/Aine Jugendgeschichte.
Das Buch heißt „Ocdipus", ist von Willi Speyer und
im Verlag B. Kassircr (Berlin) erschienen. Es ist ein Roman,
aber nicht das, was das Publikum Roman nennt, sondern eine
schöne, ernsthafte Dichtung. Wenn sonst nichts darüber zu sagen
wäre, könnte ich den Schulmeister spielen und das Anfängerhafte
dieses Erstlings betonen! er hat noch einen Hang zum allgemein
Schönen, Klingenden, zum Pathos. Aber er überwindet ihn
im Buche selbst, dessen Ton von dem etwas zu feierlichen An-
fangskapitel bis zu dem schönen Schluß immer freier und
schlichter wird.
Doch daran liegt nicht viel. Das Wesentliche ist: dieser
Dichter hat einen heiligen Ernst und läßt sich weder auf poeti-
sierenden Zeitvertreib noch auf das beliebte Fangballspiel mit
gangbaren „modernen Ideen" ein. Er kann nicht nur beobachten
und schreiben, sondern er Hal auch eine Weltanschauung oder doch
ein tiefes Bedürfnis nach innigem, ideellen Gedankenlcben. Wo
das ist, wo die Demut und der Stolz des einsam Denkenden
redet, da werden stilistische Fragen nebensächlich. Cs gibt eine
Bettachtungsweise, für welche der alte, plauderfrohe, technisch
altmodische Raabe und der glänzende moderne Hofmannsthal
gelegentlich wie Gläubige desselben Bekenntnisses ausfehcn. So
ist es auch hier! die sorgfältige moderne Technik und Sprache
des „Oedipus" wirkt angenehm und nobel, aber sie bleibt Mittel,
wird nicht Zweck. Sie wird, wie jede Technik, auch einmal
veralten. Aber dann wird sich vielleicht zeigen, daß mebr in dem
Buche steckt als die Technik, und daß der schöne kühne Titel nicht
zu kühn war. Vorerst aber wird hoffentlich diese Jugendgeschichte
nicht nur genießende Leser finden, sondern auch ein wenig dazu
dienen, den schon etwas unsicher gewordenen Moloch unseres
argen Schulwesens einen Schritt dem Grabe näher zu bringen.
Glücklicher werden wir dadurch nicht werden, aber wahrhaftiger
und tapferer. Hermann Hesse.
os. Aug. Beringer
hat soeben mit seiner Kurpfälzischcn Kunst und Kultur im
achtzehnten Jahrhundert (I. Bielefelds Derlug, Freiburg
in Baden) die im Auftrag der Vereinigung Heimatliche Kunst-
pflege in Karlsruhe von Albert Geiger in vornehmer Ausstattung
herauszugcbenden Einzeldarstellungen über badische Kunst und
Kultur verheißungsvoll eingcleitet. Beringcr hat sich längst durch
eine Reihe wertvoller Untersuchungen kfierzu legitimiert und kann,
meist auf Grund eigener Forschung, die Kunst- und Kultur-
bestrebungen am Hof der Pfalz —Neuburg —Sulzbacher Linien
in sicheren Umrissen charakterisieren. Die Höhenpunkte dieser
Entwicklung dürften auf dem Gebiet der bildenden Kunst mit
den Namen Peter Anton von Derschaffelt und Ferdinand Kobell,
im Musikwescn durch Joh. Stamih, auch Ignaz Holzbauer, am
Theater durch W. H. von Dalberg und A. W. Jffland be-
zeichnet werden, mit Künstlern, deren Schöpfungen teilweise bis
in unsere Zeit nachwirtcw Im Antikcnsaal, den Derschaffelt
in seiner Mannheimer Zeichnungsakademie eingerichtet hatte,
haben sich Lessing und Goethe, Schiller und Herder unterrichtet
und begeistert. Aber auch das pfälzische Kunstgewerbe, der
Kunsthandel und die höfischen Manufakturen werden in Betracht
ge ogen. Die in Mannbeim dlühenden wissenschaftlichen Unter-
nehmungen, die Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften wie
die Deutsche Gesellschaft und die nur noch ein Schattendasein
führende Universität in Heidelberg leiten über zur Betrachtung
der Kultur der Gesellschaft. Ohne belastende, gelehrte An-
merkungen hat Beringer sein Buch anschaulich und großzügig
geschrieben, uns die treibenden Kräfte des achtzehnten Jahr-
hunderts im allgemeinen, und im besonderen ihre Wirkung in
der rheinischen Pfalz eindringlich nahe gebracht. Sein Weg führt
von Düsseldorf nach Mannheim und Schwetzingen und weist
in gewissen Ausläufern nach München; Beringer geleitet an
sicherer Hand an den absolutistischen Hof Kurfürst Jollann Wil-
helms und seiner Nachfolger und bringt uns bis zu dem Moment,
als in der pfälzischen Residenz „wie die Posaune des Gerichts
das Urteil auf die abgestorbene Welt ertönte", wo Schillers
Räuber über die Mannheimer Bühne gingen und schließlich die
überreizte Kultur des Jahrhunderts unter der Revolution zusammen-
brach.
Einleuchtender als gerade auf pfälzischem Boden läßt sich
die Entwicklung und der Verfall der Kunst im achtzehnten Jahr-
hundert kaum irgendwo verfolgen, nirgends zeigt sich aber auch
erschreckender, daß es eine volksfremde, nur höfische Kunst war,
die einst hier gethront hat. Das Bürgertum hatte sich auch da-
mals gleichgültig gehalten, die Revolution hat sie begraben.
Auch im kommenden Jahrhundert ist, wenn wir von der Pflege
der Musik durch gebildetere Kreise in Mannheim absehen, nichts
oder wenig genug an ihre Stelle getreten und hat es wohl auch
nicht können. Im Gegensatz zu dem aufs Innerliche gerichteten
Charakter des badischen Oberländers ist und wird das allzu
bewegliche Wesen der Pfälzer kaum je imstande sein, wahre
Volkskunst oder auch nur volkstümliche Kunst und eine ge-
schlossene Kultur in sich aufzunehmen und noch weniger aus sich
heraus wachsen und reifen zu lassen. R. Sillib.
tein.
Wir Deutsche sind merkwürdige Patrioten; wir triefen
gelegentlich von Patriotismus, und wenn einer ein „vaterländisches
Festspiel" schreibt, wie es Eberhard König nun getan hat, müssen
wir uns ordentlich bemühen, darin nichts Verächtliches zu sehen.
Das macht, wir sind allesamt kaum Patrioten, trotzdem wir soviel
Patriotismus haben; uns fehlt durchaus ein Volks- und Vater-
landsgefühl. Wir werden irgendwo regiert, wir heißen Preußen,
Hessen oder Bayern, auch Rheinländer und Westfalen, trotzdem
wir sehr mit Absicht kräftig durcheinander geschüttelt werden; die
Idee von einem Vaterland ist fast schon so fremd wie unsere
Göttersagen, die uns die Wissenschaft serviert; wir müssen von
Weltmacht, Engländern und Kolonien reden, um dabei nur etwas
zu denken, und sind von Herzen froh, wenn der „offizielle Rummel"
mal wieder vorüber ist. Wenn einer hingeht und im privaten
Leben dergleichen weiter betreibt, vermutet ein jeder schon, wes-
halb. Und gar noch dichten? Der arme Josef Lauff hat es nicht
leicht gehabt, sein durch die kaiserliche Festspielgunst getrübtes
Renommee wiederherzustellen. Wobei freilich unsere Abneigung
gegen jegliche Auftragsdichterei noch hesonders mitsprach; wir
können uns das Dichterhandwerk als „angewandte Kunst" nicht
denken.
Sehen wir genau zu, so ist es nur zweimal wieder gelungen,
die Deutschen so unter einen Hut zu bringen, daß Bürgersmann
und Arbeiter, Dichter und Gelehrter sich begeistert als ein Volk
fühlten: einmal im kurzen Überschwang des Jahres 1870 und
vorher in jeder Beziehung tiefer und reicher in den Jahren bis 1815.
Eigentlich damals allein ist gelungen, daß die Dichter sangen und
die Philosophen feurig verkündeten, was tief in alle Kreise hinein
gefühlt wurde, freilich ziemlich allein in Preußen; am Rhein und
in Süddeutschland betete man zu Napoleon. Damals glühte
das Gefühl gemeinsamen Volkstums so, daß kein Wort begeistert
genug genommen werden konnte; alles klang aus derselben Seele,
und eine Phrase gab es nicht. Die Flackerflamme Körner, der
trockene Ernst Moritz Arndt, der geniale Heinrich von Kleist: sie
scheinen mit derselben Zunge zu sprechen, wenn das Vaterland in
Frage steht, und wie heilige Flammen lohen die Dichtungen des
toten Schiller nach, in dieser von Grund auf durchgewühlten Zeit,
die einzig und allein uns Deutschen eine wirkliche patriotische
Dichtung gebracht hat.
Daß hinter der Begeisterung von 1870 Bismarck steht, ist
unvergessen im deutschen Volk. Stein, der hinter einer größeren
Bewegung stehende, der wahrhafte Retter Preußens, der einzige
Deutsche aus dem Jahre 18IZ, ist ihm fast verschwunden. Das
macht, Bismarck konnte sein Werk mit der Kaiserkrone krönen;
Stein mußte nach dem ungeheuren Ningkampf mit Napoleon,
der schließlich in allen Nädern auf ihn als die eigentlich und
stählern angespannte Triebfeder zurückgreift, sein Werk an den
erbärmlichen Kleinlichkeiten kleindeutscher Regierungen und Fürsten
scheitern sehen. Er hatte das deutsche Volk vom „Tyrannen"
befreit, um es hundert Tyrännchen zu übergeben. Bis zum
Jahr I8Z1, also noch siebzehn Jahre, hat er die deutsche Kläglich-
keit nach den herrlichen Befreiungskriegen ansehcn müssen, in
seinem geliebten Westfalen als Beamter trotzdem in treuer Pflicht-
erfüllung lebend, um erst zur letzten Ruhe in seine rheinische
Heimat zurückzukehren.
So ist seine Grabkapelle zu Frücht an der Lahn kein Wall-
fahrtsort der Deutschen geworden, nur ein Ort wehmütiger
15?
Das Buch heißt „Ocdipus", ist von Willi Speyer und
im Verlag B. Kassircr (Berlin) erschienen. Es ist ein Roman,
aber nicht das, was das Publikum Roman nennt, sondern eine
schöne, ernsthafte Dichtung. Wenn sonst nichts darüber zu sagen
wäre, könnte ich den Schulmeister spielen und das Anfängerhafte
dieses Erstlings betonen! er hat noch einen Hang zum allgemein
Schönen, Klingenden, zum Pathos. Aber er überwindet ihn
im Buche selbst, dessen Ton von dem etwas zu feierlichen An-
fangskapitel bis zu dem schönen Schluß immer freier und
schlichter wird.
Doch daran liegt nicht viel. Das Wesentliche ist: dieser
Dichter hat einen heiligen Ernst und läßt sich weder auf poeti-
sierenden Zeitvertreib noch auf das beliebte Fangballspiel mit
gangbaren „modernen Ideen" ein. Er kann nicht nur beobachten
und schreiben, sondern er Hal auch eine Weltanschauung oder doch
ein tiefes Bedürfnis nach innigem, ideellen Gedankenlcben. Wo
das ist, wo die Demut und der Stolz des einsam Denkenden
redet, da werden stilistische Fragen nebensächlich. Cs gibt eine
Bettachtungsweise, für welche der alte, plauderfrohe, technisch
altmodische Raabe und der glänzende moderne Hofmannsthal
gelegentlich wie Gläubige desselben Bekenntnisses ausfehcn. So
ist es auch hier! die sorgfältige moderne Technik und Sprache
des „Oedipus" wirkt angenehm und nobel, aber sie bleibt Mittel,
wird nicht Zweck. Sie wird, wie jede Technik, auch einmal
veralten. Aber dann wird sich vielleicht zeigen, daß mebr in dem
Buche steckt als die Technik, und daß der schöne kühne Titel nicht
zu kühn war. Vorerst aber wird hoffentlich diese Jugendgeschichte
nicht nur genießende Leser finden, sondern auch ein wenig dazu
dienen, den schon etwas unsicher gewordenen Moloch unseres
argen Schulwesens einen Schritt dem Grabe näher zu bringen.
Glücklicher werden wir dadurch nicht werden, aber wahrhaftiger
und tapferer. Hermann Hesse.
os. Aug. Beringer
hat soeben mit seiner Kurpfälzischcn Kunst und Kultur im
achtzehnten Jahrhundert (I. Bielefelds Derlug, Freiburg
in Baden) die im Auftrag der Vereinigung Heimatliche Kunst-
pflege in Karlsruhe von Albert Geiger in vornehmer Ausstattung
herauszugcbenden Einzeldarstellungen über badische Kunst und
Kultur verheißungsvoll eingcleitet. Beringcr hat sich längst durch
eine Reihe wertvoller Untersuchungen kfierzu legitimiert und kann,
meist auf Grund eigener Forschung, die Kunst- und Kultur-
bestrebungen am Hof der Pfalz —Neuburg —Sulzbacher Linien
in sicheren Umrissen charakterisieren. Die Höhenpunkte dieser
Entwicklung dürften auf dem Gebiet der bildenden Kunst mit
den Namen Peter Anton von Derschaffelt und Ferdinand Kobell,
im Musikwescn durch Joh. Stamih, auch Ignaz Holzbauer, am
Theater durch W. H. von Dalberg und A. W. Jffland be-
zeichnet werden, mit Künstlern, deren Schöpfungen teilweise bis
in unsere Zeit nachwirtcw Im Antikcnsaal, den Derschaffelt
in seiner Mannheimer Zeichnungsakademie eingerichtet hatte,
haben sich Lessing und Goethe, Schiller und Herder unterrichtet
und begeistert. Aber auch das pfälzische Kunstgewerbe, der
Kunsthandel und die höfischen Manufakturen werden in Betracht
ge ogen. Die in Mannbeim dlühenden wissenschaftlichen Unter-
nehmungen, die Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften wie
die Deutsche Gesellschaft und die nur noch ein Schattendasein
führende Universität in Heidelberg leiten über zur Betrachtung
der Kultur der Gesellschaft. Ohne belastende, gelehrte An-
merkungen hat Beringer sein Buch anschaulich und großzügig
geschrieben, uns die treibenden Kräfte des achtzehnten Jahr-
hunderts im allgemeinen, und im besonderen ihre Wirkung in
der rheinischen Pfalz eindringlich nahe gebracht. Sein Weg führt
von Düsseldorf nach Mannheim und Schwetzingen und weist
in gewissen Ausläufern nach München; Beringer geleitet an
sicherer Hand an den absolutistischen Hof Kurfürst Jollann Wil-
helms und seiner Nachfolger und bringt uns bis zu dem Moment,
als in der pfälzischen Residenz „wie die Posaune des Gerichts
das Urteil auf die abgestorbene Welt ertönte", wo Schillers
Räuber über die Mannheimer Bühne gingen und schließlich die
überreizte Kultur des Jahrhunderts unter der Revolution zusammen-
brach.
Einleuchtender als gerade auf pfälzischem Boden läßt sich
die Entwicklung und der Verfall der Kunst im achtzehnten Jahr-
hundert kaum irgendwo verfolgen, nirgends zeigt sich aber auch
erschreckender, daß es eine volksfremde, nur höfische Kunst war,
die einst hier gethront hat. Das Bürgertum hatte sich auch da-
mals gleichgültig gehalten, die Revolution hat sie begraben.
Auch im kommenden Jahrhundert ist, wenn wir von der Pflege
der Musik durch gebildetere Kreise in Mannheim absehen, nichts
oder wenig genug an ihre Stelle getreten und hat es wohl auch
nicht können. Im Gegensatz zu dem aufs Innerliche gerichteten
Charakter des badischen Oberländers ist und wird das allzu
bewegliche Wesen der Pfälzer kaum je imstande sein, wahre
Volkskunst oder auch nur volkstümliche Kunst und eine ge-
schlossene Kultur in sich aufzunehmen und noch weniger aus sich
heraus wachsen und reifen zu lassen. R. Sillib.
tein.
Wir Deutsche sind merkwürdige Patrioten; wir triefen
gelegentlich von Patriotismus, und wenn einer ein „vaterländisches
Festspiel" schreibt, wie es Eberhard König nun getan hat, müssen
wir uns ordentlich bemühen, darin nichts Verächtliches zu sehen.
Das macht, wir sind allesamt kaum Patrioten, trotzdem wir soviel
Patriotismus haben; uns fehlt durchaus ein Volks- und Vater-
landsgefühl. Wir werden irgendwo regiert, wir heißen Preußen,
Hessen oder Bayern, auch Rheinländer und Westfalen, trotzdem
wir sehr mit Absicht kräftig durcheinander geschüttelt werden; die
Idee von einem Vaterland ist fast schon so fremd wie unsere
Göttersagen, die uns die Wissenschaft serviert; wir müssen von
Weltmacht, Engländern und Kolonien reden, um dabei nur etwas
zu denken, und sind von Herzen froh, wenn der „offizielle Rummel"
mal wieder vorüber ist. Wenn einer hingeht und im privaten
Leben dergleichen weiter betreibt, vermutet ein jeder schon, wes-
halb. Und gar noch dichten? Der arme Josef Lauff hat es nicht
leicht gehabt, sein durch die kaiserliche Festspielgunst getrübtes
Renommee wiederherzustellen. Wobei freilich unsere Abneigung
gegen jegliche Auftragsdichterei noch hesonders mitsprach; wir
können uns das Dichterhandwerk als „angewandte Kunst" nicht
denken.
Sehen wir genau zu, so ist es nur zweimal wieder gelungen,
die Deutschen so unter einen Hut zu bringen, daß Bürgersmann
und Arbeiter, Dichter und Gelehrter sich begeistert als ein Volk
fühlten: einmal im kurzen Überschwang des Jahres 1870 und
vorher in jeder Beziehung tiefer und reicher in den Jahren bis 1815.
Eigentlich damals allein ist gelungen, daß die Dichter sangen und
die Philosophen feurig verkündeten, was tief in alle Kreise hinein
gefühlt wurde, freilich ziemlich allein in Preußen; am Rhein und
in Süddeutschland betete man zu Napoleon. Damals glühte
das Gefühl gemeinsamen Volkstums so, daß kein Wort begeistert
genug genommen werden konnte; alles klang aus derselben Seele,
und eine Phrase gab es nicht. Die Flackerflamme Körner, der
trockene Ernst Moritz Arndt, der geniale Heinrich von Kleist: sie
scheinen mit derselben Zunge zu sprechen, wenn das Vaterland in
Frage steht, und wie heilige Flammen lohen die Dichtungen des
toten Schiller nach, in dieser von Grund auf durchgewühlten Zeit,
die einzig und allein uns Deutschen eine wirkliche patriotische
Dichtung gebracht hat.
Daß hinter der Begeisterung von 1870 Bismarck steht, ist
unvergessen im deutschen Volk. Stein, der hinter einer größeren
Bewegung stehende, der wahrhafte Retter Preußens, der einzige
Deutsche aus dem Jahre 18IZ, ist ihm fast verschwunden. Das
macht, Bismarck konnte sein Werk mit der Kaiserkrone krönen;
Stein mußte nach dem ungeheuren Ningkampf mit Napoleon,
der schließlich in allen Nädern auf ihn als die eigentlich und
stählern angespannte Triebfeder zurückgreift, sein Werk an den
erbärmlichen Kleinlichkeiten kleindeutscher Regierungen und Fürsten
scheitern sehen. Er hatte das deutsche Volk vom „Tyrannen"
befreit, um es hundert Tyrännchen zu übergeben. Bis zum
Jahr I8Z1, also noch siebzehn Jahre, hat er die deutsche Kläglich-
keit nach den herrlichen Befreiungskriegen ansehcn müssen, in
seinem geliebten Westfalen als Beamter trotzdem in treuer Pflicht-
erfüllung lebend, um erst zur letzten Ruhe in seine rheinische
Heimat zurückzukehren.
So ist seine Grabkapelle zu Frücht an der Lahn kein Wall-
fahrtsort der Deutschen geworden, nur ein Ort wehmütiger
15?