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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Wichert, Fritz: Das Ende von unerzählten Geschichten: ein Stück Novelle
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Hackemann, August: Goethe und sein Freund Karl Philipp Moritz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0242

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roch nach naturhiftonschem Museum. ,^Kürbisranke!
hat mir zu den Säulen am Beethovenbrunnen ver-
holfen!" — und nun erinnerte ich mich an jenes selt-
same Säulenmotiv. Er hob die bleichen Stengel aus
der Flüssigkeit und wendete sie behutsam hin und her —
es war etwas wie Ernft und Dankbarkeit selbft in den
Drehungen seiner Hand. „Haben Sie mich schon
singen hören? Meine Laute ift zerschlagen, sonft tät ich
Ihnen was singen. Dann bind ich mir den Bart
herauf — so mit dem roten Tücherl — und setz den
grünen Filz dazu auf." - Er lachte ein wenig und
legte das Tuch und den Filz wieder sort. Schließlich
ging er an einen Schrank, der mitten im Iimmer stand,
und holte verlegen eine Flöte heraus, ftellte ein Noten-
pult vor sich hin und fing an, Bach zu spielen, Bach
und danach Mozart.

Niemals in meinem Leben hat mich Musik so tief
gerührt. Den Ton aus diesem sanften Jnstrument, im
Dämmer des Nachmittags - ganz sern von aller Welt —
hervorgebracht von einem Kinde, rein, klar, unendlich

naiv-Und dieser Mann wird hier leben, mit

seinen Tieren, seinem Aquarium, seiner Musik, ganz
begraben in einer Mauernwildnis — zehn, zwanzig,
vierzig Iahre - wird nie mehr einen Flug versuchen.
Jrgendwann ift es ihm nicht gut gegangen. Jrgend
etwas hat ihm die Flügel gebrochen. Dies hier ift
schon Erlösung; nach dem, was einmal war — wozu
solche Dinge erzählen. Wir haben uns ja doch ver-
ftanden.

Wie es ganz dunkel geworden war, bin ich gegangen.
Es war ein tiefer und seltsamer Eindruck, und hinter
allem — tausend trübe Fragen. Wie ist es möglich?
Wie dars ein Leben so vergehn? Warum darf einmal
ein Tag kommen, der alleö, Knospen oder Blüten oder
Früchte, verdirbt! Und ftehe ich nicht selbft vor einer
solchen Einmauerung, und ist mir nicht, als wollte mir
das, was hinter mir liegt, was ich in jener kleinen
Stadt erlebt habe, nun auch die ftöhliche Bewegung
rauben? - O, ftagt mich nicht, was es war! Es war
ja nichts! Eö war eine unendlich zärtliche Gemeinschaft,
gemeinsameö Sehen aller Dinge, gemeinsames Fühlen,
immer, immer Miteinandersein. Liebe? Wenn das Liebe
ift... Dieses andere Wesen kam, und ich sühlte, wie alles
in mir hell, scharf und wach wurde. Sie sah mich an,
und aus einer verborgenen Quelle ftiegen Bilder auf, Ver-
gleiche, wunderliche Gedanken, was weiß ich! Und dann
ftaunte sie selbft, bewunderte, war gierig mit Blick und
Lippe. Der Strahl ihrer Augen ging in mein eigenes
Auge über. Jene schöne Stadt und alle schönen Dinge
in meiner Seele, ich habe sie nicht allein aufgebaut.
Ja, ich hätte es gar nicht können. — Aber jetzt ist es
abgetan. Die tausendinnige Kraft, die durch die einzig
mögliche Gemeinschast kam, sie ift erloschen, weil das

äußere Leben es verlangte.-Viele, viele trifft

es so und formt sie eigen. Haftelmann, meine nächt-
liche Bekanntschast, mein Freund, und — — seine

Freunde-alle haben es durchgemacht. Sie ftehen

zurückgewandt, sie geben das Spiel verloren. Jhre
Geschichte wird nicht erzählt, aber sie gründen ein
ftilles Troftbündnis, und dieses Bündnis ift kein Anfang,
es ift der Schluß.

oethe und sem Freund

Karl Philipp Morih.

I.

An meinem zehnten Geburtstage erhielt ich von
meinem Vater aus seinem Bücherschatze ein Buch, das
er meinem cingehendsten Studium empfahl; es war
dies die „Götterlehre" von Karl Philipp Moritz.

Das Buch, gewiß noch heute in der Hand vieler,
von vr. Frederickö neu bearbeitet, war schön gehalten,
die Abbildungen entzückten den Knaben, und die Sprache
selbft war eine so hinreißende, ganz in dem Geiste der
alten Klassiker gehaltene, daß ich selbftverftändlich mit
heller Lust mich dem Studium hingab und nrit Stolz
mich endlich rühmen durfte, daß es mir gehöre.

Das Buch selbft bildete eben eine meiner Jugend-
erinnerungen, und man weiß es ja, wie die späteren
Jahre sich an solchen Erinnerungen anklammern.

Begegnete mir, da ich schon längft im Berufe ftand,
in der Literatur der Name Karl Moritz, so freute ich
mich wie an einem alten Bekannten, aber es ging doch
die Erinnerung mehr oder weniger flüchtig vorüber.
Im vergangenen Sommer, da ich wieder in Goethes
Reisebriefen aus Jtalien die Worte las (geschriebcn am
I. Dezember 1786): „Moritz ift hier, der unö durch seinen
Anton Reiser, durch seine Reise nach England mcrk-
würdig geworden; er ist ein rcincr trefflicher Charakter,
an dem wir viele Freude haben," da drängte es mich,
endlich diesen Mann näher kcnnen zu lernen, der meiner
Iugend so viele freudige Erregungen zugeführt, und ich
unterließ es nicht, mir diese von Goethe als merkwürdig
erklärten Werke: „Anton Reiser" und „die Reise nach
England" zu verschaffen; ich laö sie und ich muß
gestehen, daß meine Mühe nicht unbelohnt blieb. Ich
fand hier so viel des Schönen, so vielfach durchkreuzte
Erlebniffe, einen denkwürdigen Mann, der, von armen
Eltern auferzogen, endlich dazu gelangte, Hofrat und Mit-
glied der bildenden Künfte in Berlin zu sein, der an
150 Werke geschrieben hatte, der durch seine Schriften
„über die bildende Nachahmung des Schönen" Schiller
zu seinen ,Iwnftlern" begeifterte, und durch seine
Prosodie Goethe dazu gebracht hatte, die Iphigenie und
den Tasso in Versen zu schreiben, der durch seine
„Grammatik sür deutsche Frauen" die richtige Kenntnis
der deutschen Sprache innerhalb der Familien beförderte,
einen Mann endlich, der durch seine vielfachen Be-
ziehungen zu den größten Schriftstellern seiner Zeit, der
dadurch, daß er Iean Paul den Weg in die Literatur
eröffnete, und insbesondere durch sein großeö Wirken als
Lehrer und Aneiferer in den schönen Künften zu Berlin
der Mann des Ruhmes, der Mann der Tages wurde.

Karl Philipp Moritz war am 15. Dezember 1757 als
Sohn armer Eltern zu Hannover geboren. Sein Vater
war Musiker und ernährte sich und die Seinen nur
dürftig. Er gehörte zur Sekte der O.uietisten. Seine
Frau, eine fromme Lutheranerin, konnte sich nicht zu
den Lehren seiner Sekte verftehen, sie wollte Liebe und
Achtung von ihrem Gatten und erhielt sie nicht. Sie
wurde hierdurch empfindlich und verdrießlich, er defto
abstoßender und roher, und so gab es, als auch noch

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