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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 3
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Hesse, Hermann: Aus der Werkstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0110

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us der Werkstatt.

Von Hermann Hesse.

Es war gegen Anfang des Wmters, an einem
Montag, und wir hatten alle schwere Köpfe, denn am
Sonntag hatte ein Kollege aus der Stecherschen
Maschinenbauerei seinen Abschied geseiert und es war
spät geworden und hoch hergcgangen mit Bier und
Wurst und Kuchen. Nun standen wir träg und schläsrig
und verdrossen an unseren Schraubstöcken, und ich weiß
noch, wie ich den Hannefritz beneidete, der eine große
Schraubenstange aus der englischen Drehbank hatte;
ich sah ost zu ihm hinüber, wie er an der Schiene
lehnte und blinzelte und so halb im Schlaf die bequeme
Arbeit tat. Zu meinem Arger hatte ich eine heikle
Beschäftigung, das Nachfeilen von blanken Maschinen-
teilen, wobei ich fast jede Minute den Kaliber brauchte,
und beständig mit ganzer Aufmerksamkeit dabei sein
mußte. Die Augen taten mir weh, und mcine Beine
waren so unausgeschlasen und müd, daß ich sort-
während den Tritt wechselte und mich ost mit der
Brust an den oberen Knopf des Schraubstockhebels
lehnte. Und den andern ging es nicht bester. Der
Senfjockcl hieb schon eine halbe Stunde an einem Eisen-
sägblatt, und der Karle hatte soeben den Meißel, den
er schärsen wollte, in den Schleissteintrog fallcn lasten
und sich die Finger dabei aufgeriffen. Wir hattcn ihn
ausgelacht, aber nur schwächlich; wir alle waren zu
müd und verstimmt. Auch konntcn wir nicht faulenzen,
denn nebenan im Modellierzimmer war der Meister
am Geschäft und sah alle Augenblick durch die Tür zu
uns heraus.

Aber der kleine Katzenjammer war das allerwenigste,
das wußten wir alle, wenn auch keiner davon reden
mochte. Oft genug war eS gerade am Morgen nach
einer Zecherei in der Werkstatt extra lustig zugegangen.
Diesmal hörte man nicht einmal die üblichen Än-
spielungen aus gestrige Ereigniste, und keinen von den
gewohnten komischen Bierflüchen. Alle hielten sich ftill
und fühlten, daß etwas Peinliches im Anzug war.
Und daö galt unserem älteften Gesellen, dem Hans
Bastel. Er hatte schon seit acht Tagen auf Schritt
und Tritt Reibereien mit dem Meister gehabt, namentlich
mit dem jungen, dem Meisterssohn, der neuerdings das
Regiment fast allein führte. Und seit ein paar Tagen
konnte man spüren, daß ein Unwetter drohte; die
Stimmung in der Werkstatt war schwül und bedrückt,
die Meister redeten nichts, und die Lehrlinge schlichen
scheu und ängstlich herum, als schwebe immer eine
ausgeftreckte Hand ihnen über den Ohren.

Dieser Hans Bastel war einer der tüchtigsten
Mechaniker, die ich kannte, und stand nun über ein
Jahr bei unö in Arbeit. Jn dieser Zeit hatte er nicht
nur meisterlich gearbeitet und uns andere alle in
Schatten gestellt, sondern auch manche Neuerungen
und Verbesserungen im Betrieb eingesührt und sich
beinahe unentbehrlich gemacht. AnsangS hatte es mit
dcm jungen Meister, der ihm ewig widersprach und sich
keinen Gehilfen über den Kopf wachsen lasten wollte,
häufige kleinere Zerwürfnisse gegeben, namentlich da

Hans Bastel eine versteckte Zähigkeit und gelegentlich
ein trotzig-höhm'sches Wesen sehen ließ. Dann aber
hatten die zwei Männer, welche beide in ihrem Beruse
mehr als das Gewöhnliche leisteten, einander ei'niger-
maßen zu verstehen begonnen. Der Jungmeister arbeitete
nämlich insgeheim an einer Erfindung, es handelte sich
um einen kleinen Apparat zum selbsttätigen Abstellen
der großen Chemnitzer Strickmaschinen, eine sehr praktische
und wertvolle Sache. Daran experimentierte er nun
eine Weile schon herum und war oft halbe Nächte
damit allein in der Werkstatt. HanS Bastel aber hatte
ihn belauscht und war, da ihn die Erfindung interessierte,
zu einer etwas anderen, glücklicheren Lösung gekommen.
Seither halten die beiden viel zusammen gearbeitet.
Dann traten wieder Verftimmungen ein, denn der
Geselle erlaubte sich gelegentlich manche Freiheiten,
blieb Stunden und halbe Tage aus, kam mit der
Zigarre ins 'Geschäst usw., lauter Kleinigkeiten, in
welchen unser Meifter sonst äußerst streng war, und
die er ihm nicht immer ungescholten hingehen ließ.
Doch kam es nie mehr zu ernstlichem Zank, und mehrere
Wochen lang war völliger Friede im Hause gewesen,
bis kürzlich wieder eine Spannung eintrat, die unö alle
besorgt machte. Einige sagten, der Geselle sei dem
Jungmeister aus Liebeswegen ins Gehege gekommen,
wir anderen waren der Ansicht, Hans Baftel habe ver-
mutlich ein Anrecht an den Mitbesitz der kleinen Er-
findung machen wollen, und jener weigere sich, ihm
dies zuzugestehen. Sicher wußten wir sreilich nur, daß
der Geselle seit Monaten cinen übertrieben hohen
Wochenlohn erhielt, daß er vor acht Tagen abends im
Modellierzimmer einen sehr lauten, zornigen Wort-
wechsel mit dem Jungmeister gehabt hatte, und daß
seither die beiden einander grimmig anschauten und
einander mit einem bööartigen Schweigen auswichen.

Und nun hatte der Hans Bastel es gewagt, heute
Blauen zu machen, es war bei ihm schon lange nimmer
vorgekommen, und bei uns Kollegen überhaupt nie,
denn von uns wäre jeder sosort entlassen worden, wenn
er einmal Blauen gemacht hätte.

ES war, wie gesagt, kein guter Tag. Der Meister
wußte, daß wir nachts getrunken hatten, und sah uns
scharf aus die Finger. Seine Wut über das Auöbleiben
des Gesellen mußte nicht klein sein, denn es lag eilige
und wichti'ge Arbeit da. Er sagte nichts und ließ sich
nichts anmerken, aber er war bleich, und sein Schritt
war unrubig; auch blickte er öfter als nötig auf die Uhr.

„Daö gibt 'ne Sauerei, du," flüsterte der Karle mir
zu, als er an meinem Platz vorbei zur Effe ging.

„Glaubs auch, und keine kleine!" sagte ich.

„Zum Donner, was gibts da zu schwätzen?" schrie
da der Meister herüber, und man merkte seiner Stimme
an, daß es in ihm trieb und würgte.

„Was gefragt hat er mich," rief ich zurück; „man
wird doch auch zwei Worte reden dürsen."

„Seid ruhig, Faulpelze, oder ihr könnt euch wundern!"
Ja, wir waren gerne ruhig.

Die Mittagsstunde war vorbei, und es verging auch
allmählich der lange Nachmittag, freilich entsetzlich lang-
sam, denn die verhaltene Wut machte dcn Meister zu
einem unerträglichen Arbeitönachbar. Er gab fich, ob-
 
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