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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Jacques, Norbert: Mariens Tor: eine Novelle
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Schäfer, Wilhelm: Das elsässische Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0210

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Füßen. Maria, Jungfrau, süße Heidin, und jich liebe
dich. Mein Herz ist Feuer, und mein Blut schäumt,
ich töte dich!"

Stanislaus war weggesprungen von seiner L>äule.
Sein Herz schrie. Seine Augen slogen. Irr eilte er
zum Altar, kletterte hinauf zur Statue. Er wollte seine
fiebernden Wangen und die Wünsche seiner lohenden
Liebe an ihr seines blasseö Gesicht sliehen, ^sich die
Heilige retten.

Bald war er droben bei ihr, schlang wahnsinnig
die Arme um das Steinbild . . . es war kalt und eisig,
und in tödlichem Entsetzen slogen seine ernüchterten
Glieder von ihm zurück, rückwärts in jähem Sturz und
schreiend in die Tiefe. Das Bild war vor seinen Gluten
zu einem ungeheuer großen, ungeheuer kaltem Steinklotz
hinausgewachsen, der zermalmend ihn zur Erde nieder-
stieß. Langsam slog der dumpse Fall durch die Hallen
und vertönte zu den Ländern der Decke hinauf, wo er
leise sich in die Dämmerung verwebend weiterlebte.

Der Geistliche, der gerade im Begriffe war, seine
Andacht zu vollenden, kam vom Lärm angezogen zum
Marienaltar.

Er sand zu Füßen des seftlich geschmückten Altars
die Leiche eines sremden Manneö. Der Kopf lag in
einer Lache Blutes, das in einem dünnen Aderchen still
die weißen Marmorsliesen hinabsickerte, und die linke
Hand umschloß in bleichem Kramps ein abgerisseneö
Ende der koftbaren Halskette der Statue. Vorwitzig
und mit dunkel koketten Augen blinkten die Steine,
und der Geistliche sragte sich vergebens, was hier geschehen
sei. Die Orgel umsaßte in einem Finale mit rauschenden
Armen das Vertönen des letzten Satzes der Knabenstimme
und ging brausend und jubilierend durch die Hallen.

Und die Kirche lag, wie ein tropischer Falter mit
großen gebreiteten Schwingen, die in harten bleichen
Teppichsarben blaß verdämmerten, satt über der Leiche
und hatte tote glotzende Augen. Das Bild der Jung-
srau stand im unruhigen Licht der Flackerkerzen, un-
beweglich, und die Augen des Bildes blickten ftarr aus
die Empore, wo der Knabe daö Licht vor seinem Pult
löschte und sich anschickte, die Kirche zu verlassen.

as elsässische Theater.

Jn den Erörterungen ^über das moderne
Theater, die hier nach Möglichkeit im Fluß
gehalten werden sollen, wird das elsässische Theater in
Straßburg einen Auögangspunkt abgeben müssen: weil eö
im Trubel unserer Geschästs- und Hofbühnen, der Stadt-
und Bauerntheater die reinste Form einer zeitgenössischen
Volksbühne darstellt: worin Dichter, Schauspieler und
Publikum jene innige Verbundenbeit zeigen, die wir in
allen großen Zeiten der Bühnenkunst vermuten.

Wer sreilich hört, daß die Schauspieler dieseö Theaters
Handwerker und Kausleute, Putzmacherinnen und Ver-
käuferinnen sind, wird ein wenig lächeln; obwohl gerade
hierin der üußerliche Grund einer schauspielerischen Frische
und Lebendigkeit liegt, die wir bei unseren Geschästsbühnen
so oft entbehren. Die Kunst als Berus im Sinn von
Broterwerb ist immer ein trauriges Kapitel, das gerade

im Theater zu bitteren Dissonanzen führt: Fünfzigmal
den Oberft im „Husarenfieber" spielen müssen, hat mit
der Kunst nichts mehr zu tun, es ist — einen begabten
Schauspieler vorausgesetzt — eine scheußliche Vergewal-
tigung und Entehrung seiner künstlerischen Jnstinkte.
Und wer die Blicke wandern läßt vom Reinhard- bis
zum simpelsten Residenztheater, muß erkennen, daß hier
nicht nur die unkünstlerische Verdrossenheit des Schau-
spielerstandes, sondern auch alle äußerliche Mimerei, daö
ungefühlte Pathos wie die mechanische Geste ihren ge-
sährlichen Boden haben. Der Schauspielkünstler ist
mehr als jeder andere von der Stimmung abhängig,
und gerade er wird — in diesem Elend nur noch dem
Leitartikler gleich — jeden Abend aus die Bretter komman-
diert. Wenn er seine Leidenschast pflegen und sparen
könnte zu einem sonntäglichen Spiel, wie anders würden
seine Worte und Gesten getragen werden vom Feuer
einer gesammelten Stimmung.

Daö ist der Fall bei den Schauspielern am elsässischen
Theater, die eine Woche durch ihre tägliche Arbeit
haben, denen die Schauspielerei etwas Sonntägliches
bleibt, und die so mir unvergeudeter Leidenschaft ihre
Rollen spielen. Also Dilettanten könnte man sagen,
solange man nicht eine dieser seltsamen Aufführungen
gesehen hat, in denen eine ursprüngliche, ungekünftelte,
aber darum nicht weniger hochentwickelte Schauspielerei
uns unerwartet das Gegenstück zur Unnatur des land-
läufigen Mimentums darbietet. Das einzig Dilettan-
tische zeigt sich nur dann, wenn ein Darsteller zu viel
Studium irgend eines berühmten Theaterroutiniers in
gekünftelten Gesten und pathetischer Sprechweise verrät.
Sonst eine Stärke und Sicherheit des Ausdruckes, eine
Lebendigkeit des Iusammenspiels ohne alle Statisterei
bis in die nebensächlichste „Volkömenge" hinein. Nicht
ein paar bessere Spieler und drumherum ein notdürftig
dressiertes Durcheinander: jeder Einzelne ist mit gleicher
Leidenschast und Treue dabei, so daß solche Sachen heraus-
kommen können, wie die große Wirtshausszene im
„Propheten" von Stoskopf, die ich bis heute als die
beste Darstellung einer Volksszene überhaupt im Gedächt-
nis habe.

Freilich - und hier kommen wir zum Grund und
eigentlichen Vorzug dieses Theaters: „Was ist ihm
Hekuba?" Das gilt hier nicht. Die Schauspieler stellen
nur sich selber dar d. h. die kleinbürgerliche Welt des
Elsässertums in Witz und Iorn und Trauer. Die Dichtung
nötigt sie nicht in Gefühle und Gedanken und Gewänder,
die ihnen sremd sind: dadurch haben sie es leicht, aus
dem sesten und natürlichen Boden und in einer ver-
traulichen Verbindung zum Publikum zu bleiben, daö
jede Andeutung verstehend nichts weiter als Natürlichkeit
verlangt, allerdings in jener echt volkstümlichen llber-
treibung, die man bei Erzählungen und Hänseleien klein-
bürgerlicher Leute ftets mit Vergnügen wahrnimmt.
Sobald der Schauspieler in einen sentimentalen oder
hohen Ton hineingerät, schnappt dieseö Publikum ab,
daö eine Szene seines Lebens zu sehen glaubt, und so
eine stete und scharfe Kontrolle des Schauspielers wie
des Dichterö bildet.

Wer aber ist diese Hekuba, die den elsässischen Bürger
so anregt, den gebildeten wie den gewöhnlichen Mann,
 
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