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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 2
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Pahncke, Max [Hrsg.]: Beiträge zur Charakteristik Kinkels und seiner Bonner Freunde, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0074

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eiträge zur Charakteristik Kinkels
und seiner Bonner Freunde.
Herausgegeben durch Dr. M. Pa hucke. (Fortsetzung.)
W. Beyschlag an G. Kinkel. 18. Januar 1843.
.... Ackermann werden Sie vielleicht schon nächsten
Sommer kennen lernen; es ist die Rede davon, daß er
mit Burckhardt an den Rhein gehen will. . . . Dieser
Mensch sistj durch die Hegelei durchgegangen, hat . . .
sich das Bedeutendere total angeeignet. Dem Übrigen
steht er kritisch gegenüber. Hegel ist ihm nur ein Fort-
schritt, kein eigentliches Ziel. So ist er zu einer Gerechtig-
keit gegen fast alle Richtungen durchgedrungen, die ein
Hegelianer selten hat, die aber bei ihm meist auf dem
sichersten Siegesgesühl über diese Richtungen beruht. In
der Theologie ist er Anhänger Vatkes; das Mystische
und Göttliche hat ihm nur Wahrheit in seiner alltäg-
lichen, ganz menschlichen Realisierung. Auf persönliche
Fortdauer hat er verzichtet. Gott ist ihm Prozeß; nichts-
destoweniger aspiriert er auf die Kanzel. . . .
G. Kinkel an A. Wolters. 21. April l843.
.... Immer mehr stellt sich in unserem Kreise
eine Vermittlung heraus, die schroffen philosophischen
liberalen Theorien wenden sich dem Praktischen, dem
Möglichen, Faßlichen zu, und treten also auf das Gebiet
herüber, auf welchem wir Historiker schon lange stehen.
Dagegen ist das am meisten historische Element, Burck-
hardt, und so auch ich, vom Konservatismus immer
mehr losgekommen, so daß allenthalb Berührungspunkte
sich bilden. So z. B. verwerfe ich, auch Ihnen gegen-
über, den christlichen Staat ganz und gar, glaube mit B.,
daß der Staat die Kirche muß gehen resp. fallen lasten,
damit er sich ganz auf seiner eigenen Grundlage, der
der Sittlichkeit, ausbauen kann. Stärker sind daher
unter uns noch die religiösen Differenzen; im Politischen
erkennen wir alle, daß Konstitution zuvörderst gewonnen
werden muß; wir weichen am Ende nur ab darin, ob
wir dahinter Republik wünschen oder nicht; zu letzterer
Partei stelle ich mich und fast alle andern auch, doch
ist dies eine Prinzipiensrage, die uns für den Augenblick
im Praktischen gar nichts angeht. Im Religiösen liegen
stärkere Gegensätze vor, doch glaube ich, das Christentum
wird bleiben, wenn eS sich alles Überirdischen, Gott-
menschlichen entkleidet und begreifen lernt, daß es nur
als Religion, nicht als Staats- und Kunstprinzip Geltung
haben darf .... meine Ansicht . . . . hat das Eine
vermittelnde Moment in sich, daß sie Persönlichkeit und
Pantheismus, die eigentlichen Streitpunkte der modernen
Gegenwart, in sich verbindet und beide rettet. . . .
C. Fresenius an W. Beyschlag. 23. April 1843.
Ich war in Bonn. ... Als ich kam und bei der
Direktrix einsprach, sagte mir ihre Mutter: „Sie sind
hinüber auf die andere Seite, wahrscheinlich dat jewohnte
Jüngelchen." — Ich also nach . . . über die fliegende
Brücke . . . durch Limprich nach dem Küdinghoser Dach.
— Nichts, soweit auch das Perspektiv herumkreist und
so viele Kaffem und Kaiserinnen auch durch sein Gesichts-
feld streifen. Aus dem Rückweg, den ich langsam und
mit steter Umsicht ergriff, werd ich endlich in weiter

Ferne in einer Höhle zwei Köpfe gewahr, die mir mein
tubus als wohlbekannt zeigte. Ich stürze mit Mord-
begier hin und hatte in Kürze wieder einmal die beiden
lieben Seelen an der Hand. — Wir — umgewandt
und wieder aufö Dach. Dort Maitrank, Sonnenunter-
gang und Sympathie der Seelen. — Dann heim. Es
ist Dienstag, also Mau. Burckhardt, der dritte, den ich
ans Herz drücken konnte; noch ganz der alte, so treu
— und schöner, männlich. - - Die Direktrix habe
ich wieder liebenswürdiger, verjüngt und bereichert mit
Kunstschwung gefunden. — Mit Kinkel mehren sich mir
die Differenzen, und wir hatten mehr unvollständige,
zerfahrene Dispute als organische Ausgleichungen. Er,
der schöpferische Geist, desavouiert das Ansichtbilden im
Streit und Gegenstoß. Er will es in der Einsamkeit
deö eignen Geistes gewachsen wissen. Ich, der an sich
so Unklare, bedarf Widerspruch und Gegenmeinung eines
mir Ähnlichen, Werdenden, um mich selbst zu verstehen.
.... Ein schönes Aktenstück von der Direktrix habe"
wir vorgclescn bekommen, Tiiiuw bsuk* betitelt. — Der
Schöler als blutgieriger Beherrscher der Barbaren will
die an seiner Insel gelandeten Maikäfer schlachten, wird
aber von der beherzten Direktrix davon abgebracht und
der Kultur zurückgegeben. Bei der Wiederankunft des
Mauschiffes zu Triest zeigt sich, daß der Kommunismus
in Europa gesiegt hat. Der Kölner Dom ist zur Geld-
kasse gemacht worden, aus der jeder sein Taschengeld
bekommt, somit Vereinigungspunkt aller Deutschen. —
Ich selbst komme vor und habe mich als Gastwirt zum
„Hoffmann von Fallersleben" etabliert mit Weib und
Kind. Torstrick und Wurm** konntens im kommu-
nistischen Europa selbst nicht mehr aushalten und sind
zum Mehemed Ali geflüchtet. Der läßt sie zur Be-
lustigung seines Harems über Hegelsche Sätze disputieren,
mit verbundenen Äugen jedoch, damit nicht die Belustigung
aus ihrer Seite sei usw.
G. Kinkel an Beyschlag, Wolters, Torstrick.
24. Mai 1843.
.zum vorläufigen Dank will ich Euch den
Hochzeitstag beschreiben; er war vollkommen schön, das
Fatale war alles vor ihn gefallen, jetzt fehlte ihm nichts
mehr. Nach Rolandseck zu fahren, war längst Abrede,
wir wollten uns in Oberwinter trauen lassen, woselbst
der schönste, längste und dickste Pfarrer wohnt, den
Gott der Erde beschert hat. Besagter langer und dicker
Pfarrer aber ist ein Orthodoxer, und als Johanna und
ich ein paar Tage vorher uns zur Trauung meldeten,
schlug er es unS ab. Item beschlossen wir doch, in
Rolandseck zu tafeln, ich ging zu Wichelhaus, um
dann, falls auch der abschlüge, der Kirche bescheidentlich
ihren Segen zu schenken, mich mit der Zivilehe zu be-
gnügen und von Eichhorn absetzen zu lasten. Doch war
es mir schwer, in dem Augenblicke, wo ich den Schritt
tat, der die Welt mit mir versöhnen muß, aufs neue
durch die Marotte einiger Pastöre in den Sturm hinein-

* Spitzname eines Maikäfers, des Theologen Albrccht Schöler,
des nachmaligen „Hunsrücker Chronisten", „der mit seinen langen
Haaren und starken Augen so wild aussah, daß ihm der Kneip-
name »'1'imnr- zuteil ward".
Torstrick und Wurm, zwei junge Freunde Kinkels, die sich
viel mit Hegels Philosophie beschäftigten.
 
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