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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 2
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Geiger, Ludwig: J. P. Eckermann
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Lissauer, Ernst: Zum Gedächtnis Ernst von Wildenbruchs: geb. 3. Februar 1845, gest. 15. Januar 1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0078

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). P. Eckermann.

man darf bei der Beurteilung des Buches nie vergessen,
daß eben der alte Goethe spricht. Zwar war dieser
unverwüstliche Alte lebensfrischer und in gewisser Weise
jugendlicher als viele weit jüngere, aber schließlich war
er doch ein Greis, dessen Gedächtnis nachgelassen und
der sich in manche seinen früheren Anschauungen ent-
gegengesetzte Ansichten eingelebt hatte. Es ist also
nicht der titanische Jüngling, nicht der leidenschaftliche
Munn, der vor uns erscheint, nicht der Himmelstürmer,
der selbst den Göttern den Krieg erklärte, sondern der
abgeklärte Greis, der nur dann hestig wird, wcnn er
von seinen wisscnschaftlichen Widersachern redet, der
meist aber die Milde des Alters und die hohe Weisheit
deS viel Ersahrenen ertönen läßt.

Eckcrmann überlebte seinen Gönner noch recht lange
Zeit. Er starb erst im Jahre 1874. Auch bei ihm
muß man, ähnlich wie bei Riemer, staunen, wie wenig
er doch im Grunde geleistet, wie rasch der hohe Flug
seiner Gedanken und seines Ehrgeizes erlahmte. Die
zwei ersten Bände der Gespräche waren bei GoetheS
Lebzeiten so gut wie vollendet, das dritte, erst 1848
erschienene Bändchen, in sehr wesentlicher Beziehung
gar nicht Eckermannö, sondern des mehrfach genannten
Soret Eigentum, kann man doch höchstens als die Arbeit
einiger Monate, gewiß nicht vieler Jahre bezeichnen.
Wie wenig hat er sonst fertig gebracht! Seine Ge-
spräche über dcn zweiten Teil des Faust scheinen nicht
über den Ansang hinausgediehen zu sein; seine drama-
tische Bearbeitung desselben zweiten Teils, der Ansang
einer Trilogie, ist eine rein äußerliche, im Grunde
ziemlich wertlose Leistung, keine produktive, sondern aus-
schließlich eine bühnentechnische, die nur germges lite-
rarisches Jnteresse in Anspruch nimmt. Seine szenischen
Bemerkungen sind völlig wertlos, „kaum", wie einer
der besten Faustkenner sich äußert, „durch etwas andereS
bemerkenswert, alö daß bei ihnen eine dem Goetheschen
Altersstil in ergötzlicher Weise abgeguckte Ausdrucks-
weise herrscht".

um Gedächtnis

Ernft von Wildenbruchs

geb. Z. Februar 1845, gest. 15. Januar I9O9.

Eines der am wenigsten bekannten Stücke Ernst
von Wildenbruchö erscheint mir als ein bezeichnendes
Abbild seiner Art: die Tragödie „Gewitternacht". Eö
ist die Ieit des zweiten schlesischen Krieges, die Zeit, da
das junge preußische Königreich mit aller Kraft und
Gewalt empordrang. Ein schlesischer Edelmann, Baron
von Waltram, stellt sich, obgleich er Friedrich bewundert,
aus Rechtsgesühl aus Seite seiner Feinde, er gelangt an
den verwelschten und verprunkten sächsischen Hos, an
dem Gras Brühl allmächtiger Minifter ist, und steigt
durch die Gunst der Königin rasch aus. Er verliert
an die Kuppler- und Versührungskünste Dresdener Hof-
leute seine Schwester, er erkennt die Hohlheit und Klein-
heit, die im Lager der Feinde FriedrichS herrscht, wird
nun um seinetwillen zum Verräter an der sächsischen
Krone, der er den Fahneneid geschworen hat, und er-

schießt sich. Ein Konflikt, wie meist bei Wildenbruch,
zwischen innerem Drang und äußerer Pflicht, im ganzen
klar modelliert, aber weder psychologisch noch ethisch
von der Tiefe her dargestellt. Die fünf Akte sind ziemlich
willkürlich aufgebaut; zwei ließen sich aus dem Gefüge
des Stückes nehmen, ohne daß es eine wesentliche
Schädigung erlitte, und diese beiden Akte sind, im Guten
wie im Schlimmen, eben die am meisten Wildenbruch-
schen. Der eine Akt ist voller Schwüle und Theatralik:
die junge Baronin Waltram ersährt auf einer Gesellschast
den Tod ihres Bräutigams, des preußischen Generals
Winterseld, stürzt sich voll leidenschastlicher Verzweiflung
ins Hazard, verspielt alles an einen Hofmann, der ihr
längst nachstellt, setzt endlich sich selbst und versällt
ihm. Der andere Akt spielt am Vorabend der Schlacht
bei Hohenfriedberg bei der sächsischen Vorhut, und ist
so voller Vorabend-Stimmung und so voller Attacke,
daß er dichterisch zum Beften gehört, was Wildenbruch
jemals geschrieben hat: eine Dialog-Ballade in Prosa.
Diese beiden Akte sind dem Dichter wie von selbst
entstanden, in beiden entlädt sich sein Temperament mit
Unmittelbarkeit, seine Sinnlichkeit dort, seine Schlachten-
freude und vaterländische Trunkenheit hier, die nur aus
Effekt abzielende, grelle Makartsarben ausklatschende
Theatralik dort, die mitreißende, von Verve und Schmiß
erfüllte Kriegslyrik hier. Jenem Akt entsprechen Er-
zählungen wie „Eifernde Liebe", Geftalten wie ,^>as
schwarze Holz" oder „Semiramiö", die von einer an sich
echten, aber ost grell und salsch wirkenden Sinnlichkeit
erfüllt sind, diesem Szenen wie der Schluß der Quitzows
oder das Dreiständespiel aus dem „Kaiser Heinrich",
Fragmente einer ftarken dialogisierten Balladik und Ge-
schichtslyrik.

Was von Wildenbruchs Dramen im GedächtniS
bleibt, sind niemals Werke, eS sind immer nur Szenen;
nicmals Ganzheiten, nur Details. Dies hing aufs
engste zusammen mit der Konstruktion seines dichte-
rischen Wesens. Hebbel sagt, daß „das Schöne entsteht,
wenn die Phantasie Verftand bekommt", und Wilden-
bruchs außerordentliche Phantasie bekam niemalS Ver-
ftand. Wir werden genötigt sein, die bekannte, doch
im Grunde trügerische Scheidung zwischen naiven und
sentimentalischen Dichtern aufzugeben und, wie so häufig,
die Wahrheit mit Hilse der Diagonale zu finden: in
jedem bedeutenden Dichter sind beide Wesenheiten aus-
geglichen, und es kann keinen Dichter geben, der nur
sentimentalisch, aber auch kaum einen, der nur naiv ist.
(Gerade Goethe, der immer alö Urbild des naiven
Dichters hingeftellt wird, ist an sentimentalischen Iügen
reich, und Artur Bonus ist im Recht, wenn er ge-
legentlich bemerkt, Goethe sei in vielen Dingen „ein
mehr erperimentierender als unbekümmert gestaltender
Geift") Es ist der Grundmangel Wildenbruchs, daß
er fast ausschließlich „naiv" ist. Er weiß nichts davon,
daß eine Tragödie ein architektonisches Kunstwerk ift
und auf Plan und Ordnung beruht. Auch er wird
zweifellos gcbessert und gefeilt haben: aber in der
Hauptsache sind seine Dramen „hingehauen", ohne
eigentliche Diöposition, aufs Geratewohl. Er ift in dem
Wahne begrisfen, daß es, um ein Kunstwerk zu schaffen,
genüge, vom Geist besessen zu sein und mit Iungen zu
 
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