rheine weiterlebt, ist unzerstörbar. 1812 hat der
großherzoglich bergische Staatsrat um ein Bild des
Kaisers gebeten. Wenn wir uns schwach sühlen, sagen
sie, werden wir unsere Augen zu Euer Majestät erheben,
und diese Züge werden uns inspirieren, uns das Wissen
und die Weisheit gcben, die uns sehlt. — Wir sind
nicht mehr so überschwenglich. Wir lassen uns auch
vom Standpunkte der rheinischen Geschichte aus nicht
dauernd von seiner Geftalt blenden. Auch unter seiner
Herrschaft vielmehr haben tiefe Schatten über dem Lande
gelagert.

Aber — und mehr wollen diese Zeilen nicht sagen —
das Rheinland hat ein besonderes Verhältnis zu ihm.
Unser Patriotismus und unser Heimatsgefühl leiden nicht,
sie werden im Gegenteil gekräftigt und geläutert, wenn
wir uns in Dankbarkeit seiner erinnern.

Justus Hashagen.

Kunst, der Literatur und Wiffenschaft dem deutschen
Leben seinen bis heute höchsten Glanz verliehen, bedeuten
etwas. Das Bürgertum dringt in die Geschichte und
Weltgestaltung hinein; die menschliche Kultur ftellt ihre
Forderungen, und ihnen zu gcnügen, zeigen sich die bis-
herigen herrschenden Stände in Deutschland, Aristokratie
und Geistlichkeit, allein nicht mehr gewachsen. Neue,
unverbrauchte Kräfte müssen mobil gemacht werden, und
wie die sranzösische Revolution den tiers ötat zum Wirken
ries, so entsesselte der politische Aufschwung Frankreichs,
der wirtschaftliche Aufschwung Englandö notwendig die
Kräfte derjenigen Völker, die in dem Ringkampf um
die Zukunst sich behaupten wollten und mußten.

In Deutschland sind die Geister vorbereitet durch
das Wirken jener Kulturheroen. Und alö die Franzosen
den deutschcn Boden verließen, fielen die Rheinlande und
Westfalen Preußen zu. Hier im westlichen Neupreußen
aber waren die ftändischen Schranken gesallen, hier blieb

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