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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 4
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Hagemann, Carl: Bankrott
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0142

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ankrott?
Von Carl Hagemann.
Es wollte ihr gar nicht recht behagen, daß man
auf der Rückreise aus Oberitalien nun doch die große
mitteldeutsche Universitätstadt besuchte, wo er einst studiert
hatte und auch promoviert war. Sie mochte aus der
Zeit, die vor ihrer kaum einjährigen Ehe lag, überhaupt
nichts hören, sehen und wissen. Ihr wurde jedesmal
ganz unheimlich zumute, wenn sie nur daran dachte,
daß sie sich jetzt in den Mauern, und noch dazu an
seiner Seite, aufhalten müsse, wo er einst gelebt und
sicher auch geliebt hatte. Seine Vergangenheit konnte
dort lebendig werden. Und sie fürchtete sich nun einmal
vor dieser seiner Vergangenheit, ohne eigentlich den
geringsten Grund zu haben. Und weil sie eben gar
keinen rechten Grund für ihre Abneigung vorzubringcn
wußte, konnte sie seinem Wunsche und Willen nicht
einmal in der gehörigen Weise entgegentreten. Und so
war sie doch mitgesahren.
Er hatte in einem alten guten Hotel zwei sehr schöne
Zimmer genommen, die an Behaglichkeit alle ihre bis-
herigen Wohnungen weit übertrasen.
Die junge Frau war, von dem langen Spaziergang
durch die Hauptstraßen der Stadt ermüdet, in den großen
bequemen Schaukelstuhl gesunken, der nun, wie unauf-
gefordert und höchst bereitwillig, unter der zarten Last
des graziösen Frauenkörpers seine wiegenden Bewegungen
zu machen begann . . .
Der junge Ehemann hatte sich derweilen in die eine
Ecke des altmodisch breiten, mit feinster Tapisserie über-
zogenen Sofas gesetzt. . . Die Uhr vom nahen Kirch-
turm schlug jetzt sieben. Der dunkle Klang des mehr-
hundertjährigen Läutewerks, das eine gute Spanne Zeit
sein Leben, sein Ringen und Hoffen wie der mahnende
Mund eines Weltweisen begleitet hatte, löste allerlei
Erinnerungen in ihm aus- Was ihm der Spaziergang
durch die Straßen, die heute so ganz anders aussahen,
wie damals vor acht Jahren, offenbar nicht bieten konnte,
das sollte nun der erste Schlag der Feierabendstunde so
ganz leicht und ungezwungen zuwege bringen.
Die beiden sprachen nichts. Sie wußte, daß sich
seine Gedanken jetzt mit früheren Tagen beschäftigten,
und wollte ihn deshalb nicht stören. Sie glaubte, kein
Anrecht daraus zu haben. Jene Zeit gehörte ihr nun
einmal nicht. Und sich diese Zeit zu eigen zu machen
— dazu fühlte sie sich außerstande. So schwieg sie denn,
ohne hinter diesem Schweigen irgend einen Groll zu
verbergen. Sie gab ihn sogar gern für diese Augen-
blicke frei, da sie inzwischen einsehen mochte, wie wenig
Ursache sie zu eifersüchtigem Gebaren hatte und vor
allem auch, wie zwecklos dies im Grunde sein würde . . .
Und er wiederum glaubte, sie sei vom Spazierengehen
so müde geworden, daß er nun einmal ruhig seinen
Erinnerungen nachhängen könnte.
Sie haben wohl schon an die zehn Minuten so
dagesessen, als es leise an die Tür klopft. Ohne sich im
mindesten zu regen, sagen beide fast zu gleicher Zeit und
auch fast im gleichen Tonfall „herein".
Es ist der Zimmerkellner. Mit einem wesenlosen
Gesicht, das auch bei viel intimeren Situationen seinen
* Aus „Dialoge" (Verlag Schuster s- Loeffler, Berlin).

Ausdruck nicht gewechselt hätte, will er Besuch melden:
Ein Herr Carlsen wünsche den Herrn Doktor zu sprechen.
— Carlsen ... Nein, Benno Carlsen, von dem ich
eben geträumt habe — denke Dir, Lieb — Benno Carlsen
— sonderbar, daß gerade er. . . Ich lasse bitten.
Sie hat sich schnell erhoben.
— Carlsen, wer ist das?
— Benno . .. Benno, von dem ich Dir doch schon
allerlei erzählte, meine ich.
— Ich gehe durch das Schlafzimmer und dann über
den Flur zur Schreibstube. Ich will eine Karte nach
Hause schicken, damit das Mädchen für unsere Ankunft
auch alles gut herrichtet.
— Aber Du kannst ruhig bleiben. Wir haben doch
keine Geheimnisse vor Dir.
— Nein, nein. Ich will aus jener Zeit keinen
Menschen kennen lernen.
Und schon hat sie das Zimmer durch den Vorhang
zum Nebenraum verlassen . . .
— Das ist ja aber prächtig. Wie mich das freut.
Doch wenigstens einer aus jenen Tagen. So ist denn
die Reise hierher doch nicht ganz umsonst gewesen ...
Willkommen, Benno.
- Ich hörte von der Else, daß Du da wärest. Sie
hat Dich gesehen, mit einer eleganten Dame am Arm.
— Du weißt doch, daß ich verheiratet bin? Seit elf
Monaten. Ja, bald ists ein Jahr — ein ganzes Jahr.
— Das wußte ich eben nicht. Aber ich dachte es
mir jetzt natürlich. Wenn Du mit einer eleganten Dame
am Arm über die Abendpromenade schleuderst — Du,
ein Mann von Stellung und Ruf. ..
— Ich habe Dir doch aber eine Anzeige geschickt.
Ganz bestimmt. Allerdings an die Adresse Deiner Eltern,
weil ich Deinen Aufenthaltsort nicht wußte — und weil
ich mir nicht denken konnte, daß Du noch hier wärest.
— Wohl als Drucksache?
— Gewiß, wie die anderen.
- Ja, dann erklärt sichs. Drucksachen lese ich nie.
Die fliegen immer gleich in den Papierkorb. Alle diese
Wein-, Zigarren- und Schneiderkataloge ekeln mich an, und
die Geburts- und Todesanzeigen, auch — nimm mirs nicht
übel — die meisten Heiratsanzeigen interessieren mich nicht.
— Der Doktor mußte jetzt lächeln - jetzt, wo er den
Genossen von damals eigentlich erst recht wiedererkannte.
Er führte ihn zu einem der beiden tiefgrünen Ledersessel
und schenkte ihm ein Glas Bordeaux ein, das der Freund
gierig in einem Zuge hinunterftürzte.
— Also die Else hat Dirs gesagt.
— Ja, die Else... Die hat nun auch schon 'n Buben.
— Nicht möglich. Die Else hat sich verheiratet. . .
— Mit dem Zigarrenjüngling an der Universitätsecke,
wo ich meinen Tabak kaufe. Du weißt. . .
— Immer noch?
— Ja, immer noch. Er hat ja unglaublichen Schund,
der Kerl. Aber er liegt mir bequem. Und dann erspare
ich das Abonnement aus die Lokalzeitung . . .
Also mit Dir macht sich das . . . Ich habe allerlei
von Dir gelesen — von Dir und über Dich . . .
— Ach ja, ich bin eigentlich ganz zufrieden. Ich
könnte mir ja manches anders denken. Ich könnte wohl
schon weiter sein — gewiß. Aber zur Unzufriedenheit
liegt eigentlich kein Grund vor, Benno.
 
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