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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Walser, Robert: Der Maler
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Schäfer, Wilhelm: Schwere Fragen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0250

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Schwere Fragen.

gefährlich, ja tötend! Während des Schaffens habe ich
nicht das ausdrückliche, wirkliche Bewußtsein dessen, was
ich vollbringe. Alles geschieht unter der Herrschaft eines
sremden, mir zugeflogenen, mir übergeworsenen Bewußt-
seins. Deshalb kann ein Schaffender nicht von Glück
während des Schaffens reden. Er empfindet nur nach-
her noch den weichen, süßen Nachdruck des seligen,
kummerlosen Auftandes. Selig ift anderS als glücklich.
Der Gesühllose einzig ift selig, so wie die Natur. Auch
Gefühlüberftrömte sind wie Gefühllose! — Wie ich male,
kann ich nicht sagen, da ich es in dem mir sremden
Iuftande mache. Wie man malen muß, das kann man
nur malen, nicht sagen. Wie ich male, zeige ich aus
sertigen Gemälden, unsertige kommen nie aus meinen
Händen. Ich spüre oft in der undeutlichen Erinnerung,
welche Freude mir das Aussetzen einer mir besonders
lieben Farbe gemacht haben muß. Ich suche mir dann
die betreffende Haltung, den sraglichen Strich und Kniff
wieder vorzugaukeln, aber es gelingt selten. Wie ich
etwas sehr Liebes und Wirkungsvolles gemacht habe,
kann ich mir nachher kaum noch vorftellen. Nament-
lich an Tannen gelingt mir oft Überraschendes, süß in
die Augen Springendes. Jch habe Tannen so fest im
Gedächtnis, so sest in der Seele. Jch wünsche oft
(und dieser Wunsch ist krankhaft genug) ihren Geruch
malen zu können. Obgleich ich Maler bin, wirkt Malen
oft, sogar sehr oft, wie etwas Wunderbares, Geifter-
haftes, Unbegreifliches aus mich. Das ift vielleicht nur,
weil ich keine andere Leidenschaft kenne.

chwere Fragen.

Jn der Kunfthalle zu Düsseldorf waren
in den letzten Wochen Arbeiten aus der
Kunftgewerbeschule und von früheren Schülern der An-
ftalt ausgeftellt. Seitdem ich sie gesehen habe, lassen
mich die trüben Gedanken nicht los, daß wir in Deutsch-
land aus dem besten Weg sind, auch aus dieser starken
künftlerischen Bewegung wie aus so mancher andern
nur eine Schulmeifterei zu machen, worin die Arbeits-
fteude unserer beften Kräste nutzlos aufgerieben und als
Erfolg schließlich ein Zustand erreicht wird, den wir
eher bekämpsen als unterstützen sollen.

Es ift gar kein Iweifel: eine solche Ausftellung
würde vor zehn Jahren die Welt erftaunt haben: Stück
sür Stück ein Ieugnis tüchtigen Studiums und eines
in strenger Iucht gebildeten Geschmacks. Man kennt
Behrens und seine hohen Stilsorderungen und beglück-
wünscht die Schule und die Stadt Düsseldorf, daß dicser
Mann hier wirksam ift, so wirksam, daß man in jedem
Stück seines Geiftes deutliche Spur erkennt. Aber auf
einmal, wenn man die Battiks, die Stoffe und Buch-
einbände, die Bronzegüsse und geschmiedeten Eisen entzückt
bewundert hat als Leiftungen einer so hohen künftlerischen
Kultur, wie nur aus den beften Ieiten, sällt einem dies
schwer aufs Herz: Jmmer nur Battiks, Schmiedeeisen,
Bronzeguß, Keramik, Bucheinbände und Vorsatzpapier,
immer ganz zwecklos diese Dinge, die kein Mensch will,
die hier zur Parade in den Glasschränken auf das
Kunftgewerbemuseum warten. Und draußen, da wird dcr

ganze Exerzierplatz für wahnwitzige Millionen mit neuen
Bauten besetzt, davon nicht eines diesen Geschmack be-
kundet, da werden über den Stadtgraben Brücken von
beängftigender Komik errichtet, da wirtschaften Möbel-
magazine und Dekorationsgeschäfte „modernisiett"
im alten Gleise sort, da ftrahlen Restaurants in
neuer Protzerei, und in den Häusern herrscht der alte
Kram, prächtig oder ärmlich je nachdem: Es ist, wie
wenn Geßler mit seinen Knechten von Flüelen gen
Altdorf fährt: das schreit und arbeitet wahnsinnig durch-
einander, und der einzige, der fteuern kann, der Tell,
liegt feftgebundcn in der Ecke. Und ganz sicher: wenn er
los kann, gibt er dem Schiff einen Tritt und rettet sich
in die Berge.

Das ist in keiner Weise persönlich gemeint: Tell ift
weder Peter Behrens noch seine Kunftgewerbeschule, es
sollte nur als Beispiel recht draftisch sein sür einen Iu-
ftand, der heute in Deutschland der allgemeine ist: überall
trotz heldenmütiger — wahrhaftig heldenmütiger — Be-
ftrebungen um ftiliftische Vollendung keine Arbeit und
die bitterste Verdrossenheit. Überall ein Ausbegehren,
eine Reinkultur der künstlerischen Kräfte und überall
dieselbe Iwecklosigkeit: die Kunftgewerbeschulen erziehen
immerzu, und wer erzogen ist, wird selber dann
berusen, und so lehrt und lernt sich das fort und
ift im Grunde eine wahnwitzige Jnzucht, von der
kein Bürger was wissen will. Während in nie
erlebter Weise unser deutsches Vaterland Millionen über
Millionen in Steinfassaden sürchterlicher Art einmauern
läßt: ift diesen künftlcrischen Kräften, an deren Bildung
der Staat so viel Schulmeifterei verschwendet, nichts als
Papier erlaubt zu machen: sie dürfcn zeichnen und ent-
werfen auf dem Papier, sie dürsen sich auch einmal zur
Probe im Material versuchen — wenns nicht viel kostet,
wie Eisen, Ledcr oder Battik: dann aber immersort
Papier, Papier. Sie werden sreilich Künftler, die Lehr-
linge von dazumal, sie tragen Locken und Biedermeier-
röcke, sie habcn Künstlervereine und alles, was zum
Selbftbetrug gehört, und wissen gar nicht, wie überflüssig
sie selber sind, Anfänger eines Proletariats, wie es die
Welt noch nicht gesehen hat; denn hinter ihnen fteht
derStaat und arbeitet mitHochdruck und wirft jährlich viel
hundert auf die Straße, wo sie mit ihrer künstlerischen
Kultur nicht wertvoller sein werden als andere Handwerks-
burschen auch. Denn wer von ihnen ift noch bürgerlich
genug, sich in die Brotarbeit zurück zu retten, nachdem
zwischen ihnen und der praktischen Arbeit eine Maucr
von künftlerischem Papier errichtet ist. Das ift saft so,
wie wenn der Staat die Dichter Liliencron und Dehmel,
Holz und Hoffmannsthal an eincn Ort beriefe: mit
großem Staatsauswand dort jungen Leuten das Verse-
machen beizubringen, womit sie dann eineö Tags als
Dichterschüler abgeftempelt vom bürgerlichen Leben Achtung
und Unterhalt einsordetten.

Eins freilich bleibt: die Auöftellung. In jedem
Sommer, beinahe in jeder Stadt wird dann gebaut
und aufgerichtet aus Rabitzwändcn mit Pappdächern,
werden die Gehirne erhitzt und die überhafteten Pro-
jekte gejagt, damit zum l. Mai die Welt eine An-
regung hat, die sie gar nicht braucht. Und was das
Schlimme ift: hierin verzehren sich die besten Kräfte.

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