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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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[Heft 6]
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Schäfer, Wilhelm; Schopenhauer: Künstler und Künsteler
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rath, Willy: Von der Ausstellung München 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0210

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Künstler und Künstelcr.

und wie sie eben deshalb von ihrem eigenen Zeitalter,
welchem sich anzuschmiegcn sie verschmähten, lau aus-
genommen, und, weil sie die jedesmalige Verirrung
desselben mittelbar und negativ ausdeckten, spät und
ungern anerkannt wurden; so können sie dasür auch
nicht veralten, sondern sprechen auch in der spätesten
Zeit immer noch frisch und immer wieder neu an:
dann sind sie auch dem Übersehen- und Bekanntwerden
nicht ferner ausgesetzt, da sie gekrönt und sanktioniert
dastehen durch den Beifall der wenigen urteilsfähigen
Köpfe, die einzeln und sparsam in den Jahrhunderten
erscheinen und ihre Stimmen ablegen, deren langsam
wachsende Summe die Autorität begründet, welche ganz
allein jener Richterstuhl ist, den man meint, wenn man
an die Nachwelt appelliert. Jene sukzessiv erscheinenden
Einzelnen sind es ganz allein: denn die Masse und
Menge der Nachwelt wird allezeit ebenso verkehrt und
stumpf sein und bleiben, wie die Masse und Menge
der Mitwelt war und allezeit ist. - Man lese die Klagen
großer Geister, aus jedem Jahrhundert, über ihre Zeit-
genossen: stets lauten sie wie von heute; weil das Ge-
schlecht immer das selbe ist. Zu jeder Zeit und in jeder
Kunst vertritt Manier die Stelle des Geistes, der stets
nur das Eigentum Einzelner ist: die Manier aber ist
das alte, abgelegte Kleid der zuletzt dagewesenen und
erkannten Erscheinung des Geistes. Dem Allen gemäß
wird, in der Regel, der Beifall der Nachwelt nicht
anders, als aus Kosten des Beifalls der Mitwelt er-
worben; und umgekehrt. Schopenhauer.

on der Ausstellung München 1908.
Wer einer Sache wohl will, wer ich derselbigen Sache
viel vom eignen ästhetischen Wünschen verlebendigt sieht, gerade
der muß sich vor den großen Worten uferlosen Lobes hüten. So soll
denn hier nicht verschwiegen werden, daß eine ganz restlose Er-
füllung des Angestrebten auch im Werk „München 1908" nicht
erreicht wurde. Um so volleren Tones aber darf nach solcher
Einschränkung gerühmt werden, daß im wesentlichen dieses kühne
Unternehmen einer einzelnen Stadt dennoch zum Erstaunen ge-
lungen ist — oder doch zu sein scheint.
Denn darin unterscheidet sich diese einzigartige Ausstellung
nicht von den gemeinen' auch sie war bei der Eröffnung — am
15. Mai — noch nicht recht fertig. Und fast mutet es so an, als
werde nun, nachdem der Betrieb einmal im Gang, nicht mit
demselben Eifer forlgearbeitet, der in den letzten Wochen vor dem
offiziellen Anfang vorwärts trieb und der uns die Frist bis zur
Vollendung des Ganzen ein bißchen unterschätzen ließ.
Aber in höchstens zwei Wochen wird nun doch jegliches an
dem vorbcstimmten Platze sein. Die Kunstrichter von draußen
aus dem Reich, die weislich nicht vorher kamen, mögen dann
über den Gesamtwert urteilen. Heut ist hier nur ein Überblick
zu geben über die Ziele und die Anlage von „München 1908"
und über der Ausführung ersten Eindruck.
Ein Sieg der vorschreitendeu Kulturarbeit ist von vornherein
damit errungen, daß der künstlerisch reine und fruchtbare Grund-
gedanke zur Verwirklichung bestimmt ward: eine Schau zu schaffen,
die vom mannigfaltigen Arbeiten, Handeln, Leben und Zieren
eines großen Gemeinwesens Rechenschaft geben soll und bei der
zugleich als ausschließlicher Grundsatz gilt: nur das wird aus-
genommen, was zugleich zweckmäßig und schön ist.
Man bedenke: Künstler, nur Künstler halten die innere
Leitung dieser Ausstellung in Händen. Was auch an Einzelnem
etwa zu benörgcln sein werde, hier ist doch wirklich einmal ein
Schau-Unternehmen „großen Stils" erstanden, das in seinem Be-
reich keinen rohen Erwerbs-Tamtam, keinen Kitsch, keinerlei Ge-
schmacksmißhandlungen duldet, mit einem Wort: das Stil hat.

Alles Architektonische der eigentlichen Ausstellung') war
pünktlich vollendet, vom gar nicht pompösen und doch wirkungs-
vollen, konkav gerundeten Portal bis zum rückwärtigsten Haupt-
gebäude, dem prächtig ruhevollen Hauptrestaurant, errichtet von
Cmanuel von Seidl.
In gut abwechselnder Gliederung ziehen rechts, den sportlich-
landwirtschaftlichen Ring halb verdeckend, die Gruppen geräumiger
Ausstellungshäuser (vom Bauamtmann Bert sch) sich hin. Man
hat ihnen den nüchternen Namen Hallen gegeben, und dem ent-
spricht cs, .daß die Zweckmäßigkeit in dieser Stein-, Eisen- und
Glas-Konstruktion wohl ein bißchen überbescheiden betont wurde.
Ein Amerikaner meinte: „So sollen Fabrik-Etablissements aus-
sehen, und drüben haben wir auch solche Fabriken." (Wir hier
hüben noch nicht; Amerika, du hast es wieder einmal besser.)
Im besondern meine ich, die Längsseiten der „Hallen", die sich der
Hauptpromenade zuwenden, wären besser so beschaffen, daß sie an
schönen Tagen und Monaten statt der toten Reihen trüber Scheiben
eine vergnügte Kette offener Bazare zeigten. Wie hätte das den
Mittelpunkt des ernsthaften Ausstellungsbezirks lockend belebt!
Links fesselt die schlicht-schöne Front des „Münchner
Künstlertheaters" mit den zierlichen Flügelbauten, die
mehrere Verkaufsbazare und ein stilreines, modernes Cafe ent-
halten. Max Litt mann, der ausgezeichnete Münchner Bau-
meister, der Schöpfer unseres Prinzregeuten - Theaters und des
Charlottenburger Schiller-Theaters, hat hier ein drittes wohl-
gelungenes Amphitheater dem romanischen Bogenhaus entgegen-
gesetzt und in kausaler Verbindung damit eine kühn neuernde
Stilbühne gestaltet.
Die Aufführung des „Faust", I. Teil, in der neuen Ein-
richtung des Malers Fritz Erl er, konnte die Notwendigkeit eines
eignen neuen Hauses natürlich nicht restlos beweisen, brachte aber
eine Anzahl malerisch feiner Stimmungen, eine Fülle fesselnder
Einzelheiten und fruchtbarer Anregungen. Dem Faust, dem
Gretchen, ihren Gewändern und ihren Stätten wurde mit der
gesamten Theaterkonvention denn doch wohl auch ein Stücklein
berechtigter Tradition entrissen.
Die Bühne Littmanns, die in allem Wesentlichen auf Semper,
Schinkel und die alten Griechen zurückgeht, vermeidet die Ober-
bühne (Schnürboden), die Kulissen und Soffitten. Im Proszenium
begrenzt ein verhältnismäßig tiefer Portalbau in Holzarchitektur
seitlich und oben den Blick des Beschauers. Das kurze mittlere
Drittel der Bühne, die im ganzen noch keine neun Meter Tiefe
erhielt, dient in der Regel als Spielszene. Sinnreiche Vorrichtungen
vervollkommnen die Lichtwirkungen und lassen rasche Verwand-
lungen unter Ersparnis eines ungeheuren Apparates zu. Die
alleinige Berechtigung dieser „Neliefbllhne", die in der Darstellung
des höher» Dramas den schiefen Naturalismus der tiefen „Guck-
kastenbühne" durch'symbolisierend-andeutende Stilisierung ersetzen
will, wird schwerlich je zu aller Überzeugung dargetan werden.
Allein so viel hat dieses Münchner Künstlertheater-Cxperimcnt doch
schon in seinem Anfang bekundet: daß tatsächlich starke feierliche
Wirkungen auf solchem Wege zu gewinnen sind ...
Sehr reizvoll ist im Ausstellungspark die Verteilung monu-
mentaler Brunnen und fürstlich reichen Bildnerschmucks vor Bauten
und Hainmotiven. Hübsche Spaliergchege, die Wackerlss erstaun-
lich lebensvollen Majolikafiguren zur Behausung dienen, bilden
eine Strecke lang den Übergang von der Haus- und Hallen-
Architektur zur Parknatur. Unangetastet nämlich liegt das stille
Wäldchen im Rücken der Bavaria zwischen der Ausstellung im
engeren Sinn und ihrem Vergnügungspark. So sind die beiden
Teile, die nur der Weg am Hauptrestaurant entlang verbindet,
aufs denkbar eindrucksvollste geschieden.
Dem Laien wird vielleicht gerade im weiten Dergnügungs-
gelände, wann dessen Bauten nun vollendet sein werden, das
Eingreifen der Maler-Architekten am stärksten fühlbar werden.
Da stehen ein paar Arbeiterhäuser zum Entzücken und zwei
Herbergen sehr feiner Münchner Kleinkünste: das behäbige
„Marionettentheater Münchner Künstler" und in einer Art stil-
vollen Dorfspritzenhauses das „Schwabinger Schattentheater".
Aber auch die Heime des blanken Zeitvertreibs und der leiblichen
Erfrischung, als da sind: Schieß- und Bierhallen, Kinemato-
graphentheater, Enziantempel, Ceylonteehaus, Rodelbahn und
Reitbahn..— das sind lauter Erzeugnisse moderner dekorativer
Kunst. Über die Herrschaft der Farbe in München 1908 wird
da manches zu sagen sein. Die frischen ehrlichen Töne des
Weiß, Rot, Gold, Lichtgrün, Tiefblau werden vielen als eine


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