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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Geiger, Albert: Aus neuer deutscher Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0253

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us neuer deutscher Lyrik.

Die deutsche Lyrik der letzten dreißig Jahre
hat alle wesentlichen Phasen der möglichen
Stoffe durchlaufen. Man hat mit vollen Eimern auö
dem Brunnen geschöpft, und die Nachkömmlinge müssen
mehr als einmal erfahren, daß der Brunnen zu gewiffen
Ieiten erschöpft ift und der dichterische Born sich erft
wieder ftärken und sammeln muß. Aber die Dichter
tauchen ihre Eimer unverdrossen in die räffelhafte Tiefe,
wie voll oder leer sie heraufgewunden wcrden.

Waö in unserer Lyrik auffällt und unangenehm auf-
fällt, ift eine gewisse Redseligkeit. Man hat auch im
großen Durchschnitt gelernt, sich formgewandt auszu-
drücken, und macht davon reichlichsten Gebrauch. Wie
lieber wäre Einem, hie und da auf ein unbeholfeneö
Geftammel zu treffen! Iene lyrische Kindersprache,
möchte ich sagen, wo ein Wort für hunderte gilt, die
dahinter verborgen sind. Es gibt einige Gedichte von
Goethe, die das in vollkommenfter Weise in sich haben,
dieses Stammeln vor dem Unendlichen von Gefühl
und die gerade darum die wahrhaftefte Sprache der
Empfindung reden. Wie er einmal sagt: „Jch zittre nur,
ich ftottre nur —" Davon merkt man in heutiger Ieit
wenig oder nichts. Sie sprechen alle sehr geläufig, ach,
nur zu geläufig. Gar Vielen gilt die Mahnung Goethes:

Bilde, Künstler! Nede nicht!

Nur ein Hauch sei dein Gedicht —

Es mag mit dieser formellen Gewandtheit zusammen-
hängen, daß so wenige Gedichte, die wir heutzutage zu
hören bekommen, das haben, was ich Körper nennen
möchte. Wie etwa ein gutes Volkslied, bei dem alles
Unwesentliche fortgefallen und nur das Wesentliche, der
Körper, stehengeblieben ift. Blättert man so ein Buch
Lyrik durch, wie wenig, was feffelt, was zum Koften,
zum Verweilen einlädt! Und hat man es gelesen, wie
wenig klingt nach! Wie viele Worte ohne Gehalt! Wie-
viel äußere Form ohne die leise bildende Gewalt der
inneren! Wieviel unruhig flatternde und leicht ver-
flatterte Hüllc und nichts darunter! So ift denn die
Pflicht der Sonderung eine um so größere.

* *

*

Die Gedichte von Martin Boelitz sind als die
eines formgewandten farbenfrohen Dichterö bekannt.
Leichtgeschürzt springen ihm die Reime und Strophen
von den Lippen. Hier eine glückliche Wendung. Dort
eine niedliche Antithese. Dort wieder ein frischer Farb-
fleck. Eine flüchtig angetippte Stimmung. Er singt
vom Leben. Von der Liebe. Von der Natur und von
Gott. Auch vom Tod. Aber vom letzteren doch so,
daß man fühlt: dieses schwerfte Rätsel laftet nicht
allzusehr auf ihm. Alles das ist mit Geschmack und
Laune vorgetragen, fällt angenehm in die Ohren und
ftrengt uns nicht über Gebühr an. Boelitz kommt aus
der Busseschen Schule und erreicht zuweilen seinen Meifter
beinahe. Wem diese Art modernen anakreontischcn Dich-
tens wohlgefällt, der wird bei ihm ohne Zweifel auf
seine Rechnung kommen. Auch sein neues Gedichtbuch:
Frohc Ernte* beftätigt dies, obgleich die Empfindung
hier dünner und der Redeftrom breiter wird.

* I. E. C. Bruns' Derlag, Minden i. W., 1905.

K. E. Knodt hat mit seinen in zweiter Auflage
erschienenen Gedichten: Aus meiner Waldecke* vielen
Beifall gefunden. Auch hier begegnen wir einer wohl-
gebildeten äußeren Form. Aber es zittert etwas von
Seele darunter. Er hat die Natur, die ftille kleine
und doch so große Natur eines schmalen Tales, eines
Waldwinkels, eines Pfarrdörfchens in sich aufgenommen
und gibt sie mit priefterlicher Feierlichkeit, manchmal
mit rein menschlicher Fröhlichkeit wieder. Freilich, das
Naive dieser Dichtungen findet nur selten Glauben. Es
ift mehr eine reflektierte Naivität. Und ebenso selten
treffen wir hier auf das Unwäg- und Unmeßbare des
echten Lyrikers. „Nur ein Hauch sei dein Gedicht!"
Aber aus dem Ganzen spricht ohne Iweifcl eine ftille
feine Persönlichkeit in sympathischer Weise. Der Buch-
schmuck von Guftav Kampmann schließt sich der Stim-
mung des Buches an.

Das philosophische reflektierende Element, das in
K. E. Knodts Gedichten einen breiten Raum einnimmt,
bildet den eigentlichen Grundton in der Gedichtsamm-
lung: Aus Sturm und Sonne** von Karl Wollf.
Nur ist hier der philosophische Kern klarer zutage ge-
treten, und eine feftere Persönlichkeit tritt uns daraus
entgegen. Es ift zuerst viel unruhig flutendes Leben,
später eine schöne Ruhe und Reife darin. Man hat
den Eindruck: es ift kein Gedichtbuch, dem zehn andere
folgen werden, sondern ein Mensch und ein Mann
hat seine Generalbeichte abgelegt für sich und so auch
für andere. Das Lied ift naturgemäß nicht so die
Sphäre des Dichters. Er liebt ein breites Strophen-
gefüge, das ein volles Ausleben der Gedanken und
Empfindungen geftattet. Manche dieser Gedichte hinter-
lassen als wahrhafte Sinngedichte einen haftenden Ein-
druck. Dazwischen zuweilen anmutig einige farbenfrische
Strophen. Alles in allem: ein tüchtiges und gehalt-
volles Buch.

Bernd Jsemanns: Statuen einer Jugend-p
cntbehren nicht eines rhetorisch-reflektierenden Charakters.
Was hier auffällt und im beften Sinne auffällt, das ift
der sichere Meißelschlag, mit dem diese Statuen, wie sie
nun auch immer gefallen oder nicht gefallen mögen,
gemeißelt sind. Viel ift in diesen Gedichten von der
Farbeninbrunst und Jmpressionsfähigkeit eines Dauthen-
day. Ein Gedicht in dieser kurzen Sammlung, welches
das schon so oft abgehandelte Thema: Allerseelen, zum
Vorwurf hat, ergreift unwiderftehlich. In seiner zu-
sammengefaßten Stimmungskraft, in seiner schlichten
Ausdrucköweise, in der Erschöpfung aller hier möglichen
Werte ift es vollkommen zu nennen und eröffnet einen
schönen Ausblick in die Iukunft dieses Dichters.

Wenn mit der Sammlung: Präludien-j-h eine
Frau, Johanna Wollf-Friedberg, in den Reigen der
Männer eintritt, so darf sie dies ohne Aagen tun. Die
Dichterin zeigte schon in einem früheren Bändchen, daß
ihr in allem zitternden Gefühl doch auch ein gut Teil
des klaren männlichen Schauens beschert ist. Die
jetzige reifere Sammlung beftätigt dies. Noch ift ein
Bodensatz Asthetisiertes und Anempfundenes darin. Aber

" Altcnburg, S.-A., Stephan Geibels Derlag, 1904.

^ Bielefelds Derlag, Freiburg (Baden) 19)7.

-f E. W. Bonsels, München-Schwabing, 1905.

-j-1- 2- Bielefelds Derlag, Freiburg (Baden) I9O7.

198
 
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