Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Schwerdtfeger, Robert: Der Selbstmord Peter Gasterstedts
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0074

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Selbstmord Peter Gasterstedts.

wieder auf den Bauch. „O du schöne Nacht, o du
schöne Nacht!" schrien die Nachtigallen. Weöhalb sie eö
nur so laut schrien. „Was brauche ich zu wiffen, daß
eure Nacht schön ist," knurrte Peter Gasterstedt. „Meine
Nacht ist gräßlich." — wie ich dich liebe, o wie
ich dich liebe!" rief wieder die Nachtigall. Dicht vor
dem offenen Fenster, direkt vor ihm antwortete eine
andere ohne jede Iurückhaltung: „Und ich dich, bülbül,
und ich dich, bülbül." — Peter Gasterstedt schoß aus
dem Bett. „Heiliger Geist!" rief er, „morde die
Bande. Ihr könnt mich zerfleischen, ihr Nachtstörer,
daö wäre noch ein Tod. Aber laßt mich zufricden mit
eurem tierischen Liebesgekose." Wütend schlug er das
Fenster zu. Da besänftigte er sich. „Jch habe ja ganz
meine schöne Ruhe verloren," sagte er kopfschüttelnd zu
sich selbst, zündete die Lampe an und setzte sich im
Nachthemd an den Tisch. Der Erfolg war dieser Zettel:

„Jch muß meinen Eigentod rechtfertigen. Was
gibt mir das Recht, freiwillig zu sterben?

„Die Menschen geben mir daö Recht. Jch haffe
die Menschen.

„Das ist nicht genügend Grund; denn dann sollte
ich die Menschen töten. Die Menschen hassen aber
auch mich. Das ist auch kein Grund, denn dann
müßten die Menschen mich töten, wozu sie keine An-
stalten machen.

„Aber ich haffe mich selbst; ich hasse meinen tierischen
Leib. Jch bin ein vollkommen unmöglicher Mensch;
ich besitze weder Moral noch Sitte, noch Energie, noch
Selbstbeherrschung, noch Stolz, noch Bescheidenheit, noch
Ehrgeiz, noch Selbstlosigkeit, noch Egoismus, noch Ehre,
noch Treue, noch Liebe. Alleö, was ich besitze, ist Geist.
Geist als Ding sür sich ist als Mensch unmöglich.
Gcist ohne die oben angesührten Eigenschaften ift nicht
menschlich, sondern frei, also göttlich. Geist als Ding
an sich kann nur ohne Körper exiftieren. Daher will
ich meinen Körper töten; daher darf ich es; daher
muß ich es.

„Bitte keine Einwände. Jch könnte sie wohl nicht
widerlegen, salls sie sich aus einen der obigen Punkte
stützten. Ich will will will eben sterben.

„Wenn ich aber will, dann besitze ich doch Energie.
Wenn ich nicht will, besitze ich doch Selbstbeherrschung,
da mein Wünschen nach Sterben geht. Ach, mir ist
ganz wirr im Kopf.

„Wie aber, wenn ich fterben will, weil - ich — un-
glücklich liebe? Ist das kein Grund? Gibt das mir
kein Recht, zu fterben?

„Verteuselt, ich liebe ja garnicht unglücklich. Jch
liebe ja überhaupt nicht. Jch habe noch nie geliebt.
Jch kann nicht lieben.

„Halt, das ist ein gewichtiger Grund- Jch will
fterben, weil ich noch nie geliebt habe. Denn wer in
meinem Alter — ich werde in acht Tagen einundzwanzig
Jahre alt — noch nie geliebt hat, der kann überhaupt
nicht lieben. Und was soll ein Mensch, der nicht lieben
kann? Die Liebe ist des Menschen Aufgabe auf Erden.
,Lieb, Vogel, oder stirb/ Jch habe wahrhastig noch
nie geliebt. Jch bin hinter hundert Frauen hergelaufen,
habe mich an mehr alS fünfzig geil gesehn, habe Eine
berührt. Da bin ich voll Entsetzen sortgelausen, irgend-

wo hin, wo die Qual der Berührung mich nicht mehr
verfolgte. Daö ist ein Grund. Lieb, Vogel, oder ftirb!"

Der arme Peter Gasterstedt. Er ist offenbar in
diesen Tagen ganz irr an sich und seinem Entschluß
geworden. Jn den nächften Tagen sahn die Bauern
ihn in den unglaublichsten Lagen. Er kletterte oben in
den höchsten Bäumen herum und schaukelte sich mit
gekreuzten Armen aus einem schwankenden Ast. Er
balancierte am Rand eines zwanzig Meter tiefen Stein-
bruchö entlang, daß das Geröll unter seinen Füßen
hinunterregnete. Er schwamm an einer reißenden Stelle
quer über den Fluß und kam erst zweihundert Meter
weiter unten mühselig wieder ans Land. Er setzte sich
auf das Geländer der Brücke und ließ die Beine nach
der Flußseite zu hinunterhängen. Dabei hatte er seine
Geige wieder unterm Kinn und spielte.

Es war gut, daß der Landgendarm nicht vorüber-
kam. Der hätte ihn sicher mitgenommen. An seiner
Statt ging Kathe vorüber; das war auch gut, oder nicht
gut, wie man die Sache ansehn will. Es war am
Abend. Sie hörte die Geige schluchzen, und mit ihr
schluchzend, ging sie, von Liebessehnsucht getrieben, über
die Brücke. Da sah sie ihn sitzen. Sie schrie so laut
auf vor Schreck, daß der Schrei Peter Gasterstedt wie
ein Ruck durch den Leib suhr. Er schwankte, suchtelte
mit dem linken Arm, der die Geige, und dem rechten,
der den Bogen hielt, in der Luft herum, taumelte und
fiel. Kathe schrie noch lauter, noch entsetzlicher aus und
stürzte an die Unglücksftelle. Aber Peter Gasterstedt
war zum Glück ftatt nach vorn nach hinten gefallen,
wo er schwerer war. Die Geige lag links, der Bogen
rechtS von ihm. Er selber lag mit blutendem Kopf —
denn er war auf das Pslaster gefallen — aus dem
Rücken und murmelte: „DaS war die falsche Seite,
schade." —„Du lieber Himmel, haben Sie sich weh ge-
tan?" schluchzte Kathe. „O Gott, Sie bluten ja." Sie
wischte ihm mit der Schürze das Blut vom Kopf,
dann rannte sie, holte Waffer und kam lausend wieder.
Peter Gasterstedt lag noch aus derselben Stelle. Er
hatte die Hände auf der Brust gesaltet und rührte sich
nicht. „O — o," jammerte Kathe, „sind Sie tot? So
sagen Sie doch was." Peter Gafterftedt knurrte nur
und duldete, daß Kathe ihm mit einem nassen Tuch das
Blut abwischte. Sie hockte nieder und legte seinen
Kops aus ihren Schoß. Peter Gasterstedt knurrte
wohlig. Kathe kühlte und kühlte, ob das Loch im Kopf
auch nur unbedeutend war. Aber er hielt ganz still,
und ich glaube, er hat geschmunzelt. Es war nur gut,
daß es Abend war und niemand vorüberging. Das
Bild, das sich ihm gezeigt hätte, wäre zum mindesten
komisch gewesen. Zum Schluß band Kathe dem Ver-
unglückten ein großes buntes Taschentuch um den Kopf
und sagte: „So, nun stehn Sie aber aus." Und als
er sich nicht rührte, packte sie ihn an und ftellte ihn
mit kräftigen Armen auf seine Beine. Dann fing sie
an zu lachen. Der Kapitalpeter sah zu drollig aus.
„Gelt, nun ists gut?" nickte sie. Peter Gafterstedt guckte
sie von oben biö unten an, und er machte große große
Augen. „Und die arme Geige," sagte Kathe. Sie hob
Fiedel und Bogen auf und betrachtete zärtlich und mit-
leidig die gesprungenen Saiten. Wührenddes hatte
 
Annotationen