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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Treu, Reinhold: Gerhart Hauptmann
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Kisa, Anton Carel: Die Altertumsfexerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0169

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Gerhart Hauptmann.

gar nicht, weil er keine eigentliche Handlung hat; aber
er ist ein einsamer Mensch, der für diese Einsamkeit und
für diese Sehnsucht aus der Einsamkeit manchmal einen
wunderbar ergreifenden Ausdruck findet, um dessentwillen
wir dann manche seiner Stücke lieben, die - wie wiederum
ganz besonders der Michael Kramer — sonst nicht gerade
unterhaltende naturalistische Schilderungen sind. Ein
verkappter Romantiker also mit der modernen Sehnsucht,
die nicht inehr in die Vergangenheit, sondern traurig
zweifelnd in die Zukunft geht.
So ist es nicht zu verwundern, daß sein bestes
Drama trotz „Biberpelz" und „Rose Berndt" ein roman-
tisches Stück ist. Nicht etwa die versunkene Glocke,
die schon durch ihr Sprachgcmisch eine unerträgliche
Dichtung ist, auch nicht der arme Heinrich, darin er
die Vorbilder nicht los wurde, sondern sein Glashütten-
märchen : „Und Pippa tanzt", das als ein ganz einziges
Stück in der deutschen Literatur steht durch die Selbstver-
ständlichkeit, mit der aus realen Vorgängen sich die Phan-
tastik und das Märchen entspinnt. Vielleicht könnte man
eine Verwandtschaft mit dem unglücklichen Raimund finden,
der diese Gabe gleichfalls hatte, wie überhaupt Haupt-
mann viel mehr nach Wien als nach Berlin weist, viel
eher zu Grillparzer als zu Kleist gehört. Alles Opern-
hafte der versunkenen Glocke ist in dieser glasklaren
Dichtung vermieden, die in derber Prosa geschrieben ist
>ind trotzdem von allen seinen Stücken die meiste Poesie
enthält, auch am meisten die Heimat des Dichters und
ihn selber gibt. Wenn man von den Webern wohl sagen
möchte, daß sie trotz ihrer fünf breiten Akte nicht mehr
Stimmungskraft und nachhaltigen Eindruck enthielten
als jenes für Freiligrath so merkwürdig starke Gedicht
von dem schlesischen Weberknaben, der vergebens nach
seinem Rübezahl die arme Stimme erhebt: so muß
man diesem Glashüttenmärchen fast einen Gottfried
Kellerschen Humor — allerdings in weicher schlesischer
Färbung - zusprechen.
Von diesem Juwel fällt dann ein zarter Glanz auf
alle anderen Werke zurück; man hat, wenn man seine
Mischung von realer Welt und Phantastik empfunden
hat und den langen Klageton, mit dem es auögeht:
den Dichter selber gefunden, und wenn man nun die
lange Reihe seiner Werke überschlägt, sieht man weniger
nach dem Gelungenen in ihrer äußeren Erscheinung als
nach dem Dichter, der diese lange Wallfahrt machen
mußte, um zu sich selbst zu kommen; und dem auch
heute — wie in Kaiser Karls Geisel — die Hand noch
nicht sicher geworden ist, weil sie zu sehnsüchtig nach
den Rätseln des Lebens tastet. Aber man erkennt diese
tastende Hand überall und sicht nun die große Anzahl
seiner Werke mit jenem klagenden Erstaunen, mit dem
er uns selber am Schluß seines Glashüttenmärchens ent-
läßt. Man möchte sie nun doch alle gern haben, um des
Dichters willen, und sieht in ihrem Vielerlei den Reich-
tum seiner zarten Kraft, die sich daran fast verrieb.
Und soviel man danach die Schauspiele unserer Sprache,
die gegenwärtigen lind vergangenen, zum Vergleich
heranzieht: in einigen vielleicht bei Goethe, sonst nur
bei Grillparzer ist so viel eigenes Erlebnis, so viel Dichter-
seele auf die Bühne gekommen wie bei ihm. Ein
empfindsamer Dramatiker, wie wir noch keinen hatten.

ein wenig unmännlich vielleicht, aber ganz ein Dichter.
Und diese innerliche Klage des Dichters, die aus allen
seinen Werken irgendwo klingt, wird sie lebendig halten,
wenn das Außere sie nicht mehr hält. Auf diese Weise
gehen sie doch ein in den großen Schatz unserer deutschen
Dichtung; mehr als irgend ein anderer ist er der
Dramatiker unserer Zeit, ein zarter Jünger, fast ein
Johannes des harten nordischen Messias; aber neben
seiner Erscheinung trotz Shaw und Wedekind die eigenste
Figur unseres Theaters.
So war es gut, daß der Verlag S. Fischer diese
schöne Gesamtausgabe seiner Werke herausbrachte; gerade
sür linö — cs mögen nicht allzuviele sein - die den
einsamen Gang dieses Dichters von Anfang an mit-
erlebtcn, oft ihm zujkibelnd und oft an ihm zweifelnd.
Die andern aber mögen sich durch keinerlei Hetzgeschrei —
das Theater ist eine überlaute Börse — verwirren lassen:
es ist ein reicher Schatz in diesen sechs Bänden be-
schlossen; eö schadet keinem Hause, wenn er darin zu
finden ist. Reinhold Treu.

je Mertumsfexerei.
„Herr Hauptmann, ich habe einen Gefangenen
gemacht!" rief freudestrahlend ein „Deutsch-
meister", will sagen ein Angehöriger des Wiener Haus-
rcgimentes „Hoch- und Deutschmeister", in der Schlacht
von Solferino seinem Vorgesetzten zu.
„Famos, bringe ihn doch her!"
„Ja, das täte ich sehr gerne, Herr Hauptmann,
aber der Kerl läßt mich nicht los!"
An diese bekannte Anekdote wird man bei den be-
weglichen Klagen erinnert, die Museumsleiter und andere
Kunstfreunde seit einiger Zeit wegen des Überwucherns
der Antiquitätenliebhaberei anstimmen. Wer hätte eS
sich damals, als die feinsten Geister, die wenigen Leute
von Geschmack, auf die Arbeiten früherer glücklicherer
Kunstepochen als Muster für das zeitgenössische Schaffen
hinwiesen, träumen lassen, daß sie sich häufiger hemmend,
denn fördernd erweisen würden? Gesammelt wurde zu
allen Zeiten. Hadrian pflegte diesen edlen Luxus ebenso,
wie die etwas materieller angelegten germanischen Heer-
führer beim Zusammenbringen ihrer Schätze, die vor-
nehmen, ästhetischen Banditen der italienischen Renaissance
ebenso wie der weltverlorene Sonderling auf dem Hrad-
schin, Rembrandt ebenso wie der Korse, der die Kunst
als nobles Mittel der Reklame sowohl, wie als sichere
Kapitalsanlage schätzte, darin sich mit den germanischen
Herzogen und den italienischen Condottieri berührend.
Den Fürsten des 18. Jahrhunderts war die Kunst ein
Mittel zur Steigerung des Lebensgenusses und dem-
entsprechend der Kultus der Fraucnschönhcit daö Leit-
motiv der Sammeltätigkeit. Allen aber galt die zeit-
genössische Kunst dabei als mindestens gleichwertig, in
den meisten Fällen sogar als die Hauptsache. Eine
Wandlung trat darin erst zu Beginn des vorigen Jahr-
hunderts ein, welches man das historische genannt hat,
als gleichzeitig mit einer auffallenden Erschlaffung selb-
ständiger Schöpferkraft die romantische Strömung die
Restaurierungsversuche hervorgerufen hatte, an welcher
 
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