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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Geiger, Albert: Aus neuer deutscher Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0254

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Aus neuer deutscher Lyrik.

zugleich so viele echte ehrliche Empfindung und diese
manchmal in so feste gute Form gegossen, daß man
sich dessen wohl sreuen kann. Jn den besten dieser
Gedichte lebt der Geist wahrhafter Lyrik. Da6 Un-
bewußte, mit halb bebender, halb sicherer Hand gefaßt.
Noch ist ein kindliches Iurückzittern vor dem großen
fteien Gestalten in diesem Buch. Eine Kindeswehmut,
die das reifende Weib vielleicht als sein Köstlichstes mit
in das vor ihm liegende mit Schauern ersüllende Leben
genommen hat. Das ist manchmal wie ein seiner
Schmelz. Diese Gedichte sind in Wahrheit „Präludien":
Vorspiele eines reicheren reiferen Lebens und Schaffens.
Auch in diesem Buch liegt eine starke Verheißung.

* *

*

Es ist ein stärker als bei anderen Nationen hervor-
tretendes Charakteristikum unserer deutschen Lyrik, daß
sie sich so gerne in anderen Zeiten gefällt. Bei Klopstock
waren es die Barden und der tuiskonische Hain, bei
Gleim und Hagedorn Anakreon und Horaz, bei Goethe
die Antike und der Westöstliche Divan, bei Platen sehen
wir dieselben sremden Elemente wiederkehren, die mit
seltsamem Glanze locken, und wir Modernen reiten als
beliebtestes Steckenpferd die Renaissance, wobei wir auch
gerne gelegentliche Orientreisen unternehmen. Gegen
diese Aneignung ftemder Werte ist an und sür sich
nichts zu sagen. Manche Blüte seinsten Dufts ver-
danken wir ihr. Aber wie hier auch srüher schon Mode
und Manier sich eingeschlichen haben, so auch jetzt. Auf
diesem Boden erwächst allzuleicht ein kokettes Asthetentum.

Richard Schaukals: Ausgewählte Gedichte*
zeigen ihn als raffereinen Aftheten. Wohlgeordnet durch
und durch. Außerst sein zusammengestellt. Wer wollte
es leugnen! Geftimmt, durchaus geftimmt! Nur keine
vordrängende Note! Nichts Überquellendes! Alles
„weise beherrschte Männlichkeit". Selbst wo einmal ein
Schmerz sich regt, da hat man die Empfindung, als
ob ein Arzt uns lächelnd mit einer Pinzette einen Nerv,
nein, ein Nervchen zeigen würde. Das zuckt ein bißchen,
dann ists aus ... Richard Schaukal ist der Dichter der
kleinen Werte. Das sind seine besten Gedichte: flotte,
aufs sorgfältigste abwägende Miniatur-Porträts ver-
gangener Kultur und ihrer Vertreter (Renaissance,
Rokoko usw.). Er weiß und versteht es, wie wenig
andere, den Körper eines Gedichts zu faffen. Nur, daß
fteilich zumeift das Körperchen so klein, so winzig klein
ift. Von der Jetztwelt weiß er uns wenig zu sagen.
Auch seine Naturschilderungen sind nur gelegentliche
Tupfer. Er sühlt oder sucht, sich den großen Menschen,
den Kraft- und Idealmenschen, verwandt zu sühlen:

Jch bin von penkleischem Geblüt.

Kein wüstenbleicher kranker Nazarener.

Aber man glaubt diesem perikleischen Kraft- und Schön-
heitsmenschen nicht so recht. Man vergißt nicht bei
diesen glänzend gemachten Gedichten den Reserveleutnant
und öfterreichischen Verwaltungsbeamten mit einem Stich
ins Preußisch-Korrekte.

Hans W.^ Fischer: Buch des Widerspruchs**
hat in dem scharfen Pointieren und Facettieren Ver-

* Insel-Verlag I9O4.

** Fr. Nothbarth, Leipzig 1907.

wandtschaft mit Schaukal. Aber mit wieviel ftärkerer
Faust greift er zu als dieser Nsthet! „Buch des Wider-
spruchs!" In Wirklichkeit ftrömt der einheitliche Geist
einer sehr ausgesprochenen Persönlichkeit durch das
Buch. Er ftrömt wie ein eigenwilliger Fluß mit wilden
Strudeln durch den Flußlaus des Lebens. Er nimmt
Unreines mit und stößt es aus. Er fließt eine Weile
langsamer und lächelt. Er ftürzt weiter, grollend,
knirschend. Und er blitzt zuweilen von ironischen Lichtern.
Ein volles Menschenleben wogt in ihm. Und ein
volles sicheres Fühlen der Gegenwart. Diese Lyrik
ist aus der Großftadt gewachsen. Aber sie hat nicht
so manches Unangenehm-Typische solcher Lyrik. Sie
saßt sich feft zusammen und flackert nicht hin und her.
Der Dichter ringt mit dem Stoff und ringt ihn nieder.
Und man sreut sich dieses Ringens. Man hat das
Empfinden der Kraft. Eine Fülle klar geschauter und
bei aller Subtilität doch sreier und ftarker Bilder fteck'l
in diesen Gedichten. Zuweilen nur geht es in altbekannte
Manier. Gewisse Wendungen erinnern an manierierte
Techniken. Aber das Originelle ist weit im Überwiegen.
Ein tief metaphysisches Empfinden wogt durch das
Buch. So sind Dasein und Fernsein, Ietzt und Ewig-
keit miteinander verknüpft. Albert Geiger.

Aiesseits,

das neue Buch von Hermann Heffe,* enthält fünf Cr-
zählungen, von denen die erste „Aus Kinderzeiten" und die letzte
„Cine Fußreise im Herbst" zuerst in diesen Blättern gedruckt
wurden, also unsern Lesern bekannt sind. Von den andern
dreien ist die „Marmorsäge" das schonste und eigenste Stück, alle
Vorzüge und die Begrenzung seiner Erzählung gleicherweise be-
zeugend. Seine Vorzüge liegen in einer unübertrefflichen Kunst,
landschaftliche Schilderungen so zu geben, daß wir selber in die
geschilderte Natur hineingeraten; sie nicht nur erleben in all ihrer
rätselvollen Pracht, sondern ganz in sie versinken als ein Teil
von ihr: Weil er nicht eigentlich schildert, sondern Erlebniffe
seiner Seele iu der Landschaft uns wahrhaft zu suggerieren
vermag. L>o hat zu dem großen Erfolg seines Camenzind das
wunderbar starke und tiefe Kapitel von den Bergen, den Wolken
und dem Föhn das meiste beigetragen; und diese Marmorsäge
beginnt mit dem Erlebnis eines heißen Sommers, das einem —
trotzdem man es nur las — nicht wieder aus den Gliedern geht.
Hier ist Heffe ein Künstler von der Neife unserer Großen, hierin
darf man ihn getrost wohl neben Gottfried Keller, nicht unter
ihm als seinen Schüler, nennen.

Dann freilich beginnt ein Unterschied der Naturen und auch
der Begabung: die Landschaft ist ihm näher als irgend einem
von uns, die Menschen aber sind ihm fremd, die dem Meister
Gottfried so vertraut mit ihren Schrullen und Leiden waren. Wie
wir von dem Krüppel Boppi im Camenzind gern mehr erfllhren,
als uns Heffe gibt: so endigt auch in der Marmorsäge die
wundervolle Sommerlandschaft kurzerhand in einem Menschen-
schicksal, das uns wenig nahegekommen ist. Hermann Heffe ist
viel mehr selber der Peter Camenzind, als wir und vielleicht auch
er es anfangs meinten: ein wandernder Sonderling des Lebens,
einsiedlerisch vergrollt und in verstrolchten Nächten draußen dem
Leben der Natur unheimlich nah; in den Wohnungen der Men-
schen immer nur für eine Nacht als Fremdling, der mit den
Mädchen seltsame Volkslieder singt und andern Tags wieder in die
Wälder, auf den See, über staubige Straßen oder in heiße Korn-
felder verschwindet. Wie sein neues schönes Buch mit der weh-
mütigen „Fußreise im Herbst" und traurigen Versen der Ein-
samkeit endet:

Seltsam im Nebel zu wandern.

Cinsam ist jeder Busch und Stein,

kein Baum sieht den andern,

jeder ist allein. W. Schäfer.

* S. Fischers Verlag.
 
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