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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Langhoff, Gustav: Die Gefilde der Seligen, [1]: Kleinstadtszenen$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0165

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ie Gefilde der Seligen.
Kleinstadtszenen von Gustav Langhoff.
Amtsrichter Cordes kehrte fröstelnd aus einer Gesell-
schaft zurück: der letzten in Berlin. Gestern noch
Assessor mit dem Nimbus der schlanken Eleganz und
heute Amtsrichter, mit dein Stempel behaglichen Philister-
tums in die Provinz versetzt. Noch einmal nahm er
den lärmenden Traum der nächtlichen Friedrichstraße
in sich auf. Was war selbst seine Vaterstadt Hamburg
mit ihrer schwerfälligen Haltung gegen diese nächtlich
lässige Geschmeidigkeit. Und nun erst Havelburg! Er
hatte keine Erfahrung, wie es in solchen Nestern zu-
ging, ob die Menschen dort waren wie in Blumenthals
„Großstadtluft" oder wie sein Kollege Wagner sie ihm
geschildert hatte? Freilich, der war ein guter Mensch
und hatte seine Havelburger Jahre die schönsten seines
Lebens genannt und von „Gefilden der Seligen" ge-
sprochen mit ehrlichen Augen.
Ob man bei seiner Nähe zu Berlin noch etwas von
der Großstadt spüre? „Bester Herr Kollege, in unseren
Jahren hat der Großstadtrummel seinen Reiz verloren;
nicht lange und Sie sehnen sich nach den einfältig
schlichten Gewohnheiten einer solchen Kleinstadt, wie
man sich von einer überhetztcn Reise nach Hause sehnt!"
Zum letztenmal überflog sein Blick die Friedrich-
ftraße, wehmütig, zornig, fast wie man einen geliebten
Toten noch einmal ansieht, den man der Erde lassen
soll, dann bog er ab nach seiner Wohnung; dabei hörte
er sich selber eine» zornigen Laut durch die Zähne
stoßen und fühlte, wie seine Fäuste sich in die Mantel-
taschen bohrten.
Am nächsten Morgen hatte er zuviel praktisch zu
besorgen, um Abschiedsgedanken nachzugehen; er fand
sich behaglich im V-Jugwagen sitzend, als ihm erst
wieder einfiel, daß dies nun seine Abreise wurde Aber
eine Bahnfahrt, so alltäglich sie ihm eigentlich war,
machte ihn immer ein wenig froh. So fuhr er in
einer heiteren Behaglichkeit dahin, bis nach einer Stunde
die Fahrt schon zu Ende war. Der Strang des großen
Lebens führte nicht an Havelburg vorbei; umsteigen
und warten hieß es, indessen der V-Zug mit rasch ge-
wonnener Schnelligkeit an ihm vorübersuhr in die
Welt. Mit seinein eleganten Täschchen schob er sich in
die dumpfe Bahnhofswirtschaft. Nach zehn Minuten
wurde abgerufcn. Nach Havelburg auf dem vierten
Gleise. Aus dem vierten Gleise!
Einige Fettvichhändler schrieen sich mit ihren Bier-
stimmen lachend etwas zu, Bauern stapften schweigend
über die Schienen, ein paar Damen „aus einer kleinen
Stadt" hüpften schwatzend und hastig von Schwelle
zu Schwelle, und Cordes schloß mürrisch schlendernd
den Zug.
Die zweite Klasse gehörte ihm allein. Der Schaffner
kam und knipste seine Karte.
„Nach Havelburg in P. umfteigen," sagte er.
„Wohl auf dem fünften Gleise?" fragte Cordes
hohnvoll.
„Was? Ne, ne, gleich daneben. Sie können jarnich
fehlen, sonst dürfen Se bloß fragen."

Cordes schloß gelangweilt die Augen. Mit großem
Lärm und großer Bedächtigkeit wurde noch der Gepäck-
wagen geladen, dann stieß die Lokomotive ein minuten-
langes, gellendes Pfeifen aus, und fauchend und stöhnend
setzte sich der Zug in Bewegung.
Je weiter er sich von Berlin entfernte, desto freund-
licher und gemütvoller wurden Bahnhöfe und Land-
schaft. Am blauen Herbsthimmel, wie hingewischt,
dehnten sich in Form riesiger Eisblumen zartweiße
Wolkenstreifen und gaben dem Bilde einen Zug trau-
lichen Friedens. Die Bauern stützten sich aus ihre
Forken und sahen der Bahn gedankenlos nach. Große
Kicfernwaldungen schlangen sich um den Horizont und
schickten ihre Vorposten bis zu den Gleisen, ließen sich
aber von einer Reihe Birken schützen, die ihre gold-
schweren Herbstzweiglein leise im Winde wiegten.
Dann wieder kam eine Station, und das Lachen
und Sprechen hatte einen schnellvcrklingenden Laut, das
in den Berliner Bahnhofshallen jeden Ton durch ein
Pedal verstärkte.
Cordes legte sich daö alles beklemmend aufs Herz.
Welch ein Unterschied zwischen einer Vergnügungs- und
einer Verbannungsreise. Da konnte man das Fremde
aus der Ferne aus sich wirken lassen, nun rückte es
einem nahe wie ein Alpdrücken.
In P. stieg Cordes um und dann kam nach einer
weiteren Stunde Havelburg als Endstation. Ein Hotel-
omnibus hielt einsam in der Nähe des Bahnsteiges.
Cordes gab dem Kutscher sein Täschchen sowie den
Gepäckschein und machte sich aus den ihm angegebenen
Weg nach dem Marktplatz, wo der „Reichsadler" lag.
Ein Schaffner begegnete ihm mit seinem blechernen
Kännchen, ein Junge lies über die Straße mit einem
noch schnell zum Mittagessen geholten Salzhering, und
auf den: Marktplatze lag im grellen Sonnenschein ein
zusammengerollter Jagdhund. Sonst war es in dieser
Mittagstunde einsam.
Cordes stieg die Stufen zum Hotel hinaus und
befand sich in einem geräumigen Hausflur mit vier
Türen. Die zur rechten Hand hatte Glaöfenster mit
hinterklebtem buntem Papier, die öffnete er. Ein Billard,
ein Ledersofa, die Kaiserbilder, eine verräucherte Gipö-
germania, Stühle und Tische, aber kein Mensch.
Er ging in ein zweites verräuchertes Zimmer mit
dem Bierausschank. Auch kein Mensch, aber als er sich
ratlos herumdrehte, flog eine kleine Tür durch einen
Fußtritt aus und ein Jüngling mit eiligem Kellner-
schritt, eine große Platte vor sich tragend, stapfte herein,
wandte schnell den Kops nach ihm und verschwand in
einem dritten Zimmer. Gleich daraus erschien der Wirt
und entschuldigte sich, da sie gerade mit der tabls ä'boto
zu tun hätten.
Cordes ließ sich ein Zimmer anwcisen, reinigte sich
vom Reiscftaub und warf einen Blick auf den trostlos
leeren Marktplatz, aus dem noch immer der Jagdhund
schlief. Ging hinunter und verzehrte einsam ein halb
kaltes Mittagessen, das von der gemeinsamen Tafel
übrig geblieben war.
Die anderen Gäste kamen aus dem kleinen Saal
nach vorn, musterten ihn neugierig und tauschten leise
ihre Ansichten über den Fremdling aus. Da ließ er
 
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