eue Baukunst iu Frankfurt.
Augenscheinlich fleht Frankfurt, nicht anders
als viele, ja die meisten Gressstädte in Deutsch-
land, vor der großen architektonischen Krise. Bis um
die Mitte des 19. Jahrhunderts hat man hier vortreff-
lich gebaut; das bürgerliche Wohnhaus unserer Zeit
erfuhr, durch Salins, Heß, Rumpf u. a., eine muster-
haft einfache und gediegene Ausgestaltung; selbst später
noch, fast bis zur Jahrhundertwende, hat man wenigstens
die schlimmsten Ausschreitungen der irrenden Stilritter
vermieden, ja der Hauptbahnhos mit
seiner Wucht räumlichen Ausdrucks ist
bis heute von keinem andern Bahn-
gebäude übertroffen worden. Erst seit
ein paar Jahren, seit den groß ge-
meinten und so hart verpfuschten
Städtebauprojckten des Oberbürger-
meisters, ist die Stilreiterei und ein
architektonisches Parvcnütum schlimm-
ster Art cingezogcn; zu einer Zeit, in
der an anderen Orten, und just vor
allem im benachbarten Darmstadt, die
Bestrebungen einer neuen Baukunst
nachdrücklich ans Tageslicht traten; zu
einer Zeit, da auch in Frankfurt eine
Reihe junger Architekten auftauchten,
welche den neuen Geist verkündeten.
Die Krise ward offenbar in der
ersten Frankfurter Baukunst-Ausstel-
lung im Mai dieses Jahres; eS zeigte
sich der ungeheure Zwiespalt zwischen
dem Akademismus, der breitspurig vor
der Gegenwart stand, und der hoff-
nungsreichen Blüte einer deutschen
Baukunst, die vorläufig mehr auf die
Zukunft als auf die Gegenwart
Wechsel zog.
Der Zwiespalt war ganz kraß und
verwunderlich ausgesprochen in der
Darbietung städtischer und überhaupt
öffentlicher Bauweise; er war, leider
nur im Prinzip dieser schönen Aus-
stellung, in der Wolmbaukunst fast
schon aufgehoben zugunsten der Künst¬
ler, da die paar Baufirmen, welche
ihren schnöden Geschästsstil hier vor
der Öffentlichkeit spazieren führten, eine
nicht beneidenswerte Rolle spielten,
wofür sie sich dann in der Praxis um so geräuschvoller
schadlos zu halten pflegen.
Von dem Geiste also, der bis jetzt die Baupolitik
der Stadt Frankfurt und die ihr anhängenden öffent-
lichen Institute beherrschte, legen Zeugnis ab vor allein
die Komplexe der Handelshochschule und Senckenbergischcn
Neubauten; dazu kann man noch das neue Rathaus
rechnen. Das alles und noch viel mehr haben Neher
und von Hoven entworfen. Man kann über dieses
sogenannte Barock, das zur größeren Freude der Stil-
enthusiasten herzhaft mir deutscher Renaissance und
Spätgotik gespickt ist, etwa in der Art eines Hasen-
bratens, schlechterdings ernsthaft nicht reden; cS ist alles
da, was das deutsche Gemüt an Scyllen und Charybdcn
der Architektur zu erdenken vermag. Der Gedanke aber,
daß Millionen für derartige Merkwürdigkeiten ausgcgeben
sind und immer noch weiter verpulvert werden (u. a. für
den Eisen-Glas-ZirkuS der Thierschischen Festhalle), wäh-
rend die Künstler Frankfurts dabcistehn und die Fäuste
in der Tasche ballen müssen, ohne daß man sic auch nur
anzuhören für nötig findet, erregt nicht sehr freundliche
Gesinnungen gegen den Magistrat. Denn was könnte
mit einen, solchen Aufwand, wie ihn Frankfurt treiben
darf, an grandiosen Schöpfungen ge-
leistet werden!
Nun kommt aber das Seltsame:
diese selbe Stadt, die ihr Rathaus von
Neher und v. Hoven aufsühren läßt,
hat einige jüngere Architekten angcstellt,
die wirklich zu bauen verstehn und
jede gestellte Ausgabe künstlerisch be-
wältigen. Nicht immer ungekränkt
von Stadträtcn, welche eö besser zu
verstehen glauben und in die streng
durchdachten Entwürfe mit plumper
Hand hineinfahren, sie zu verpfuschen:
damit doch ja das Frankfurter Prinzip
gewahrt bleibe. So ist eS Berg, so
Eberhardt ergangen. Aber ein Wunder
scheint cs doch, daß sie im großen
und ganzen nach ihrem künstlerischen
Gewissen schalten und Schulen, Bä-
der, technische Anlagen bauen dürfen,
die ein seines Auge erfreuen; die nicht
nur nützlich, zweckentsprechend, solid
sind, sondern die auch ihren Zweck
nach außen und innen enthüllen in
klarer Gesetzmäßigkeit des Ausbaues,
des tektonischen Organismus: wahrlich,
eine unerhörte Kühnheit und Neuerung
in dem Frankfurt der Kaiserstraße und
Braubachstraße, in den, Frankfurt der
altertümelnden Theatcrdekorationen und
Puppcnsassaden!
Der stärkste Neuerer, der, welcher
den nachhaltigsten Anstoß der ganzen
Bewegung gab, ist Eberhardt; ein
Schüler Messels, der in jahrelanger
architektonischer Zucht unter diesem
großen Meister das Wesen strenger und
großer Baukunst erfassen lernte. Man
fühlt auS jedem seiner Bauten, auö der Kausunger- und
der Schiltcrschule wie aus den, letzten und selbständigsten
Werk, der Fortbildungsschule, nicht nur die Herkunft
von Messels Systemen her, sondern vor allem auch
stets den überlegenen Geist, der niemals in der Wahl
seiner Mittel irrt und genau weiß, wie er den größten
Ausdruck seiner Absichten erreichen kann. Daher die
imposante Geschlossenheit und Konsequenz in seiner
Architektur; das AuswärtSfkrebcnde wie das Gelagerte
der Massen, die malerische Gruppenordnung, das Sicht-
barmachen der Raumzwccke im Außenbau, die schöne
und praktische Inneneinrichtung und die klare Ent-
Paravicini: Haus Kovatschek.
47
Augenscheinlich fleht Frankfurt, nicht anders
als viele, ja die meisten Gressstädte in Deutsch-
land, vor der großen architektonischen Krise. Bis um
die Mitte des 19. Jahrhunderts hat man hier vortreff-
lich gebaut; das bürgerliche Wohnhaus unserer Zeit
erfuhr, durch Salins, Heß, Rumpf u. a., eine muster-
haft einfache und gediegene Ausgestaltung; selbst später
noch, fast bis zur Jahrhundertwende, hat man wenigstens
die schlimmsten Ausschreitungen der irrenden Stilritter
vermieden, ja der Hauptbahnhos mit
seiner Wucht räumlichen Ausdrucks ist
bis heute von keinem andern Bahn-
gebäude übertroffen worden. Erst seit
ein paar Jahren, seit den groß ge-
meinten und so hart verpfuschten
Städtebauprojckten des Oberbürger-
meisters, ist die Stilreiterei und ein
architektonisches Parvcnütum schlimm-
ster Art cingezogcn; zu einer Zeit, in
der an anderen Orten, und just vor
allem im benachbarten Darmstadt, die
Bestrebungen einer neuen Baukunst
nachdrücklich ans Tageslicht traten; zu
einer Zeit, da auch in Frankfurt eine
Reihe junger Architekten auftauchten,
welche den neuen Geist verkündeten.
Die Krise ward offenbar in der
ersten Frankfurter Baukunst-Ausstel-
lung im Mai dieses Jahres; eS zeigte
sich der ungeheure Zwiespalt zwischen
dem Akademismus, der breitspurig vor
der Gegenwart stand, und der hoff-
nungsreichen Blüte einer deutschen
Baukunst, die vorläufig mehr auf die
Zukunft als auf die Gegenwart
Wechsel zog.
Der Zwiespalt war ganz kraß und
verwunderlich ausgesprochen in der
Darbietung städtischer und überhaupt
öffentlicher Bauweise; er war, leider
nur im Prinzip dieser schönen Aus-
stellung, in der Wolmbaukunst fast
schon aufgehoben zugunsten der Künst¬
ler, da die paar Baufirmen, welche
ihren schnöden Geschästsstil hier vor
der Öffentlichkeit spazieren führten, eine
nicht beneidenswerte Rolle spielten,
wofür sie sich dann in der Praxis um so geräuschvoller
schadlos zu halten pflegen.
Von dem Geiste also, der bis jetzt die Baupolitik
der Stadt Frankfurt und die ihr anhängenden öffent-
lichen Institute beherrschte, legen Zeugnis ab vor allein
die Komplexe der Handelshochschule und Senckenbergischcn
Neubauten; dazu kann man noch das neue Rathaus
rechnen. Das alles und noch viel mehr haben Neher
und von Hoven entworfen. Man kann über dieses
sogenannte Barock, das zur größeren Freude der Stil-
enthusiasten herzhaft mir deutscher Renaissance und
Spätgotik gespickt ist, etwa in der Art eines Hasen-
bratens, schlechterdings ernsthaft nicht reden; cS ist alles
da, was das deutsche Gemüt an Scyllen und Charybdcn
der Architektur zu erdenken vermag. Der Gedanke aber,
daß Millionen für derartige Merkwürdigkeiten ausgcgeben
sind und immer noch weiter verpulvert werden (u. a. für
den Eisen-Glas-ZirkuS der Thierschischen Festhalle), wäh-
rend die Künstler Frankfurts dabcistehn und die Fäuste
in der Tasche ballen müssen, ohne daß man sic auch nur
anzuhören für nötig findet, erregt nicht sehr freundliche
Gesinnungen gegen den Magistrat. Denn was könnte
mit einen, solchen Aufwand, wie ihn Frankfurt treiben
darf, an grandiosen Schöpfungen ge-
leistet werden!
Nun kommt aber das Seltsame:
diese selbe Stadt, die ihr Rathaus von
Neher und v. Hoven aufsühren läßt,
hat einige jüngere Architekten angcstellt,
die wirklich zu bauen verstehn und
jede gestellte Ausgabe künstlerisch be-
wältigen. Nicht immer ungekränkt
von Stadträtcn, welche eö besser zu
verstehen glauben und in die streng
durchdachten Entwürfe mit plumper
Hand hineinfahren, sie zu verpfuschen:
damit doch ja das Frankfurter Prinzip
gewahrt bleibe. So ist eS Berg, so
Eberhardt ergangen. Aber ein Wunder
scheint cs doch, daß sie im großen
und ganzen nach ihrem künstlerischen
Gewissen schalten und Schulen, Bä-
der, technische Anlagen bauen dürfen,
die ein seines Auge erfreuen; die nicht
nur nützlich, zweckentsprechend, solid
sind, sondern die auch ihren Zweck
nach außen und innen enthüllen in
klarer Gesetzmäßigkeit des Ausbaues,
des tektonischen Organismus: wahrlich,
eine unerhörte Kühnheit und Neuerung
in dem Frankfurt der Kaiserstraße und
Braubachstraße, in den, Frankfurt der
altertümelnden Theatcrdekorationen und
Puppcnsassaden!
Der stärkste Neuerer, der, welcher
den nachhaltigsten Anstoß der ganzen
Bewegung gab, ist Eberhardt; ein
Schüler Messels, der in jahrelanger
architektonischer Zucht unter diesem
großen Meister das Wesen strenger und
großer Baukunst erfassen lernte. Man
fühlt auS jedem seiner Bauten, auö der Kausunger- und
der Schiltcrschule wie aus den, letzten und selbständigsten
Werk, der Fortbildungsschule, nicht nur die Herkunft
von Messels Systemen her, sondern vor allem auch
stets den überlegenen Geist, der niemals in der Wahl
seiner Mittel irrt und genau weiß, wie er den größten
Ausdruck seiner Absichten erreichen kann. Daher die
imposante Geschlossenheit und Konsequenz in seiner
Architektur; das AuswärtSfkrebcnde wie das Gelagerte
der Massen, die malerische Gruppenordnung, das Sicht-
barmachen der Raumzwccke im Außenbau, die schöne
und praktische Inneneinrichtung und die klare Ent-
Paravicini: Haus Kovatschek.
47