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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 3
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Jacques, Norbert: Liebesabend in Besigheim
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Bodman, Emanuel von: Einer alten Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0108

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Liebesabend in Besigheim.

waö mich während dieser Nachtftreife durch das alte
Nest an Bedrängnis, an Verliebtheit und Zagheit, an
Überrumpelungen und Iurückweichen und an unerwarteten
Erlebnissen des Schauenö geplagt und erfüllt hatte, löste
sich in das liebe, einfache alte Liebeslied, mit dem ich
ihren Kopf in meine Hände nahm, ihre Lippen mit
den meinigen bedeckte und ihr glückselig flüsterte: Du!
„Nun entführe ich dich auf den Turm!" Und ich
faßte sie um die schlanken Schultern und schob sie zu
der gedeckten Treppe, auf deren ausgetretenen Holz-
stiegcn unsere Füße polternd einen unsicheren Weg suchten.
Aber dann bohrte sich schwarz und unheimlich eine
verrückt drehende steinerne Wendeltreppe kreiselnd im
Mauerwerk des Turnicö hinauf. Das Mädchen kletterte
in der engen Windung vor mir. Ihre Fersen trafen
oft meine Brust, so steil ging es hinan. Unsere Hände
krallten sich nervös ängstlich am Leitseil hinaus. Nur
bisweilen stand fern im ungeheuer« Mauerwerk ein
dünner Spalt, in dem das hellere Grau der Nacht lag,
wie ein Licht. Es war ein wilder, verwegener, trotzig
alter Weg den Turm hinaus, und keiner sprach ein
Wort in der Finsternis und Kälte, die miteinander heftig
den steilen Wendelgang auf uns herabfielen.
Auf einmal waren wir oben in dem Hellen Zimmer.
Die Türmerin lag schon im Bett. Wie eine blumige
Wiesenkuppe wölbten sich die bunten Kissen über sie.
Aber der Mann spielte den freundlichen Wirt. Wir
sahen von seinen Fenstern tief die Stadt den hohen
Felsenrücken zwischen Neckar und Enz erfüllen. Die
spitzen Giebel präsentierten sich durcheinandergcschart,
dem Turm zu. Das Mondlicht glänzte wie erfroren
aus ihnen. Im Bogen zogen zurückgerückt dunkle
Hügel um die Stadt herum, und aus diesem Land
erzählt der Wächter allerlei Nebensächlichkeiten, die aber
aus der Seltsamkeit der Stunde uns eine große Wich-
tigkeit gaben. Ihnen zuhorchend, laß ich die ganze
durchwanderte Nachtstadt und zugleich das süße Ereig-
nis durch mich schwellen, in dem sich die junge, schöne
Frau von mir küssen ließ, daß ich sie nun in mein
Leben mitnehmen darf.
Nach einer Weile gingen wir wieder unten in den
Gassen und geraden Wegs zum „Waldhorn". Wir aßen
gut zu Nacht und tranken einen roten Wein, der im
Angesicht der Stadt gewachsen und nicht ohne mancherlei
solide Eigenschaften war. Die Wirtin saß am Neben-
tisch bei einem jungen Metzgerburschen in gestreiftein
Leinenkittel, und die Beiden unterhielten sich auf fran-
zösisch:
guollö örr aaxorto - vous äsmor 1a vianäo?"
fragte sie.
uns örr voint oong!" antwortete der Bursch.
Das Französisch der Beiden hatte einen schwäbischen
Akzent.
Dann wollten wir schlafen gehn. Das nette Schwa-
benmädele, das uns bei Tisch bedient hatte, führte uns
hinauf. Sie habe das Zimmer schön geheizt! sagte sie
in der Treppe. Ich fühlte, daß mir das Blut fleckig
übers Gesicht schoß.
Oben öffnete das Mädchen eine Tür und machte
Licht. Es war ein großes Zimmer, und an einer Wand
standen zwei Betten traulich aneinander.

Da sagte Galathee, bevor sie noch eingetreten war:
„Gute Nacht, lieber Freund! Und nun, Mariele, zeigen
Sie mir mein Zimmer."
Ich blickte mit fragendem Flehn zu Galathee. Aber
sie hob leis die Hand auf und ich sah, daß ihre Augen
traurig gradaus schauten.
„Du!" flüsterte ich. Und sie ebenso leis, ebenso
zart: „Nein, es gehört einem Andern." Und sie wandte
sich ab, indem sie mir die schmale Hand wie bittend
hinhielt. Da verlor ich die Fassung, raffte Hut und
Mantel aus, stürzte hinunter und wieder in die Stadt
hinein.
Ich lies herum, dann unten an den Fluß. In den
Mauern, die an seinem User die einzeln stehenden
Häuser verbanden, staken offene Türbogen, in denen
das Wasser, vom Mond angelichtert, schlüpfrig gluckste.
Die Mühle klapperte und schrie. Die Enz dampfte und
rauschte übers Wehr, und über all ihren Lärm trieb
ich meinen Schmerz hinaus. Oben aus der Mauer
waren die alten, grimmen knorrigen Häuser. Sie waren
nun verwitterte Kriegsknechte, die in einer friedlichen
Nacht auf freiem Feld rastend herumlagen und doch
mit den Erwartungen naher Abenteuer gespannt, die
Nase höhnisch und bedräulich in die Nachtluft streckten.
Alles war nun eine bitterböse, steinerne Romantik, und
daö melodische Verrauschen deö Neckars und der Enz
sang sie vergebens an.
Ich lief mich in eine klein umgrenzte, immer noch
gefährliche Ruhe hinein. Als ich dem „Waldhorn"
aufö neue zuschritt, kamen aus der öden Verein-
samung der Gassen drei betrunkene Soldaten mir ent-
gegen. Sie fielen zwischen den Häusern daher und
sangen lärmend ein Lied, von dem ich immer nur
verstand:
„Das Gewehr in der Hand,
Gloria fürs Vaterland.
Ja, Glo .. o .. oria fürs Vater-, Vaterland!"
Und nun: waö wird nun sein? Galathee seh ich
morgen nimmer wieder. Sie war schön, klug und süß!
Ich bin ihr nicht bös, danke ihr ganz innig, daß ich
sie in diesem Städtchen in die Arme nehmen durfte,
daß ich so unerwartet und leidenschaftlich mit ihr und
in ihr die alte Stadt erleben konnte, und liebe sie,
liebe sie. Übermorgen wird die Sonne des Südens
mir den Leib heftig zerbrennen. Daö wird mir gut
tun. Ich werde auf der Reise dorthin oft an
Besigheim, an dieses alte, wunderbare, karge Schwaben-
nest denken, und noch bevor ich in der ersten italie-
nischen Stadt übernachtet, wird Galathee einen ver-
liebten Brief von mir gelesen haben. Ob sie ant-
worten wird?
iner alten Frau.
Du meinst, du kannst dich einst in stiller Ruhe
für immer in die Hände Gottes legen.
Du irrst: du wirst dich stets mitsamt der Truhe
in Gott bewegen.
Emanuel von Bodman.


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