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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 2
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Ebbinghaus, Carl: Hat sich der Geschmack in unsern Wohnungen gebessert?
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0063

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Bruno Paul: Vorraum. (Aus Haenel und Tscharrelmann: Die Wohnung der Neuzeit.)

at sich der Geschmack m unsern

Wohnungen gebefsert?

Man solltc mclncn, daß kcin Zweifcl bei dieser
Frage möglich sei. Und daß mir die Bedcnken gerade
bei der „Wohnung der Neuzeit" von Haenel und
Tscharrclmann auskommen mußten, ist dcshalb sonder-
bar, weil das vortrefflich auogcbildetc Werk als cinc
Art Triumphzug durch das moderne Kunstgewerbe ge-
dacht ist. Jn 228 Abbildungen rmd 16 farbigen Tafeln
gibt eö Beispiele von mchr alö ncunzig Künstlcrn und
Werkstätten in sachgemäßer Anordnung: Vorräume,
Empsangö- und Geselligkeitsräume, Speisc-, Arbeitö-,
Schlafzimmcr, Veranden und Küchen. Diese Beispiele
sind von den Hcrauögebern als eine „Sammlung der
bcstcn Arbeitcn" beabsichtigt, „die heute vorhanden sind".
Alles ist vortrcfflich ausgenommen und gedruckt, jedes
Beispiel kurz und klar erläutcrt, jede Gruppe und das
Ganze durch emen bcsonnenen Text eingeleitet, Hcrauö-
gcber und Verleger (I. I. Weber in Lcipzig) haben
atles darangcsetzt, eine vollkommene Darstellung des
gegenwärtigen Zustandes unserer „Raumkunst" zu gebcn.

Und trotzdem eine erstauntc Enttäuschung? Gewiß
ist mancheö vorbildlich rcin und schön gedacht, wic

unsere Abbildungen bezeugen, auch ist der modernc
Charakter der mcistcn Sachen unverkcnnbar: nur sragt
man sich, warum er im Ganzen nicht ersreulicher ist?
Man sängt, durch das gefällige Gewand des Bucheö
cingenommen, behaglich an zu blättcrn und bcmcrkt
mit wacbsendem Verdruß, daß von der Sachlichkeit und
Ordnung, dcr Sauberkcit und Strenge, der Wohnlichkcit
und Stimmung, dic wir nun zu besitzen glaubten,
wenig vorhandcn ist. Man sieht eine Standuhr, dic
alö Treppenpfoften dicncn muß; schwer kasscttierte
Decken, dic aus dünnblumige Tapeten und schwache
Möbel drücken; Wände, aufdringlich übermalt und
schabloniert; ein- und angebaute Sofaö, Klaviere und
Büsetts; selten Möbcl von tadcllosem Bau und seltcncr
Raumbildungen, in dic man sich mit einer Sehnsucht
nach Behagen hineinwünscht.

Man spürt die Hände wenig, die mit Liebe und
Geduld an ihren Dingen bildetcn, man sieht den
raschcn — manchmal samosen — Einsall auöstellungS-
hastig zurechtgemacht, man sieht vor allem die un-
gcbildetc Luft zu dekorieren, wo eine Fläche den Spiel-
raum dazu überläßt. Es ift nicht mehr in cinem der
altcn „Stilc" zurcchtgeschustert wic vor sünszehn oder
zwanzig Iahren, aber es ist noch zuviel voni selben
Geist darin, der alleö, nur nicht sich bebcrrscben kann.
 
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